ist, verschiedene Stufen hat. Da nun diese Einheit sich als reinste Mitte zeigt im classischen Ideal, so hat Schiller dieses in der Abh. über naive und sentimentale Dichtkunst als spezifisch naiv bezeichnet, freilich aber den Begriff des Naiven in dieser Anwendung falsch erklärt, wovon an seinem Orte zu reden ist. Dieser ganze Gebrauch des Begriffs der Naivetät gehört aber nicht hieher, weil komisch im eigentlich ästhetischen Zusammen- hang das Naive nur dann ist, wenn der nicht naive Standpunkt in den ästhetischen Gegenstand mitaufgenommen ist. Wenn wir über Homer lächeln, so ist dies keine Form des Komischen; wenn aber vorgestellt wird, als trete Homer oder einer seiner Helden in eine moderne Gesellschaft, so müßte er Dinge thun, wodurch er komisch würde, weil er in der Meinung, ganz klar zu erscheinen, vielmehr durchaus als Kind erscheinen würde; oder umgekehrt, wenn ein moderner Mensch vorgestellt würde, wie er mit seinen künstlichen Begriffen in die Gesellschaft alter Götter und Helden träte, so würde sein Mangel an Naivetät, als wäre er selbst eine solche, zum Gelächter für diese werden (Götter, Helden und Wieland). Eigentlich komisch also wird das Naive erst, wenn die darin enthaltene Natur mit dem Geiste nicht einfach und schlechthin Eins ist, sondern gegensätzlich mit ihm in einem Ganzen sich so bewegt, daß der Geist, wo man eine ununterbrochene Darstellung seiner klaren Strenge erwartete, plötzlich in Unbewußtes übergeht. Alles Unbe- wußte und das ganze Reich der Zufälligkeit, wie es den Geist beschleicht und unvermerkt in seine Zwecke sich mischt, kann unter dem Namen der Natur befaßt werden und so ist alles Komische, wie von frühern Aesthetikern öfters geschehen, naiv zu nennen. Kindliche Zeitalter, Völker, Lebensstufen, Bildungsformen, wie sie oben erwähnt worden, können nun als Stoff dieser wirklichen Komik erscheinen unter der genannten Bedingung, daß der Gegensatz mitaufgenommen seyn muß, aber ebensogut abgesehen von solchen Bildungsgegensätzen der ganz gebildete Mensch an sich oder auch der minder Gebildete, kurz Jeder, sofern er da, wo er geistig er- scheinen wollte, von der Natur, insbesondere von bewußtlos hervortretender Eigenliebe überrascht wird. Daß die Natur nicht nackte Rohheit seyn darf, sondern unschuldige Natur seyn, richtiger, daß in der Rohheit selbst die gute Natur durchblitzen muß, folgt schon daraus, daß ja das Gegenglied, worein das erste, erhabene Glied versinkt, im Komischen das Berechtigte ist: davon ist aber erst zu reden, wenn das zweite Glied für sich betrachtet werden wird. Schon hier könnten wir Stephan Schützes Definition aufführen, die das Komische als ein Spiel bestimmt, das die Natur mit der Freiheit des Menschen treibt (Versuch einer Theorie des Komischen
iſt, verſchiedene Stufen hat. Da nun dieſe Einheit ſich als reinſte Mitte zeigt im claſſiſchen Ideal, ſo hat Schiller dieſes in der Abh. über naive und ſentimentale Dichtkunſt als ſpezifiſch naiv bezeichnet, freilich aber den Begriff des Naiven in dieſer Anwendung falſch erklärt, wovon an ſeinem Orte zu reden iſt. Dieſer ganze Gebrauch des Begriffs der Naivetät gehört aber nicht hieher, weil komiſch im eigentlich äſthetiſchen Zuſammen- hang das Naive nur dann iſt, wenn der nicht naive Standpunkt in den äſthetiſchen Gegenſtand mitaufgenommen iſt. Wenn wir über Homer lächeln, ſo iſt dies keine Form des Komiſchen; wenn aber vorgeſtellt wird, als trete Homer oder einer ſeiner Helden in eine moderne Geſellſchaft, ſo müßte er Dinge thun, wodurch er komiſch würde, weil er in der Meinung, ganz klar zu erſcheinen, vielmehr durchaus als Kind erſcheinen würde; oder umgekehrt, wenn ein moderner Menſch vorgeſtellt würde, wie er mit ſeinen künſtlichen Begriffen in die Geſellſchaft alter Götter und Helden träte, ſo würde ſein Mangel an Naivetät, als wäre er ſelbſt eine ſolche, zum Gelächter für dieſe werden (Götter, Helden und Wieland). Eigentlich komiſch alſo wird das Naive erſt, wenn die darin enthaltene Natur mit dem Geiſte nicht einfach und ſchlechthin Eins iſt, ſondern gegenſätzlich mit ihm in einem Ganzen ſich ſo bewegt, daß der Geiſt, wo man eine ununterbrochene Darſtellung ſeiner klaren Strenge erwartete, plötzlich in Unbewußtes übergeht. Alles Unbe- wußte und das ganze Reich der Zufälligkeit, wie es den Geiſt beſchleicht