eigene wahre Reihe im Denken des Zuschauers, die fremde wahre, und die fremde von diesem untergelegte illusorische, und nun fortfährt: "die Anschaulichkeit zwingt uns zum Hinüber- und Herüber-Wechselspiel mit diesen drei einander entgegenstrebenden Reihen, aber dieser Zwang ver- liert durch die Unvereinbarkeit sich in eine heitere Willkür. Das Ko- mische ist also der Genuß oder die Phantasie und Poesie des ganz für das Freie entbundenen Verstandes, welcher sich an drei Schluß- oder Blumenketten spielend entwickelt und daran hin- und wieder tanzt." Von der Geltung des Verstandes ist noch zu sprechen.
§. 177.
Es ist aber nun diese Erklärung auf die zwei in §. 172 unterschiedenen Fälle anzuwenden. Kommt die Störung aus dem eigenen Innern des verlachten Subjects, so stößt das Leihen darum auf ungleich geringere Schwierigkeit, weil Ausdehnung auf das eigene Innere die unzweifelhafte Bestimmung des Selbst- bewußtseyns ist, also dem Subjecte ein Wissen um seine Verirrung unterzuschie- ben ganz nahe liegt. Dagegen erwächst daraus auch in diesem Falle eine große Schwierigkeit, daß zur Kraft des Widerspruchs zunächst ein vollkommen ge- spannter Gegensatz, also zum ersten Gliede Sicherheit des Selbstbewußtseyns, wirklicher Glaube an die Erhabenheit des Strebens gefordert wird, wie St. Schütze mit Recht behauptet. Auch der Thor muß zunächst als ungetheil- tes, in voller Selbsttäuschung mit sich abgeschlossenes Subject erscheinen. Allein trotzdem darf das Selbstvertrauen nicht ein schlechtweg verhärtetes seyn, viel- mehr müssen die zur Selbstbeschönigung aufgebotenen Mittel das im Hin- tergrunde arbeitende Bewußtseyn der Verirrung verrathen und ebendies bietet dem Unterschieben den Anknüpfungspunkt dar.
St. Schütze a. a. O. S. 44. 48 und an mehreren andern Stellen. Er erwägt aber die Schwierigkeit nicht, die durch die Forderung voller Selbstzufriedenheit der komischen Person für das Leihen entsteht, weil er diesen nothwendigen Act zwar erwähnt (S. 75. 99), aber weit nicht mit der gehörigen Schärfe und Wichtigkeit. Dagegen gibt Ruge, der jedoch die Nothwendigkeit des Selbstvertrauens hervorzuheben versäumt, in anderem Zusammenhang den Grund an, wodurch das Leihen trotz demselben begreiflich wird: es darf dennoch nicht ganz festgewurzelte, un- flüssige, verhärtete Trübung des Geistes, verstockte Unsittlichkeit u. s. w. vor- liegen (a. a. O. S. 111. 113). Diese, von uns schon zu §. 153 aufgenom-
25*
eigene wahre Reihe im Denken des Zuſchauers, die fremde wahre, und die fremde von dieſem untergelegte illuſoriſche, und nun fortfährt: „die Anſchaulichkeit zwingt uns zum Hinüber- und Herüber-Wechſelſpiel mit dieſen drei einander entgegenſtrebenden Reihen, aber dieſer Zwang ver- liert durch die Unvereinbarkeit ſich in eine heitere Willkür. Das Ko- miſche iſt alſo der Genuß oder die Phantaſie und Poeſie des ganz für das Freie entbundenen Verſtandes, welcher ſich an drei Schluß- oder Blumenketten ſpielend entwickelt und daran hin- und wieder tanzt.“ Von der Geltung des Verſtandes iſt noch zu ſprechen.
§. 177.
Es iſt aber nun dieſe Erklärung auf die zwei in §. 172 unterſchiedenen Fälle anzuwenden. Kommt die Störung aus dem eigenen Innern des verlachten Subjects, ſo ſtößt das Leihen darum auf ungleich geringere Schwierigkeit, weil Ausdehnung auf das eigene Innere die unzweifelhafte Beſtimmung des Selbſt- bewußtſeyns iſt, alſo dem Subjecte ein Wiſſen um ſeine Verirrung unterzuſchie- ben ganz nahe liegt. Dagegen erwächst daraus auch in dieſem Falle eine große Schwierigkeit, daß zur Kraft des Widerſpruchs zunächſt ein vollkommen ge- ſpannter Gegenſatz, alſo zum erſten Gliede Sicherheit des Selbſtbewußtſeyns, wirklicher Glaube an die Erhabenheit des Strebens gefordert wird, wie St. Schütze mit Recht behauptet. Auch der Thor muß zunächſt als ungetheil- tes, in voller Selbſttäuſchung mit ſich abgeſchloſſenes Subject erſcheinen. Allein trotzdem darf das Selbſtvertrauen nicht ein ſchlechtweg verhärtetes ſeyn, viel- mehr müſſen die zur Selbſtbeſchönigung aufgebotenen Mittel das im Hin- tergrunde arbeitende Bewußtſeyn der Verirrung verrathen und ebendies bietet dem Unterſchieben den Anknüpfungspunkt dar.
