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Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 1. Reutlingen u. a., 1846.

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Sau fließe, so wäre der Spaß gerade verloren, wenn man irgend
denken könnte, die Wurzel Ire sey mit Irren und Sawe mit Sau ver-
wandt. Daher ist vielmehr der zweite Grund, den J. Paul für den
Reiz des Wortspiels angibt, der wahre: es sey das Erstaunen über den
Zufall, der durch die Welt ziehe, spielend mit Klängen und Welttheilen,
und der dritte: es sey das Gefallen an der Geistesfreiheit, welche im
Stande ist, den Blick von der Sache zu wenden gegen das Zeichen hin.
Es braucht keine Nachweisung, wie diese Form sinnlich unmittelbar, daher
naiv, volksthümlich und im Burlesken, das die höheren Formen in sich
aufnimmt, so gut es auf seinem Boden kann, vorzüglich beliebt ist.

2. Das Sinn-Wortspiel dagegen hält sich an die Bedeutung und
ist daher ungleich reflectirter, denn es unterscheidet z. B. eine sinnliche
und eine unsinnliche Bedeutung desselben Worts, wie Bardolf, wenn er
auf Falstaffs reumüthiges Geständniß, er lebe außer allen Schranken,
antwortet: ei, ihr seid so fett, daß ihr wohl außer allen Schranken
seyn müßt, allen erdenklichen Schranken, oder wie Falstaff, da ihm Heinrich
und Poins sein Pferd gestohlen, ausruft: wenn ein Spaß so weit geht
und zwar obendrein zu Fuße, das hasse ich in den Tod. Beide Arten
des Wortspiels, das akustische und das Sinn-Wortspiel, wechseln sich
ab in folgender Stelle: Falstaff: meine ehrlichen Jungen, ich will euch
sagen, was mir vorschwebt. Pistol: ein Wanst von hundert Pfund.
F.: keine Wortspiele, Pistol! Allerdings hat mein Wanst es weit in
der Dicke gebracht, aber es ist hier die Rede nicht von Wänsten, sondern
von Gewinnsten, nicht von Dicke, sondern von Tücke. Namen werden
häufig benützt; sie haben als bloses Zeichen durch Gewohnheit ihre Be-
deutung verloren, der Wortwitz sucht diese wieder auf; so sagt Falstaff
zu Pistol: drücke dich aus unserer Gesellschaft ab, Pistol!

Wenn man das Absterben dieser beiden Formen des Witzes, das
mit der modernen Bildung mehr noch als Schicksal der ersten als der
zweiten eingetreten ist, nicht eben bedauern zu dürfen glaubt, so vergißt
man, daß die subjective Freiheit, die auch in dieser Form schaltet, ihr
Wesen ist, nicht der Werth des einzelnen Witzes. Shakespeare's Narren
z. B. wollen durch beständiges Mißverstehen, Verdrehen beschwerlich
seyn, damit jeder Begegnende zu erfahren bekomme, daß er auf die
hausbackene geläufige Ordnung der Begriffe sich nicht zu viel einbilden
dürfe, auf die Weisheit und Ernsthaftigkeit des methodischen Denkens
und Verfahrens. Freilich bekommt der Narr durch diese Absicht schon
etwas Universelles und wird eine Persönlichkeit: dies führt zum Humor.


Sau fließe, ſo wäre der Spaß gerade verloren, wenn man irgend
denken könnte, die Wurzel Ire ſey mit Irren und Sawe mit Sau ver-
wandt. Daher iſt vielmehr der zweite Grund, den J. Paul für den
Reiz des Wortſpiels angibt, der wahre: es ſey das Erſtaunen über den
Zufall, der durch die Welt ziehe, ſpielend mit Klängen und Welttheilen,
und der dritte: es ſey das Gefallen an der Geiſtesfreiheit, welche im
Stande iſt, den Blick von der Sache zu wenden gegen das Zeichen hin.
Es braucht keine Nachweiſung, wie dieſe Form ſinnlich unmittelbar, daher
naiv, volksthümlich und im Burlesken, das die höheren Formen in ſich
aufnimmt, ſo gut es auf ſeinem Boden kann, vorzüglich beliebt iſt.

2. Das Sinn-Wortſpiel dagegen hält ſich an die Bedeutung und
iſt daher ungleich reflectirter, denn es unterſcheidet z. B. eine ſinnliche
und eine unſinnliche Bedeutung deſſelben Worts, wie Bardolf, wenn er
auf Falſtaffs reumüthiges Geſtändniß, er lebe außer allen Schranken,
antwortet: ei, ihr ſeid ſo fett, daß ihr wohl außer allen Schranken
ſeyn müßt, allen erdenklichen Schranken, oder wie Falſtaff, da ihm Heinrich
und Poins ſein Pferd geſtohlen, ausruft: wenn ein Spaß ſo weit geht
und zwar obendrein zu Fuße, das haſſe ich in den Tod. Beide Arten
des Wortſpiels, das akuſtiſche und das Sinn-Wortſpiel, wechſeln ſich
ab in folgender Stelle: Falſtaff: meine ehrlichen Jungen, ich will euch
ſagen, was mir vorſchwebt. Piſtol: ein Wanſt von hundert Pfund.
F.: keine Wortſpiele, Piſtol! Allerdings hat mein Wanſt es weit in
der Dicke gebracht, aber es iſt hier die Rede nicht von Wänſten, ſondern
von Gewinnſten, nicht von Dicke, ſondern von Tücke. Namen werden
häufig benützt; ſie haben als bloſes Zeichen durch Gewohnheit ihre Be-
deutung verloren, der Wortwitz ſucht dieſe wieder auf; ſo ſagt Falſtaff
zu Piſtol: drücke dich aus unſerer Geſellſchaft ab, Piſtol!

