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Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 1. Reutlingen u. a., 1846.

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des Tragischen aus, allein sein Element war doch zu sehr die bruchlose
Einheit des Schönen, um den Uebergang in das Komische weiter, als bis
zu den naiven Formen desselben mit Glück zu verfolgen. Er wird daher im
Komischen sogar unrein und verwerflich, wie in den Mitschuldigen und
dem Bürgergeneral. Im Faust liegen zwar große Elemente des höchsten
Humors, ja der Held und Mephistopheles bilden eines jener unsterblichen
Paare, in welchen das Grundwesen des Komischen in seinem es bedin-
genden Gegensatze zum Erhabenen typisch verewigt ist; aber das Paar
ist nicht in fortlaufende Handlung gesetzt, denn wo diese recht anfangen
sollte, ging dem Dichter die Kraft der Schöpfung aus. Schillers
Erhabenheit fordert das Komische heraus, aber um der Abstractheit
ihrer Grundlage willen, welche dem Dichter verborgen ist, so, daß nicht
er das Geforderte vollziehen konnte, denn es widerstand ihm völlig,
sondern der Reiz zur Parodie in Andern entsteht.

Könnte aber nicht die Frage aufgeworfen werden, ob der Rückgang
des Komischen nicht vielmehr in das einfach Schöne gehe, als in's Er-
habene? Es wäre diese Ansicht immer noch grundverschieden von dem
Verfahren Weißes und Ruges, welche vom Komischen in das Ideal
den Uebergang nehmen. Davon nachher; wir lassen den Gegensatz
von Ideal und Schönheit, die nicht Ideal ist, noch ganz zur Seite
liegen. Die Antwort auf jene Frage aber ist, daß unmittelbar das
Komische nicht in die Ruhe der einfachen Schönheit zurückkann. Was
es zu seiner Ergänzung fordert, ist sein Gegensatz, das Erhabene; nur
mit diesem erlöscht es wieder im Schönen. Man könnte etwa sagen:
der Humor erkennt im Kleinen, im beschränkten Daseyn die Gegenwart
der Idee, also sieht er den Widerstreit zwischen Idee und Bild gelöst und
steht wieder im Schönen. Diesen Uebergang nehmen Weiße und Ruge,
indem sie auf diesem Punkte das Naive als eine seelenvolle, liebens-
würdige Natur einführen. Allein das komisch Naive führt nicht zu der
reinen Naivetät des Schönen, sondern es verletzt einen Zusammenhang,
in welchem eine Forderung künstlicher Rücksicht und Anständigkeit auftrat.
Gegen diese behält dann zwar die unschuldige Natur Recht, aber dies
Recht hat seinen Sinn ganz nur in jenem Gegensatze und die Bewegung
hebt durch den schnellen Riß auch hier mit einer momentanen Häßlich-
keit an. Das schöne Naive kennt diesen Gegensatz gar nicht; in der
Welt der einfachen Schönheit weiß man von keinen Convenienz-Rücksichten
der Unnatur und es gibt daher hier nichts über die Naivetät zu lachen,
richtiger, es gibt keine Naivetät. So ist aber die ganze Durchdringung

des Tragiſchen aus, allein ſein Element war doch zu ſehr die bruchloſe
Einheit des Schönen, um den Uebergang in das Komiſche weiter, als bis
zu den naiven Formen deſſelben mit Glück zu verfolgen. Er wird daher im
Komiſchen ſogar unrein und verwerflich, wie in den Mitſchuldigen und
dem Bürgergeneral. Im Fauſt liegen zwar große Elemente des höchſten
Humors, ja der Held und Mephiſtopheles bilden eines jener unſterblichen
Paare, in welchen das Grundweſen des Komiſchen in ſeinem es bedin-
genden Gegenſatze zum Erhabenen typiſch verewigt iſt; aber das Paar
iſt nicht in fortlaufende Handlung geſetzt, denn wo dieſe recht anfangen
ſollte, ging dem Dichter die Kraft der Schöpfung aus. Schillers
Erhabenheit fordert das Komiſche heraus, aber um der Abſtractheit
ihrer Grundlage willen, welche dem Dichter verborgen iſt, ſo, daß nicht
er das Geforderte vollziehen konnte, denn es widerſtand ihm völlig,
ſondern der Reiz zur Parodie in Andern entſteht.

