Widerspruch; das Subject muß vielmehr als bewußt erscheinen in demselben Punkte, in welchem es unbewußt ist, d. h. es muß gesetzt werden als bewußt um die Verkehrung seines Strebens durch das unendlich Kleine, worin es be- fangen ist. Dazu liegt zunächst die allgemeine Möglichkeit in dem Wesen des Selbstbewußtseyns, welches sich über den gesammten Umfang des Seyns im Subjecte auszudehnen bestimmt ist und zu der Annahme einer solchen Aus- dehnung im bestimmten Falle den Zuschauer herausfordert.
Es zeigt sich sogleich, wohin dieser §. führt, nämlich zu der Nach- hilfe von Seiten des Zuschauers aus dessen eigenem Bewußtseyn: ein Begriff, der schon oben (§. 153) vorbereitet und nun zu entwickeln ist. Den begründenden Uebergang zu diesem Begriffe gibt J. Paul nicht; auch hierin hat Ruge diesen ergänzt, der zuerst das geltend machte, was der Schluß des §. enthält: "der Grund der Uebertragung des besseren Bewußtseyns liegt darin, daß der Irrende dazu herausfordert durch das, was er in Wahrheit ist, nämlich Selbstbewußtseyn, dessen Verdunklung ja eben seine unwahre Gestalt ist; -- also nicht, wie J. Paul meint, darin, daß der Irrthum überhaupt angeschaut werden kann, sondern darin, daß er eigentlich von dem Irrenden selbst ange- schaut werden sollte" (a. a. O. S. 119). Es wird der verlachten Person keine andere Gewalt durch das Lachen angethan, als daß "fingirt wird, sie sey klüger, als sie ist" sofern "ihr zugemuthet wird, das zu seyn, was sie an und für sich ist, nämlich Person" (S. 126). Hier zeigt sich bei Ruge nur der Mangel, daß es scheint, als werde nun das Subject als vernünftig vorgestellt; allein dann käme man aus dem Komischen gerade heraus; vielmehr erst recht ein Widerspruch von Ver- nunft und Unvernunft erscheint es, weil dieses "Herausfinden der wah- ren Gestalt aus der unwahren" (S. 128) beide Gestalten zugleich fest- hält. Dies wird sich weiterhin genauer zeigen.
§. 176.
1
In Wirklichkeit ist jedoch diese Ausdehnung des Selbstbewußtseyns in dem irrenden Subjecte nicht vorhanden. Daher muß der Zuschauer an die Stelle jener unbestimmten Annahme einen Act setzen, wodurch er ihm das man- gelnde Selbstbewußtseyn aus den Mitteln des eigenen leiht oder unterschiebt, und hiedurch kehrt die Untersuchung zu dem Momente zurück, von dem sie ausging, nämlich zu der Entbindung der Besinnung, welche in §. 153. 154
Widerſpruch; das Subject muß vielmehr als bewußt erſcheinen in demſelben Punkte, in welchem es unbewußt iſt, d. h. es muß geſetzt werden als bewußt um die Verkehrung ſeines Strebens durch das unendlich Kleine, worin es be- fangen iſt. Dazu liegt zunächſt die allgemeine Möglichkeit in dem Weſen des Selbſtbewußtſeyns, welches ſich über den geſammten Umfang des Seyns im Subjecte auszudehnen beſtimmt iſt und zu der Annahme einer ſolchen Aus- dehnung im beſtimmten Falle den Zuſchauer herausfordert.
Es zeigt ſich ſogleich, wohin dieſer §. führt, nämlich zu der Nach- hilfe von Seiten des Zuſchauers aus deſſen eigenem Bewußtſeyn: ein Begriff, der ſchon oben (§. 153) vorbereitet und nun zu entwickeln iſt. Den begründenden Uebergang zu dieſem Begriffe gibt J. Paul nicht; auch hierin hat Ruge dieſen ergänzt, der zuerſt das geltend machte, was der Schluß des §. enthält: „der Grund der Uebertragung des beſſeren Bewußtſeyns liegt darin, daß der Irrende dazu herausfordert durch das, was er in Wahrheit iſt, nämlich Selbſtbewußtſeyn, deſſen Verdunklung ja eben ſeine unwahre Geſtalt iſt; — alſo nicht, wie J. Paul meint, darin, daß der Irrthum überhaupt angeſchaut werden kann, ſondern darin, daß er eigentlich von dem Irrenden ſelbſt ange- ſchaut werden ſollte“ (a. a. O. S. 119). Es wird der verlachten Perſon keine andere Gewalt durch das Lachen angethan, als daß „fingirt wird, ſie ſey klüger, als ſie iſt“ ſofern „ihr zugemuthet wird, das zu ſeyn, was ſie an und für ſich iſt, nämlich Perſon“ (S. 126). Hier zeigt ſich bei Ruge nur der Mangel, daß es ſcheint, als werde nun das Subject als vernünftig vorgeſtellt; allein dann käme man aus dem Komiſchen gerade heraus; vielmehr erſt recht ein Widerſpruch von Ver- nunft und Unvernunft erſcheint es, weil dieſes „Herausfinden der wah- ren Geſtalt aus der unwahren“ (S. 128) beide Geſtalten zugleich feſt- hält. Dies wird ſich weiterhin genauer zeigen.