Wenn man das Abſterben dieſer beiden Formen des Witzes, das
mit der modernen Bildung mehr noch als Schickſal der erſten als der
zweiten eingetreten iſt, nicht eben bedauern zu dürfen glaubt, ſo vergißt
man, daß die ſubjective Freiheit, die auch in dieſer Form ſchaltet, ihr
Weſen iſt, nicht der Werth des einzelnen Witzes. Shakespeare’s Narren
z. B. wollen durch beſtändiges Mißverſtehen, Verdrehen beſchwerlich
ſeyn, damit jeder Begegnende zu erfahren bekomme, daß er auf die
hausbackene geläufige Ordnung der Begriffe ſich nicht zu viel einbilden
dürfe, auf die Weisheit und Ernſthaftigkeit des methodiſchen Denkens
und Verfahrens. Freilich bekommt der Narr durch dieſe Abſicht ſchon
etwas Univerſelles und wird eine Perſönlichkeit: dies führt zum Humor.


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[430/0444] Sau fließe, ſo wäre der Spaß gerade verloren, wenn man irgend denken könnte, die Wurzel Ire ſey mit Irren und Sawe mit Sau ver- wandt. Daher iſt vielmehr der zweite Grund, den J. Paul für den Reiz des Wortſpiels angibt, der wahre: es ſey das Erſtaunen über den Zufall, der durch die Welt ziehe, ſpielend mit Klängen und Welttheilen, und der dritte: es ſey das Gefallen an der Geiſtesfreiheit, welche im Stande iſt, den Blick von der Sache zu wenden gegen das Zeichen hin. Es braucht keine Nachweiſung, wie dieſe Form ſinnlich unmittelbar, daher naiv, volksthümlich und im Burlesken, das die höheren Formen in ſich aufnimmt, ſo gut es auf ſeinem Boden kann, vorzüglich beliebt iſt. 2. Das Sinn-Wortſpiel dagegen hält ſich an die Bedeutung und iſt daher ungleich reflectirter, denn es unterſcheidet z. B. eine ſinnliche und eine unſinnliche Bedeutung deſſelben Worts, wie Bardolf, wenn er auf Falſtaffs reumüthiges Geſtändniß, er lebe außer allen Schranken, antwortet: ei, ihr ſeid ſo fett, daß ihr wohl außer allen Schranken ſeyn müßt, allen erdenklichen Schranken, oder wie Falſtaff, da ihm Heinrich und Poins ſein Pferd geſtohlen, ausruft: wenn ein Spaß ſo weit geht und zwar obendrein zu Fuße, das haſſe ich in den Tod. Beide Arten des Wortſpiels, das akuſtiſche und das Sinn-Wortſpiel, wechſeln ſich ab in folgender Stelle: Falſtaff: meine ehrlichen Jungen, ich will euch ſagen, was mir vorſchwebt. Piſtol: ein Wanſt von hundert Pfund. F.: keine Wortſpiele, Piſtol! Allerdings hat mein Wanſt es weit in der Dicke gebracht, aber es iſt hier die Rede nicht von Wänſten, ſondern von Gewinnſten, nicht von Dicke, ſondern von Tücke. Namen werden häufig benützt; ſie haben als bloſes Zeichen durch Gewohnheit ihre Be- deutung verloren, der Wortwitz ſucht dieſe wieder auf; ſo ſagt Falſtaff zu Piſtol: drücke dich aus unſerer Geſellſchaft ab, Piſtol! Wenn man das Abſterben dieſer beiden Formen des Witzes, das mit der modernen Bildung mehr noch als Schickſal der erſten als der zweiten eingetreten iſt, nicht eben bedauern zu dürfen glaubt, ſo vergißt man, daß die ſubjective Freiheit, die auch in dieſer Form ſchaltet, ihr Weſen iſt, nicht der Werth des einzelnen Witzes. Shakespeare’s Narren z. B. wollen durch beſtändiges Mißverſtehen, Verdrehen beſchwerlich ſeyn, damit jeder Begegnende zu erfahren bekomme, daß er auf die hausbackene geläufige Ordnung der Begriffe ſich nicht zu viel einbilden dürfe, auf die Weisheit und Ernſthaftigkeit des methodiſchen Denkens und Verfahrens. Freilich bekommt der Narr durch dieſe Abſicht ſchon etwas Univerſelles und wird eine Perſönlichkeit: dies führt zum Humor.

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Zitationshilfe: Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 1. Reutlingen u. a., 1846, S. 430. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik01_1846/444>, abgerufen am 22.11.2024.