und unvermerkt in ſeine Zwecke ſich miſcht, kann unter dem Namen der Natur befaßt werden und ſo iſt alles Komiſche, wie von frühern Aeſthetikern öfters geſchehen, naiv zu nennen. Kindliche Zeitalter, Völker, Lebensſtufen, Bildungsformen, wie ſie oben erwähnt worden, können nun als Stoff dieſer wirklichen Komik erſcheinen unter der genannten Bedingung, daß der Gegenſatz mitaufgenommen ſeyn muß, aber ebenſogut abgeſehen von ſolchen Bildungsgegenſätzen der ganz gebildete Menſch an ſich oder auch der minder Gebildete, kurz Jeder, ſofern er da, wo er geiſtig er- ſcheinen wollte, von der Natur, insbeſondere von bewußtlos hervortretender Eigenliebe überraſcht wird. Daß die Natur nicht nackte Rohheit ſeyn darf, ſondern unſchuldige Natur ſeyn, richtiger, daß in der Rohheit ſelbſt die gute Natur durchblitzen muß, folgt ſchon daraus, daß ja das Gegenglied, worein das erſte, erhabene Glied verſinkt, im Komiſchen das Berechtigte iſt: davon iſt aber erſt zu reden, wenn das zweite Glied für ſich betrachtet werden wird. Schon hier könnten wir Stephan Schützes Definition aufführen, die das Komiſche als ein Spiel beſtimmt, das die Natur mit der Freiheit des Menſchen treibt (Verſuch einer Theorie des Komiſchen
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iſt, verſchiedene Stufen hat. Da nun dieſe Einheit ſich als reinſte Mitte
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und ſentimentale Dichtkunſt als ſpezifiſch naiv bezeichnet, freilich aber den
Begriff des Naiven in dieſer Anwendung falſch erklärt, wovon an ſeinem
Orte zu reden iſt. Dieſer ganze Gebrauch des Begriffs der Naivetät
gehört aber nicht hieher, weil komiſch im eigentlich äſthetiſchen Zuſammen-
hang das Naive nur dann iſt, wenn der nicht naive Standpunkt in den
äſthetiſchen Gegenſtand mitaufgenommen iſt. Wenn wir über Homer
lächeln, ſo iſt dies keine Form des Komiſchen; wenn aber vorgeſtellt wird,
als trete Homer oder einer ſeiner Helden in eine moderne Geſellſchaft, ſo
müßte er Dinge thun, wodurch er komiſch würde, weil er in der Meinung,
ganz klar zu erſcheinen, vielmehr durchaus als Kind erſcheinen würde; oder
umgekehrt, wenn ein moderner Menſch vorgeſtellt würde, wie er mit ſeinen
künſtlichen Begriffen in die Geſellſchaft alter Götter und Helden träte, ſo würde
ſein Mangel an Naivetät, als wäre er ſelbſt eine ſolche, zum Gelächter für dieſe
werden (Götter, Helden und Wieland). Eigentlich komiſch alſo wird das Naive
erſt, wenn die darin enthaltene Natur mit dem Geiſte nicht einfach und
ſchlechthin Eins iſt, ſondern gegenſätzlich mit ihm in einem Ganzen ſich ſo
bewegt, daß der Geiſt, wo man eine ununterbrochene Darſtellung ſeiner
klaren Strenge erwartete, plötzlich in Unbewußtes übergeht. Alles Unbe-
wußte und das ganze Reich der Zufälligkeit, wie es den Geiſt beſchleicht
und unvermerkt in ſeine Zwecke ſich miſcht, kann unter dem Namen der
Natur befaßt werden und ſo iſt alles Komiſche, wie von frühern
Aeſthetikern öfters geſchehen, naiv zu nennen. Kindliche Zeitalter, Völker,
Lebensſtufen, Bildungsformen, wie ſie oben erwähnt worden, können nun
als Stoff dieſer wirklichen Komik erſcheinen unter der genannten Bedingung,
daß der Gegenſatz mitaufgenommen ſeyn muß, aber ebenſogut abgeſehen
von ſolchen Bildungsgegenſätzen der ganz gebildete Menſch an ſich oder
auch der minder Gebildete, kurz Jeder, ſofern er da, wo er geiſtig er-
ſcheinen wollte, von der Natur, insbeſondere von bewußtlos hervortretender
Eigenliebe überraſcht wird. Daß die Natur nicht nackte Rohheit ſeyn darf,
ſondern unſchuldige Natur ſeyn, richtiger, daß in der Rohheit ſelbſt die
gute Natur durchblitzen muß, folgt ſchon daraus, daß ja das Gegenglied,
worein das erſte, erhabene Glied verſinkt, im Komiſchen das Berechtigte
iſt: davon iſt aber erſt zu reden, wenn das zweite Glied für ſich betrachtet
werden wird. Schon hier könnten wir Stephan Schützes Definition
aufführen, die das Komiſche als ein Spiel beſtimmt, das die Natur mit
der Freiheit des Menſchen treibt (Verſuch einer Theorie des Komiſchen
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Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 1. Reutlingen u. a., 1846, S. 358. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik01_1846/372>, abgerufen am 25.11.2024.
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