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Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 1. Reutlingen u. a., 1846.

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c.
Das absolut Komische oder der Humor.
§. 205.

Der Witz hat sich nicht nur dem Stoffe nach über die ganze Welt des
Erhabenen verbreitet, sondern auch, da er zu jedem Nächsten das Entlegenste
herbeizog, die Welt der Objecte zu einem allgemeinen Ortswechsel und In-
einander durchgearbeitet. Dieses Herbeiziehen des Entlegenen hat er als Ironie
zwar aufgegeben, aber während er durch das ironische Ansichhalten den ersten
Schritt that, sich in sein Object einzulassen, hat er doch zugleich das Ergebniß
jener Willkür nicht verloren, und wenn sich nun das Subject sowohl in anderen
Formen des Witzes, als auch in der ironischen, durch das dem Witz inwohnende
Bedürfniß stets neuer Stoffe und neuer Auflösung derselben über Alles und
Jedes in's Unendliche ausbreitet, so muß der Punkt eintreten, wo das wissen-
schaftliche Bewußtseyn des Mangels im Witze sein eigenes wird: das Subject
muß sich selbst unter seine komische Thätigkeit subsumiren. Jetzt ist die Ob-
ject und Subject trennende Reflexion aufgehoben; die Reflexion kommt bei dem
reflectirenden Subjecte selbst an und hebt daher die erste einseitige Reflexion auf.

Dem Witze muß endlich einfallen, daß er sich selbst ausgelassen hat:
so und nicht anders ist der Uebergang zum Humor zu begründen. Weiße
und Ruge, schon Jean Paul, gehen vom Begriffe der Universalität, der
allgemeinen Nichtigkeit des Endlichen aus, welche die Ersteren schon in
der Ironie finden; die Selbstverlachung des Humoristen wird dann erst
aus dieser Allgemeinheit abgeleitet. Allein dies ist umzukehren; denn
daß ich mich selbst unter das Komische subsumire, ist die erste Bedingung
universaler Komik. Ihr Eintritt vermittelt sich nothwendig dadurch, daß
der Witz, da er an Allem herumkommt, auch bei dem eigenen Subjecte
ankommen muß. Seine Continuität war eine äußerliche, allein diese ist
die Uebung und Bildung zur innerlichen. Sie war aber nicht nur eine
Ausdehnung über alle möglichen Stoffe, sondern auch ein allgemeines
Durcheinanderschütteln vermittelst des Sprungs zur entlegenen zweiten
Vorstellung. So wird das Subject reif zu der Subsumtion des Humors.
Der blos Witzige, der immer als Ich handelte, aber nur über ein Nicht-
Ich etwas aussagte, muß endlich auch: Ich sagen, d. h. er muß sagen:
auch ich bin komischer Stoff. Es ist dies Reflexion der Reflexion. Die
erste Reflexion war ein Reflectiren des Ich über die Nicht-Ich; als Nicht-

c.
Das abſolut Komiſche oder der Humor.
§. 205.

Der Witz hat ſich nicht nur dem Stoffe nach über die ganze Welt des
Erhabenen verbreitet, ſondern auch, da er zu jedem Nächſten das Entlegenſte
herbeizog, die Welt der Objecte zu einem allgemeinen Ortswechſel und In-
einander durchgearbeitet. Dieſes Herbeiziehen des Entlegenen hat er als Ironie
zwar aufgegeben, aber während er durch das ironiſche Anſichhalten den erſten
Schritt that, ſich in ſein Object einzulaſſen, hat er doch zugleich das Ergebniß
jener Willkür nicht verloren, und wenn ſich nun das Subject ſowohl in anderen
Formen des Witzes, als auch in der ironiſchen, durch das dem Witz inwohnende
Bedürfniß ſtets neuer Stoffe und neuer Auflöſung derſelben über Alles und
Jedes in’s Unendliche ausbreitet, ſo muß der Punkt eintreten, wo das wiſſen-
ſchaftliche Bewußtſeyn des Mangels im Witze ſein eigenes wird: das Subject
muß ſich ſelbſt unter ſeine komiſche Thätigkeit ſubſumiren. Jetzt iſt die Ob-
ject und Subject trennende Reflexion aufgehoben; die Reflexion kommt bei dem
reflectirenden Subjecte ſelbſt an und hebt daher die erſte einſeitige Reflexion auf.