St. Schütze a. a. O. S. 44. 48 und an mehreren andern Stellen. Er erwägt aber die Schwierigkeit nicht, die durch die Forderung voller Selbſtzufriedenheit der komiſchen Perſon für das Leihen entſteht, weil er dieſen nothwendigen Act zwar erwähnt (S. 75. 99), aber weit nicht mit der gehörigen Schärfe und Wichtigkeit. Dagegen gibt Ruge, der jedoch die Nothwendigkeit des Selbſtvertrauens hervorzuheben verſäumt, in anderem Zuſammenhang den Grund an, wodurch das Leihen trotz demſelben begreiflich wird: es darf dennoch nicht ganz feſtgewurzelte, un- flüſſige, verhärtete Trübung des Geiſtes, verſtockte Unſittlichkeit u. ſ. w. vor- liegen (a. a. O. S. 111. 113). Dieſe, von uns ſchon zu §. 153 aufgenom-
25*
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><divn="4"><divn="5"><p><hirendition="#et"><pbfacs="#f0401"n="387"/>
eigene wahre Reihe im Denken des Zuſchauers, die fremde wahre, und<lb/>
die fremde von dieſem untergelegte illuſoriſche, und nun fortfährt: „die<lb/>
Anſchaulichkeit zwingt uns zum Hinüber- und Herüber-Wechſelſpiel mit<lb/>
dieſen drei einander entgegenſtrebenden Reihen, aber dieſer Zwang ver-<lb/>
liert durch die Unvereinbarkeit ſich in eine heitere Willkür. Das Ko-<lb/>
miſche iſt alſo der Genuß oder die Phantaſie und Poeſie des ganz für<lb/>
das Freie entbundenen Verſtandes, welcher ſich an drei Schluß- oder<lb/>
Blumenketten ſpielend entwickelt und daran hin- und wieder tanzt.“<lb/>
Von der Geltung des Verſtandes iſt noch zu ſprechen.</hi></p></div><lb/><divn="5"><head>§. 177.</head><lb/><p><hirendition="#fr">Es iſt aber nun dieſe Erklärung auf die zwei in §. 172 unterſchiedenen<lb/>
Fälle anzuwenden. Kommt die Störung aus dem eigenen Innern des verlachten<lb/>
Subjects, ſo ſtößt das Leihen darum auf ungleich geringere Schwierigkeit, weil<lb/>
Ausdehnung auf das eigene Innere die unzweifelhafte Beſtimmung des Selbſt-<lb/>
bewußtſeyns iſt, alſo dem Subjecte ein Wiſſen um ſeine Verirrung unterzuſchie-<lb/>
ben ganz nahe liegt. Dagegen erwächst daraus auch in dieſem Falle eine große<lb/>
Schwierigkeit, daß zur Kraft des Widerſpruchs zunächſt ein vollkommen ge-<lb/>ſpannter Gegenſatz, alſo zum erſten Gliede Sicherheit des Selbſtbewußtſeyns,<lb/>
wirklicher Glaube an die Erhabenheit des Strebens gefordert wird, wie<lb/><hirendition="#g">St. Schütze</hi> mit Recht behauptet. Auch der Thor muß zunächſt als ungetheil-<lb/>
tes, in voller Selbſttäuſchung mit ſich abgeſchloſſenes Subject erſcheinen. Allein<lb/>
trotzdem darf das Selbſtvertrauen nicht ein ſchlechtweg verhärtetes ſeyn, viel-<lb/>
mehr müſſen die zur <hirendition="#g">Selbſtbeſchönigung</hi> aufgebotenen Mittel das im Hin-<lb/>
tergrunde arbeitende Bewußtſeyn der Verirrung verrathen und ebendies bietet<lb/>
dem Unterſchieben den Anknüpfungspunkt dar.</hi></p><lb/><p><hirendition="#et"><hirendition="#g">St. Schütze</hi> a. a. O. S. 44. 48 und an mehreren andern Stellen.<lb/>
Er erwägt aber die Schwierigkeit nicht, die durch die Forderung voller<lb/>
Selbſtzufriedenheit der komiſchen Perſon für das Leihen entſteht, weil er<lb/>
dieſen nothwendigen Act zwar erwähnt (S. 75. 99), aber weit nicht<lb/>
mit der gehörigen Schärfe und Wichtigkeit. Dagegen gibt <hirendition="#g">Ruge</hi>, der<lb/>