Könnte aber nicht die Frage aufgeworfen werden, ob der Rückgang
des Komiſchen nicht vielmehr in das einfach Schöne gehe, als in’s Er-
habene? Es wäre dieſe Anſicht immer noch grundverſchieden von dem
Verfahren Weißes und Ruges, welche vom Komiſchen in das Ideal
den Uebergang nehmen. Davon nachher; wir laſſen den Gegenſatz
von Ideal und Schönheit, die nicht Ideal iſt, noch ganz zur Seite
liegen. Die Antwort auf jene Frage aber iſt, daß unmittelbar das
Komiſche nicht in die Ruhe der einfachen Schönheit zurückkann. Was
es zu ſeiner Ergänzung fordert, iſt ſein Gegenſatz, das Erhabene; nur
mit dieſem erlöſcht es wieder im Schönen. Man könnte etwa ſagen:
der Humor erkennt im Kleinen, im beſchränkten Daſeyn die Gegenwart
der Idee, alſo ſieht er den Widerſtreit zwiſchen Idee und Bild gelöst und
ſteht wieder im Schönen. Dieſen Uebergang nehmen Weiße und Ruge,
indem ſie auf dieſem Punkte das Naive als eine ſeelenvolle, liebens-
würdige Natur einführen. Allein das komiſch Naive führt nicht zu der
reinen Naivetät des Schönen, ſondern es verletzt einen Zuſammenhang,
in welchem eine Forderung künſtlicher Rückſicht und Anſtändigkeit auftrat.
Gegen dieſe behält dann zwar die unſchuldige Natur Recht, aber dies
Recht hat ſeinen Sinn ganz nur in jenem Gegenſatze und die Bewegung
hebt durch den ſchnellen Riß auch hier mit einer momentanen Häßlich-
keit an. Das ſchöne Naive kennt dieſen Gegenſatz gar nicht; in der
Welt der einfachen Schönheit weiß man von keinen Convenienz-Rückſichten
der Unnatur und es gibt daher hier nichts über die Naivetät zu lachen,
richtiger, es gibt keine Naivetät. So iſt aber die ganze Durchdringung

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[484/0498] des Tragiſchen aus, allein ſein Element war doch zu ſehr die bruchloſe Einheit des Schönen, um den Uebergang in das Komiſche weiter, als bis zu den naiven Formen deſſelben mit Glück zu verfolgen. Er wird daher im Komiſchen ſogar unrein und verwerflich, wie in den Mitſchuldigen und dem Bürgergeneral. Im Fauſt liegen zwar große Elemente des höchſten Humors, ja der Held und Mephiſtopheles bilden eines jener unſterblichen Paare, in welchen das Grundweſen des Komiſchen in ſeinem es bedin- genden Gegenſatze zum Erhabenen typiſch verewigt iſt; aber das Paar iſt nicht in fortlaufende Handlung geſetzt, denn wo dieſe recht anfangen ſollte, ging dem Dichter die Kraft der Schöpfung aus. Schillers Erhabenheit fordert das Komiſche heraus, aber um der Abſtractheit ihrer Grundlage willen, welche dem Dichter verborgen iſt, ſo, daß nicht er das Geforderte vollziehen konnte, denn es widerſtand ihm völlig, ſondern der Reiz zur Parodie in Andern entſteht. Könnte aber nicht die Frage aufgeworfen werden, ob der Rückgang des Komiſchen nicht vielmehr in das einfach Schöne gehe, als in’s Er- habene? Es wäre dieſe Anſicht immer noch grundverſchieden von dem Verfahren Weißes und Ruges, welche vom Komiſchen in das Ideal den Uebergang nehmen. Davon nachher; wir laſſen den Gegenſatz von Ideal und Schönheit, die nicht Ideal iſt, noch ganz zur Seite liegen. Die Antwort auf jene Frage aber iſt, daß unmittelbar das Komiſche nicht in die Ruhe der einfachen Schönheit zurückkann. Was es zu ſeiner Ergänzung fordert, iſt ſein Gegenſatz, das Erhabene; nur mit dieſem erlöſcht es wieder im Schönen. Man könnte etwa ſagen: der Humor erkennt im Kleinen, im beſchränkten Daſeyn die Gegenwart der Idee, alſo ſieht er den Widerſtreit zwiſchen Idee und Bild gelöst und ſteht wieder im Schönen. Dieſen Uebergang nehmen Weiße und Ruge, indem ſie auf dieſem Punkte das Naive als eine ſeelenvolle, liebens- würdige Natur einführen. Allein das komiſch Naive führt nicht zu der reinen Naivetät des Schönen, ſondern es verletzt einen Zuſammenhang, in welchem eine Forderung künſtlicher Rückſicht und Anſtändigkeit auftrat. Gegen dieſe behält dann zwar die unſchuldige Natur Recht, aber dies Recht hat ſeinen Sinn ganz nur in jenem Gegenſatze und die Bewegung hebt durch den ſchnellen Riß auch hier mit einer momentanen Häßlich- keit an. Das ſchöne Naive kennt dieſen Gegenſatz gar nicht; in der Welt der einfachen Schönheit weiß man von keinen Convenienz-Rückſichten der Unnatur und es gibt daher hier nichts über die Naivetät zu lachen, richtiger, es gibt keine Naivetät. So iſt aber die ganze Durchdringung

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Zitationshilfe: Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 1. Reutlingen u. a., 1846, S. 484. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik01_1846/498>, abgerufen am 22.11.2024.