Dem Witze muß endlich einfallen, daß er ſich ſelbſt ausgelaſſen hat:
ſo und nicht anders iſt der Uebergang zum Humor zu begründen. Weiße
und Ruge, ſchon Jean Paul, gehen vom Begriffe der Univerſalität, der
allgemeinen Nichtigkeit des Endlichen aus, welche die Erſteren ſchon in
der Ironie finden; die Selbſtverlachung des Humoriſten wird dann erſt
aus dieſer Allgemeinheit abgeleitet. Allein dies iſt umzukehren; denn
daß ich mich ſelbſt unter das Komiſche ſubſumire, iſt die erſte Bedingung
univerſaler Komik. Ihr Eintritt vermittelt ſich nothwendig dadurch, daß
der Witz, da er an Allem herumkommt, auch bei dem eigenen Subjecte
ankommen muß. Seine Continuität war eine äußerliche, allein dieſe iſt
die Uebung und Bildung zur innerlichen. Sie war aber nicht nur eine
Ausdehnung über alle möglichen Stoffe, ſondern auch ein allgemeines
Durcheinanderſchütteln vermittelſt des Sprungs zur entlegenen zweiten
Vorſtellung. So wird das Subject reif zu der Subſumtion des Humors.
Der blos Witzige, der immer als Ich handelté, aber nur über ein Nicht-
Ich etwas ausſagte, muß endlich auch: Ich ſagen, d. h. er muß ſagen:
auch ich bin komiſcher Stoff. Es iſt dies Reflexion der Reflexion. Die
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[444/0458] c. Das abſolut Komiſche oder der Humor. §. 205. Der Witz hat ſich nicht nur dem Stoffe nach über die ganze Welt des Erhabenen verbreitet, ſondern auch, da er zu jedem Nächſten das Entlegenſte herbeizog, die Welt der Objecte zu einem allgemeinen Ortswechſel und In- einander durchgearbeitet. Dieſes Herbeiziehen des Entlegenen hat er als Ironie zwar aufgegeben, aber während er durch das ironiſche Anſichhalten den erſten Schritt that, ſich in ſein Object einzulaſſen, hat er doch zugleich das Ergebniß jener Willkür nicht verloren, und wenn ſich nun das Subject ſowohl in anderen Formen des Witzes, als auch in der ironiſchen, durch das dem Witz inwohnende Bedürfniß ſtets neuer Stoffe und neuer Auflöſung derſelben über Alles und Jedes in’s Unendliche ausbreitet, ſo muß der Punkt eintreten, wo das wiſſen- ſchaftliche Bewußtſeyn des Mangels im Witze ſein eigenes wird: das Subject muß ſich ſelbſt unter ſeine komiſche Thätigkeit ſubſumiren. Jetzt iſt die Ob- ject und Subject trennende Reflexion aufgehoben; die Reflexion kommt bei dem reflectirenden Subjecte ſelbſt an und hebt daher die erſte einſeitige Reflexion auf. Dem Witze muß endlich einfallen, daß er ſich ſelbſt ausgelaſſen hat: ſo und nicht anders iſt der Uebergang zum Humor zu begründen. Weiße und Ruge, ſchon Jean Paul, gehen vom Begriffe der Univerſalität, der allgemeinen Nichtigkeit des Endlichen aus, welche die Erſteren ſchon in der Ironie finden; die Selbſtverlachung des Humoriſten wird dann erſt aus dieſer Allgemeinheit abgeleitet. Allein dies iſt umzukehren; denn daß ich mich ſelbſt unter das Komiſche ſubſumire, iſt die erſte Bedingung univerſaler Komik. Ihr Eintritt vermittelt ſich nothwendig dadurch, daß der Witz, da er an Allem herumkommt, auch bei dem eigenen Subjecte ankommen muß. Seine Continuität war eine äußerliche, allein dieſe iſt die Uebung und Bildung zur innerlichen. Sie war aber nicht nur eine Ausdehnung über alle möglichen Stoffe, ſondern auch ein allgemeines Durcheinanderſchütteln vermittelſt des Sprungs zur entlegenen zweiten Vorſtellung. So wird das Subject reif zu der Subſumtion des Humors. Der blos Witzige, der immer als Ich handelté, aber nur über ein Nicht- Ich etwas ausſagte, muß endlich auch: Ich ſagen, d. h. er muß ſagen: auch ich bin komiſcher Stoff. Es iſt dies Reflexion der Reflexion. Die erſte Reflexion war ein Reflectiren des Ich über die Nicht-Ich; als Nicht-

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Zitationshilfe: Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 1. Reutlingen u. a., 1846, S. 444. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik01_1846/458>, abgerufen am 22.11.2024.