und mit dem in seine geheimen Motive verfolgten praktischen, als mit dem Gemüthsleben der Religion. Dies erfüllte innere Leben in der Art komisch darstellen, wie Schmelzle von sich erzählt beim Abendmahle, ist Humor.
§. 211.
1
Der Humor weiß daher, wo er nur irgend ein Erhabenes in seine Stö- rung verfolgt, daß nichts rein ist, und sein Schmerz ist so allgemein, wie seine 2Begeisterung, ja der tiefste Eckel und Ueberdruß an der Welt. Was nun die Natur des Gegenglieds betrifft, so öffnet sich ihm schon darum, weil er das Erhabene als Gemüthsleben aufsucht, vor Allem das Gebiet der inneren Stö- rungen und er hat den tiefsten Blick in ihren geheimen Ursprung, allein dadurch ist der äußere Zufall und der gröbste Gegenstoß nicht ausgeschlossen; das Eigene des Humors ist, daß er auch diesen mit Bewußtseyn in Ein allgemeines Subject 3mit dem Erhabenen, das sich in ihn verstrickt, zusammenfaßt. Er erweitert so sein Ich zur Welt, seinen innern Widerspruch zum Weltwiderspruch und was sich ihm als ein Verstricktes darstellt, ist ihm, weil in Wahrheit in der Sub- jectivität sich ewig das Ganze des Daseyns in sich zusammenfaßt, die Welt als unendliches Subject.
1. Der Humorist treibt immer Metaphysik. Wo der Naive ein Uebel als einzelnes verschmerzt, der Witzige den Aerger los wird durch einen Witz, da denkt der Humorist weiter und sieht das allgemeine Elend und Uebel, daß in Wahrheit nichts rein ist. Dieser Satz kann nur miß- verstanden werden, wenn man ihn böswillig aus dem Zusammenhang reißt. Der Schmerz des Humoristen ist daher immer allgemein und wäre als Weltschmerz zu bezeichnen, wenn dies Wort nicht durch Mißbrauch lächerlich geworden wäre. Ihm ist die Welt "eckel, schaal und uner- sprießlich, ein wüster Garten, der auf in Samen schießt: verworfnes Unkraut erfüllt ihn gänzlich".
2. Die innern Störungen scheinen oft so außer Zusammenhang mit dem reinen geistigen Leben des Subjects zu stehen, daß die Vorstellung sie dem Teufel zuschreibt, wie dies humoristisch Schmelzle in der vorhin angeführten Scene thut. Der Humor kennt aber wohl ihre Quelle in den geheimen Abgründen der menschlichen Seele. Es folgt aus der Inner- lichkeit des Humors, daß er vorzüglich Störungen dieser Art aufsucht; aber auch den äußern Zufall zieht er ebensogern herein, sey es im strengen
und mit dem in ſeine geheimen Motive verfolgten praktiſchen, als mit dem Gemüthsleben der Religion. Dies erfüllte innere Leben in der Art komiſch darſtellen, wie Schmelzle von ſich erzählt beim Abendmahle, iſt Humor.
§. 211.
1
Der Humor weiß daher, wo er nur irgend ein Erhabenes in ſeine Stö- rung verfolgt, daß nichts rein iſt, und ſein Schmerz iſt ſo allgemein, wie ſeine 2Begeiſterung, ja der tiefſte Eckel und Ueberdruß an der Welt. Was nun die Natur des Gegenglieds betrifft, ſo öffnet ſich ihm ſchon darum, weil er das Erhabene als Gemüthsleben aufſucht, vor Allem das Gebiet der inneren Stö- rungen und er hat den tiefſten Blick in ihren geheimen Urſprung, allein dadurch iſt der äußere Zufall und der gröbſte Gegenſtoß nicht ausgeſchloſſen; das Eigene des Humors iſt, daß er auch dieſen mit Bewußtſeyn in Ein allgemeines Subject 3mit dem Erhabenen, das ſich in ihn verſtrickt, zuſammenfaßt. Er erweitert ſo ſein Ich zur Welt, ſeinen innern Widerſpruch zum Weltwiderſpruch und was ſich ihm als ein Verſtricktes darſtellt, iſt ihm, weil in Wahrheit in der Sub- jectivität ſich ewig das Ganze des Daſeyns in ſich zuſammenfaßt, die Welt als unendliches Subject.
