betrachtet negativ: denn nicht der Mensch ist es, sondern der Gott im Menschen, aber dies tritt erst in Kraft, wenn die Negation durchdringt als volle Wirkung davon, daß das höher Erhabene als positive Macht die Beschränkung, die es sich gegeben, durchbricht. "Ich bin der Herr, dein Gott, du sollst keine andere Götter neben mir haben." Es liegt daher im Wesen des Tragischen selbst der Grund, warum die besondere Kunstform, in welcher es sich seinen höchsten Ausdruck gibt, die Tragödie, so wenig Stücke mit glücklichem Ausgange hervorgebracht hat und auch in diesen der glückliche Schluß nur als das Ende langer Leiden erscheint. Auch Aristoteles sagt (Poctik 13): anagke ton kalos ekhonta mu- thon metaballein, ou'k eis eutukhian ek dustukhias alla tounantion ex eutukhias eis dustukhian, und leitet dies aus seiner Theorie von Mitleid und Furcht ab, hinter welcher aber als ihr wahrer Gegenstand das absolut Erhabene liegt. Daher rühmt er an Euripides, daß viele seiner Tragödien ein unglückliches Ende nehmen, erklärt eine Vorliebe für das Tragische mit glücklichem Ausgang aus der astheneia ton theatron und sagt, ein solcher siehe der Komödie, nicht der Tragödie an.
§. 129.
In der negativen Form wird auch der letzte Schein aufgehoben, als könne das subjectiv Erhabene seine Selbständigkeit retten, und indem auch das Höchste und Edelste dieser Art sich der zum Untergang führenden Schuld nicht entziehen kann, so tritt in ganzer Majestät das absolut Erhabene hervor. Das Außerordentliche muß im Kampfe mit dem ebenfalls berechtigten Mittelmäßigen dem Augenscheine nach immer untergehen, um sein Streben gereinigt der Nach- welt zu hinterlassen. Diese Wahrheit als höchstes Gesetz der in der sittlichen Welt sich verwirklichenden absoluten Idee geht mit dem ganzen Leben der Idee in die Schönheit ein und tritt als reine Form an die Spitze des Er- habenen.
Zunächst abgesehen vom Schönen ist anfängliche Niederlage die Bestim- mung alles Großen und Außerordentlichen in der Welt, denn es ist Revo- lution gegen das Bestehende, das, bequem und verstandesgerecht geworden, die stabile Masse durch das Gesetz der Gewohnheit beherrscht. Die Welt kann das Jugendliche, das Freie nicht leiden, denn es ist ein Gericht über sie und ihre Trägheit. Sie macht sich auf und bekämpft es, sie siegt, denn das Mittelmäßige ist extensiv stärker, das Große und Gute
betrachtet negativ: denn nicht der Menſch iſt es, ſondern der Gott im Menſchen, aber dies tritt erſt in Kraft, wenn die Negation durchdringt als volle Wirkung davon, daß das höher Erhabene als poſitive Macht die Beſchränkung, die es ſich gegeben, durchbricht. „Ich bin der Herr, dein Gott, du ſollſt keine andere Götter neben mir haben.“ Es liegt daher im Weſen des Tragiſchen ſelbſt der Grund, warum die beſondere Kunſtform, in welcher es ſich ſeinen höchſten Ausdruck gibt, die Tragödie, ſo wenig Stücke mit glücklichem Ausgange hervorgebracht hat und auch in dieſen der glückliche Schluß nur als das Ende langer Leiden erſcheint. Auch Ariſtoteles ſagt (Poctik 13): ἀνάγκη τὸν καλῶς ἔχοντα μῦ- ϑον μεταβάλλειν, ȣ᾽κ εἰς εὐτυχίαν ἐκ δυστυχίας ἀλλὰ τοὐναντίον ἐξ εὐτυχίας εἰς δυστυχίαν, und leitet dies aus ſeiner Theorie von Mitleid und Furcht ab, hinter welcher aber als ihr wahrer Gegenſtand das abſolut Erhabene liegt. Daher rühmt er an Euripides, daß viele ſeiner Tragödien ein unglückliches Ende nehmen, erklärt eine Vorliebe für das Tragiſche mit glücklichem Ausgang aus der ἀσϑένεια τῶν ϑεάτρων und ſagt, ein ſolcher ſiehe der Komödie, nicht der Tragödie an.
§. 129.
