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Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 1. Reutlingen u. a., 1846.

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Uebergang darstellen. Sie ist die Mitte zwischen Religion und Philo-
sophie, sie hebt die Innerlichkeit der Religion auf, indem sie das Gegen-
bild zu einem deutlichen Aeußern macht, erwirkt aber ebendadurch eine
freiere Innerlichkeit; sie ist objectiver als die Religion und ebendadurch
subjectiver.

Nimmermehr aber kann die Philosophie der Kunst vorangehen. Das
beziehungsweise unbewußte und zufällige Thun und die sinnliche Verein-
zelung in dem, was gethan wird und ist, kann nimmermehr eine reifere
Stufe seyn, als das reine Denken des Allgemeinen, in der Form der
Allgemeinheit und Nothwendigkeit. Wirth nennt die Wissenschaft, die
er zwischen die Religion und Kunst stellt, Metaphysik, unterscheidet
sie (S. 3.) von der "Philosophie des Weltwesens, der Dialektik" und
sagt, sie sey in dem von ihm gemeinten Sinne erst zu gründen. Bis
dahin wollen wir aber diese Wissenschaft Philosophie nennen, um so
mehr, da er anderswo selbst diesen Ausdruck braucht. Er gibt nun als
Grund davon, daß er auch diese vor die Kunst stellt, die Thatsache
an, daß die Kunst "späterhin, wenn der Geist zum speculativen Be-
wußtseyn gelangt ist, auch die philosophischen Ideen zur Schönheit ver-
lebendigt." Dieß ist aber allegorische Kunst, Kunst, die ihre Grenze
überschreitet und in ein Gebiet übergreift, das, wenn es in sie einfließt,
sie desorganisirt; und dieß führt uns nun auf Weiße's Ansicht.

Was diese betrifft, so geht die Stellung auf die dritte und höchste
Stufe, welche hier der Religion, oder wie Weiße sagen muß, der
Theologie, eingeräumt wird, aus einer metaphysischen Grundansicht hervor,
auf welche hier nur mit wenigen Worten eingegangen werden kann. Die
Schönheit, sagt er, geht mit der Wahrheit zugleich in die Idee der
Gottheit ein, welche die höhere Einheit und Vermittlung beider ist.
Die Wissenschaft soll auf diesem Punkte nicht in ihren Anfang zurück,
sondern über sich selbst hinaus gehen und einen höheren Gegenstand als
sich selber erhalten. Die Religion soll nicht phänomenologisch gefaßt
werden (auch die Aesthetik nicht, wovon nachher) sondern Gott "in der
Form der Selbstheit und Persönlichkeit erkennen" (Aesth. S. 19). Dieser
Gott ist als ein "mit Freiheit schaffender zu fassen, die Gedanken des
Geistes über die so geschaffene Welt, wie über Gott, sind nur Gedanken
über die Welt, über Gott, sie sind "nur Abbilder, Gleichnisse,
Wiederholungen
" des Wesens der Dinge; d. h. die Identität des Seyns
und Denkens ist aufgehoben. Weiße erkennt, daß er hiemit die Wurzel
aller Philosophie aufhebt, und entschließt sich nun, einen Gang zu nehmen,

Uebergang darſtellen. Sie iſt die Mitte zwiſchen Religion und Philo-
ſophie, ſie hebt die Innerlichkeit der Religion auf, indem ſie das Gegen-
bild zu einem deutlichen Aeußern macht, erwirkt aber ebendadurch eine
freiere Innerlichkeit; ſie iſt objectiver als die Religion und ebendadurch
ſubjectiver.

Nimmermehr aber kann die Philoſophie der Kunſt vorangehen. Das
beziehungsweiſe unbewußte und zufällige Thun und die ſinnliche Verein-
zelung in dem, was gethan wird und iſt, kann nimmermehr eine reifere
Stufe ſeyn, als das reine Denken des Allgemeinen, in der Form der
Allgemeinheit und Nothwendigkeit. Wirth nennt die Wiſſenſchaft, die
er zwiſchen die Religion und Kunſt ſtellt, Metaphyſik, unterſcheidet
ſie (S. 3.) von der „Philoſophie des Weltweſens, der Dialektik“ und
ſagt, ſie ſey in dem von ihm gemeinten Sinne erſt zu gründen. Bis
dahin wollen wir aber dieſe Wiſſenſchaft Philoſophie nennen, um ſo
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Grund davon, daß er auch dieſe vor die Kunſt ſtellt, die Thatſache
an, daß die Kunſt „ſpäterhin, wenn der Geiſt zum ſpeculativen Be-
wußtſeyn gelangt iſt, auch die philoſophiſchen Ideen zur Schönheit ver-
lebendigt.“ Dieß iſt aber allegoriſche Kunſt, Kunſt, die ihre Grenze
überſchreitet und in ein Gebiet übergreift, das, wenn es in ſie einfließt,
ſie desorganiſirt; und dieß führt uns nun auf Weiße’s Anſicht.