1. Der Humoriſt treibt immer Metaphyſik. Wo der Naive ein Uebel als einzelnes verſchmerzt, der Witzige den Aerger los wird durch einen Witz, da denkt der Humoriſt weiter und ſieht das allgemeine Elend und Uebel, daß in Wahrheit nichts rein iſt. Dieſer Satz kann nur miß- verſtanden werden, wenn man ihn böswillig aus dem Zuſammenhang reißt. Der Schmerz des Humoriſten iſt daher immer allgemein und wäre als Weltſchmerz zu bezeichnen, wenn dies Wort nicht durch Mißbrauch lächerlich geworden wäre. Ihm iſt die Welt „eckel, ſchaal und uner- ſprießlich, ein wüſter Garten, der auf in Samen ſchießt: verworfnes Unkraut erfüllt ihn gänzlich“.
2. Die innern Störungen ſcheinen oft ſo außer Zuſammenhang mit dem reinen geiſtigen Leben des Subjects zu ſtehen, daß die Vorſtellung ſie dem Teufel zuſchreibt, wie dies humoriſtiſch Schmelzle in der vorhin angeführten Scene thut. Der Humor kennt aber wohl ihre Quelle in den geheimen Abgründen der menſchlichen Seele. Es folgt aus der Inner- lichkeit des Humors, daß er vorzüglich Störungen dieſer Art aufſucht; aber auch den äußern Zufall zieht er ebenſogern herein, ſey es im ſtrengen
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[452/0466]
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komiſch darſtellen, wie Schmelzle von ſich erzählt beim Abendmahle, iſt
Humor.
§. 211.
Der Humor weiß daher, wo er nur irgend ein Erhabenes in ſeine Stö-
rung verfolgt, daß nichts rein iſt, und ſein Schmerz iſt ſo allgemein, wie ſeine
Begeiſterung, ja der tiefſte Eckel und Ueberdruß an der Welt. Was nun die
Natur des Gegenglieds betrifft, ſo öffnet ſich ihm ſchon darum, weil er das
Erhabene als Gemüthsleben aufſucht, vor Allem das Gebiet der inneren Stö-
rungen und er hat den tiefſten Blick in ihren geheimen Urſprung, allein dadurch
iſt der äußere Zufall und der gröbſte Gegenſtoß nicht ausgeſchloſſen; das Eigene
des Humors iſt, daß er auch dieſen mit Bewußtſeyn in Ein allgemeines Subject
mit dem Erhabenen, das ſich in ihn verſtrickt, zuſammenfaßt. Er erweitert ſo
ſein Ich zur Welt, ſeinen innern Widerſpruch zum Weltwiderſpruch und was
ſich ihm als ein Verſtricktes darſtellt, iſt ihm, weil in Wahrheit in der Sub-
jectivität ſich ewig das Ganze des Daſeyns in ſich zuſammenfaßt, die Welt als
unendliches Subject.
1. Der Humoriſt treibt immer Metaphyſik. Wo der Naive ein
Uebel als einzelnes verſchmerzt, der Witzige den Aerger los wird durch
einen Witz, da denkt der Humoriſt weiter und ſieht das allgemeine Elend
und Uebel, daß in Wahrheit nichts rein iſt. Dieſer Satz kann nur miß-
verſtanden werden, wenn man ihn böswillig aus dem Zuſammenhang
reißt. Der Schmerz des Humoriſten iſt daher immer allgemein und wäre
als Weltſchmerz zu bezeichnen, wenn dies Wort nicht durch Mißbrauch
lächerlich geworden wäre. Ihm iſt die Welt „eckel, ſchaal und uner-
ſprießlich, ein wüſter Garten, der auf in Samen ſchießt: verworfnes
Unkraut erfüllt ihn gänzlich“.
2. Die innern Störungen ſcheinen oft ſo außer Zuſammenhang mit
dem reinen geiſtigen Leben des Subjects zu ſtehen, daß die Vorſtellung
ſie dem Teufel zuſchreibt, wie dies humoriſtiſch Schmelzle in der vorhin
angeführten Scene thut. Der Humor kennt aber wohl ihre Quelle in
den geheimen Abgründen der menſchlichen Seele. Es folgt aus der Inner-
lichkeit des Humors, daß er vorzüglich Störungen dieſer Art aufſucht;
aber auch den äußern Zufall zieht er ebenſogern herein, ſey es im ſtrengen
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Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 1. Reutlingen u. a., 1846, S. 452. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik01_1846/466>, abgerufen am 22.11.2024.
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