In der negativen Form wird auch der letzte Schein aufgehoben, als könne das ſubjectiv Erhabene ſeine Selbſtändigkeit retten, und indem auch das Höchſte und Edelſte dieſer Art ſich der zum Untergang führenden Schuld nicht entziehen kann, ſo tritt in ganzer Majeſtät das abſolut Erhabene hervor. Das Außerordentliche muß im Kampfe mit dem ebenfalls berechtigten Mittelmäßigen dem Augenſcheine nach immer untergehen, um ſein Streben gereinigt der Nach- welt zu hinterlaſſen. Dieſe Wahrheit als höchſtes Geſetz der in der ſittlichen Welt ſich verwirklichenden abſoluten Idee geht mit dem ganzen Leben der Idee in die Schönheit ein und tritt als reine Form an die Spitze des Er- habenen.
Zunächſt abgeſehen vom Schönen iſt anfängliche Niederlage die Beſtim- mung alles Großen und Außerordentlichen in der Welt, denn es iſt Revo- lution gegen das Beſtehende, das, bequem und verſtandesgerecht geworden, die ſtabile Maſſe durch das Geſetz der Gewohnheit beherrſcht. Die Welt kann das Jugendliche, das Freie nicht leiden, denn es iſt ein Gericht über ſie und ihre Trägheit. Sie macht ſich auf und bekämpft es, ſie ſiegt, denn das Mittelmäßige iſt extenſiv ſtärker, das Große und Gute
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die Beſchränkung, die es ſich gegeben, durchbricht. „Ich bin der Herr,
dein Gott, du ſollſt keine andere Götter neben mir haben.“ Es liegt
daher im Weſen des Tragiſchen ſelbſt der Grund, warum die beſondere
Kunſtform, in welcher es ſich ſeinen höchſten Ausdruck gibt, die Tragödie,
ſo wenig Stücke mit glücklichem Ausgange hervorgebracht hat und auch in
dieſen der glückliche Schluß nur als das Ende langer Leiden erſcheint.
Auch Ariſtoteles ſagt (Poctik 13): ἀνάγκη τὸν καλῶς ἔχοντα μῦ-
ϑον μεταβάλλειν, ȣ᾽κ εἰς εὐτυχίαν ἐκ δυστυχίας ἀλλὰ τοὐναντίον ἐξ
εὐτυχίας εἰς δυστυχίαν, und leitet dies aus ſeiner Theorie von Mitleid
und Furcht ab, hinter welcher aber als ihr wahrer Gegenſtand das
abſolut Erhabene liegt. Daher rühmt er an Euripides, daß viele
ſeiner Tragödien ein unglückliches Ende nehmen, erklärt eine Vorliebe
für das Tragiſche mit glücklichem Ausgang aus der ἀσϑένεια τῶν
ϑεάτρων und ſagt, ein ſolcher ſiehe der Komödie, nicht der Tragödie an.
§. 129.
In der negativen Form wird auch der letzte Schein aufgehoben, als
könne das ſubjectiv Erhabene ſeine Selbſtändigkeit retten, und indem auch das
Höchſte und Edelſte dieſer Art ſich der zum Untergang führenden Schuld nicht
entziehen kann, ſo tritt in ganzer Majeſtät das abſolut Erhabene hervor. Das
Außerordentliche muß im Kampfe mit dem ebenfalls berechtigten Mittelmäßigen
dem Augenſcheine nach immer untergehen, um ſein Streben gereinigt der Nach-
welt zu hinterlaſſen. Dieſe Wahrheit als höchſtes Geſetz der in der ſittlichen
Welt ſich verwirklichenden abſoluten Idee geht mit dem ganzen Leben der
Idee in die Schönheit ein und tritt als reine Form an die Spitze des Er-
habenen.
Zunächſt abgeſehen vom Schönen iſt anfängliche Niederlage die Beſtim-
mung alles Großen und Außerordentlichen in der Welt, denn es iſt Revo-
lution gegen das Beſtehende, das, bequem und verſtandesgerecht geworden,
die ſtabile Maſſe durch das Geſetz der Gewohnheit beherrſcht. Die Welt
kann das Jugendliche, das Freie nicht leiden, denn es iſt ein Gericht
über ſie und ihre Trägheit. Sie macht ſich auf und bekämpft es, ſie
ſiegt, denn das Mittelmäßige iſt extenſiv ſtärker, das Große und Gute
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Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 1. Reutlingen u. a., 1846, S. 299. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik01_1846/313>, abgerufen am 22.11.2024.
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