jedoch die Nothwendigkeit des Selbſtvertrauens hervorzuheben verſäumt,<lb/>
in anderem Zuſammenhang den Grund an, wodurch das Leihen trotz<lb/>
demſelben begreiflich wird: es darf dennoch nicht ganz feſtgewurzelte, un-<lb/>
flüſſige, verhärtete Trübung des Geiſtes, verſtockte Unſittlichkeit u. ſ. w. vor-<lb/>
liegen (a. a. O. S. 111. 113). Dieſe, von uns ſchon zu §. 153 aufgenom-</hi><lb/><fwplace="bottom"type="sig">25*</fw><lb/></p></div></div></div></div></div></body></text></TEI>
[387/0401]
eigene wahre Reihe im Denken des Zuſchauers, die fremde wahre, und
die fremde von dieſem untergelegte illuſoriſche, und nun fortfährt: „die
Anſchaulichkeit zwingt uns zum Hinüber- und Herüber-Wechſelſpiel mit
dieſen drei einander entgegenſtrebenden Reihen, aber dieſer Zwang ver-
liert durch die Unvereinbarkeit ſich in eine heitere Willkür. Das Ko-
miſche iſt alſo der Genuß oder die Phantaſie und Poeſie des ganz für
das Freie entbundenen Verſtandes, welcher ſich an drei Schluß- oder
Blumenketten ſpielend entwickelt und daran hin- und wieder tanzt.“
Von der Geltung des Verſtandes iſt noch zu ſprechen.
§. 177.
Es iſt aber nun dieſe Erklärung auf die zwei in §. 172 unterſchiedenen
Fälle anzuwenden. Kommt die Störung aus dem eigenen Innern des verlachten
Subjects, ſo ſtößt das Leihen darum auf ungleich geringere Schwierigkeit, weil
Ausdehnung auf das eigene Innere die unzweifelhafte Beſtimmung des Selbſt-
bewußtſeyns iſt, alſo dem Subjecte ein Wiſſen um ſeine Verirrung unterzuſchie-
ben ganz nahe liegt. Dagegen erwächst daraus auch in dieſem Falle eine große
Schwierigkeit, daß zur Kraft des Widerſpruchs zunächſt ein vollkommen ge-
ſpannter Gegenſatz, alſo zum erſten Gliede Sicherheit des Selbſtbewußtſeyns,
wirklicher Glaube an die Erhabenheit des Strebens gefordert wird, wie
St. Schütze mit Recht behauptet. Auch der Thor muß zunächſt als ungetheil-
tes, in voller Selbſttäuſchung mit ſich abgeſchloſſenes Subject erſcheinen. Allein
trotzdem darf das Selbſtvertrauen nicht ein ſchlechtweg verhärtetes ſeyn, viel-
mehr müſſen die zur Selbſtbeſchönigung aufgebotenen Mittel das im Hin-
tergrunde arbeitende Bewußtſeyn der Verirrung verrathen und ebendies bietet
dem Unterſchieben den Anknüpfungspunkt dar.
St. Schütze a. a. O. S. 44. 48 und an mehreren andern Stellen.
Er erwägt aber die Schwierigkeit nicht, die durch die Forderung voller
Selbſtzufriedenheit der komiſchen Perſon für das Leihen entſteht, weil er
dieſen nothwendigen Act zwar erwähnt (S. 75. 99), aber weit nicht
mit der gehörigen Schärfe und Wichtigkeit. Dagegen gibt Ruge, der
jedoch die Nothwendigkeit des Selbſtvertrauens hervorzuheben verſäumt,
in anderem Zuſammenhang den Grund an, wodurch das Leihen trotz
demſelben begreiflich wird: es darf dennoch nicht ganz feſtgewurzelte, un-
flüſſige, verhärtete Trübung des Geiſtes, verſtockte Unſittlichkeit u. ſ. w. vor-
liegen (a. a. O. S. 111. 113). Dieſe, von uns ſchon zu §. 153 aufgenom-
25*
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 1. Reutlingen u. a., 1846, S. 387. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik01_1846/401>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.