Was dieſe betrifft, ſo geht die Stellung auf die dritte und höchſte
Stufe, welche hier der Religion, oder wie Weiße ſagen muß, der
Theologie, eingeräumt wird, aus einer metaphyſiſchen Grundanſicht hervor,
auf welche hier nur mit wenigen Worten eingegangen werden kann. Die
Schönheit, ſagt er, geht mit der Wahrheit zugleich in die Idee der
Gottheit ein, welche die höhere Einheit und Vermittlung beider iſt.
Die Wiſſenſchaft ſoll auf dieſem Punkte nicht in ihren Anfang zurück,
ſondern über ſich ſelbſt hinaus gehen und einen höheren Gegenſtand als
ſich ſelber erhalten. Die Religion ſoll nicht phänomenologiſch gefaßt
werden (auch die Aeſthetik nicht, wovon nachher) ſondern Gott „in der
Form der Selbſtheit und Perſönlichkeit erkennen“ (Aeſth. S. 19). Dieſer
Gott iſt als ein „mit Freiheit ſchaffender zu faſſen, die Gedanken des
Geiſtes über die ſo geſchaffene Welt, wie über Gott, ſind nur Gedanken
über die Welt, über Gott, ſie ſind „nur Abbilder, Gleichniſſe,
Wiederholungen
“ des Weſens der Dinge; d. h. die Identität des Seyns
und Denkens iſt aufgehoben. Weiße erkennt, daß er hiemit die Wurzel
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[25/0039] Uebergang darſtellen. Sie iſt die Mitte zwiſchen Religion und Philo- ſophie, ſie hebt die Innerlichkeit der Religion auf, indem ſie das Gegen- bild zu einem deutlichen Aeußern macht, erwirkt aber ebendadurch eine freiere Innerlichkeit; ſie iſt objectiver als die Religion und ebendadurch ſubjectiver. Nimmermehr aber kann die Philoſophie der Kunſt vorangehen. Das beziehungsweiſe unbewußte und zufällige Thun und die ſinnliche Verein- zelung in dem, was gethan wird und iſt, kann nimmermehr eine reifere Stufe ſeyn, als das reine Denken des Allgemeinen, in der Form der Allgemeinheit und Nothwendigkeit. Wirth nennt die Wiſſenſchaft, die er zwiſchen die Religion und Kunſt ſtellt, Metaphyſik, unterſcheidet ſie (S. 3.) von der „Philoſophie des Weltweſens, der Dialektik“ und ſagt, ſie ſey in dem von ihm gemeinten Sinne erſt zu gründen. Bis dahin wollen wir aber dieſe Wiſſenſchaft Philoſophie nennen, um ſo mehr, da er anderswo ſelbſt dieſen Ausdruck braucht. Er gibt nun als Grund davon, daß er auch dieſe vor die Kunſt ſtellt, die Thatſache an, daß die Kunſt „ſpäterhin, wenn der Geiſt zum ſpeculativen Be- wußtſeyn gelangt iſt, auch die philoſophiſchen Ideen zur Schönheit ver- lebendigt.“ Dieß iſt aber allegoriſche Kunſt, Kunſt, die ihre Grenze überſchreitet und in ein Gebiet übergreift, das, wenn es in ſie einfließt, ſie desorganiſirt; und dieß führt uns nun auf Weiße’s Anſicht. Was dieſe betrifft, ſo geht die Stellung auf die dritte und höchſte Stufe, welche hier der Religion, oder wie Weiße ſagen muß, der Theologie, eingeräumt wird, aus einer metaphyſiſchen Grundanſicht hervor, auf welche hier nur mit wenigen Worten eingegangen werden kann. Die Schönheit, ſagt er, geht mit der Wahrheit zugleich in die Idee der Gottheit ein, welche die höhere Einheit und Vermittlung beider iſt. Die Wiſſenſchaft ſoll auf dieſem Punkte nicht in ihren Anfang zurück, ſondern über ſich ſelbſt hinaus gehen und einen höheren Gegenſtand als ſich ſelber erhalten. Die Religion ſoll nicht phänomenologiſch gefaßt werden (auch die Aeſthetik nicht, wovon nachher) ſondern Gott „in der Form der Selbſtheit und Perſönlichkeit erkennen“ (Aeſth. S. 19). Dieſer Gott iſt als ein „mit Freiheit ſchaffender zu faſſen, die Gedanken des Geiſtes über die ſo geſchaffene Welt, wie über Gott, ſind nur Gedanken über die Welt, über Gott, ſie ſind „nur Abbilder, Gleichniſſe, Wiederholungen“ des Weſens der Dinge; d. h. die Identität des Seyns und Denkens iſt aufgehoben. Weiße erkennt, daß er hiemit die Wurzel aller Philoſophie aufhebt, und entſchließt ſich nun, einen Gang zu nehmen,

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Zitationshilfe: Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 1. Reutlingen u. a., 1846, S. 25. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik01_1846/39>, abgerufen am 21.11.2024.