§. 176.
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In Wirklichkeit iſt jedoch dieſe Ausdehnung des Selbſtbewußtſeyns in dem irrenden Subjecte nicht vorhanden. Daher muß der Zuſchauer an die Stelle jener unbeſtimmten Annahme einen Act ſetzen, wodurch er ihm das man- gelnde Selbſtbewußtſeyn aus den Mitteln des eigenen leiht oder unterſchiebt, und hiedurch kehrt die Unterſuchung zu dem Momente zurück, von dem ſie ausging, nämlich zu der Entbindung der Beſinnung, welche in §. 153. 154
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um die Verkehrung ſeines Strebens durch das unendlich Kleine, worin es be-
fangen iſt. Dazu liegt zunächſt die allgemeine Möglichkeit in dem Weſen des
Selbſtbewußtſeyns, welches ſich über den geſammten Umfang des Seyns im
Subjecte auszudehnen beſtimmt iſt und zu der Annahme einer ſolchen Aus-
dehnung im beſtimmten Falle den Zuſchauer herausfordert.
Es zeigt ſich ſogleich, wohin dieſer §. führt, nämlich zu der Nach-
hilfe von Seiten des Zuſchauers aus deſſen eigenem Bewußtſeyn: ein
Begriff, der ſchon oben (§. 153) vorbereitet und nun zu entwickeln iſt.
Den begründenden Uebergang zu dieſem Begriffe gibt J. Paul nicht;
auch hierin hat Ruge dieſen ergänzt, der zuerſt das geltend machte,
was der Schluß des §. enthält: „der Grund der Uebertragung des
beſſeren Bewußtſeyns liegt darin, daß der Irrende dazu herausfordert
durch das, was er in Wahrheit iſt, nämlich Selbſtbewußtſeyn, deſſen
Verdunklung ja eben ſeine unwahre Geſtalt iſt; — alſo nicht, wie
J. Paul meint, darin, daß der Irrthum überhaupt angeſchaut werden
kann, ſondern darin, daß er eigentlich von dem Irrenden ſelbſt ange-
ſchaut werden ſollte“ (a. a. O. S. 119). Es wird der verlachten
Perſon keine andere Gewalt durch das Lachen angethan, als daß „fingirt
wird, ſie ſey klüger, als ſie iſt“ ſofern „ihr zugemuthet wird, das zu
ſeyn, was ſie an und für ſich iſt, nämlich Perſon“ (S. 126). Hier
zeigt ſich bei Ruge nur der Mangel, daß es ſcheint, als werde nun
das Subject als vernünftig vorgeſtellt; allein dann käme man aus dem
Komiſchen gerade heraus; vielmehr erſt recht ein Widerſpruch von Ver-
nunft und Unvernunft erſcheint es, weil dieſes „Herausfinden der wah-
ren Geſtalt aus der unwahren“ (S. 128) beide Geſtalten zugleich feſt-
hält. Dies wird ſich weiterhin genauer zeigen.
§. 176.
In Wirklichkeit iſt jedoch dieſe Ausdehnung des Selbſtbewußtſeyns in
dem irrenden Subjecte nicht vorhanden. Daher muß der Zuſchauer an die
Stelle jener unbeſtimmten Annahme einen Act ſetzen, wodurch er ihm das man-
gelnde Selbſtbewußtſeyn aus den Mitteln des eigenen leiht oder unterſchiebt,
und hiedurch kehrt die Unterſuchung zu dem Momente zurück, von dem ſie
ausging, nämlich zu der Entbindung der Beſinnung, welche in §. 153. 154
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Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 1. Reutlingen u. a., 1846, S. 384. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik01_1846/398>, abgerufen am 22.11.2024.
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