die Lehre von der Kunst. Obgleich nun in dieser adäquatesten Wirklich- keit des Schönen vorzüglich die Untersuchungen der alten Philosophie sich bewegten, so ist doch weder über den Grundbegriff der Kunst, noch über die Gliederung der Künste von ihnen eine zusammenhängende Leistung zu erwarten; zudem mußten die zwei Künste Malerei und Musik schon des- wegen in ihrer Betrachtung zu kurz kommen, weil sie wirklich als Künste selbst noch gar nicht in die Tiefe ihres Wesens gestiegen waren. Großes und Ganzes konnte hier vielmehr erst die moderne Philosophie ausführen, denn die Kunst ist subjectiv-objective Wirklichkeit des Schönen; sie zu begreifen bedarf es einer Philosophie, deren Prinzip Einheit des Sub- jectiven und Objectiven und deren Werk Durchführung dieser Einheit ist. Demnach ist in diesen Theilen wenigstens so viel Parallele zwischen der Aesthetik und der Geschichte der Aesthetik, daß das subjectivere Gebiet von der Philosophie des Subjectivismus, dasjenige, welches von da den Uebergang zum Objectiven darstellt, von den das Speculative ahnenden Ausläufern dieser Philosophie, dagegen das objektivste und zugleich subjectivste Gebiet nur von der speculativen Philosophie ergründet werden konnte. Indem durch diese schließliche Leistung das ganze System sich vollendet, ist allerdings die Bemerkung zu §. 7 noch dahin näher zu bestimmen, daß diese systematische Ergründung und Durchführung erst möglich war, nachdem der Stoff bis auf den Punkt gesammelt, vorlag, wo eine ganze lange Kunstbildung sammt einer Summe der auf ihre Beurtheilung gerichteten vereinzelten Leistungen der Kritik und der Kunst- geschichte abgeschlossen war. Was im Gedanken als ein Ganzes auf- erstehen soll, muß als Ganzes in der Wirklichkeit abgeblüht seyn. Die Verwelkung wirft aber neue Blüthen in den empfänglichen Boden; eine neue Kunstwelt ist, "wenn das schon Gebildete wieder Stoff geworden seyn wird", in unbestimmter Zukunft zu erwarten und nach ihr eine neue Aesthetik; die Aesthetik, wie sie jetzt eine fertige Welt abschließt, muß nur den Ausblick in diese Zukunft der Kunst sowohl als ihrer Wissen- schaft, wie oben schon bemerkt wurde, offen halten und dies wird einst ihre Probe seyn.
die Lehre von der Kunſt. Obgleich nun in dieſer adäquateſten Wirklich- keit des Schönen vorzüglich die Unterſuchungen der alten Philoſophie ſich bewegten, ſo iſt doch weder über den Grundbegriff der Kunſt, noch über die Gliederung der Künſte von ihnen eine zuſammenhängende Leiſtung zu erwarten; zudem mußten die zwei Künſte Malerei und Muſik ſchon des- wegen in ihrer Betrachtung zu kurz kommen, weil ſie wirklich als Künſte ſelbſt noch gar nicht in die Tiefe ihres Weſens geſtiegen waren. Großes und Ganzes konnte hier vielmehr erſt die moderne Philoſophie ausführen, denn die Kunſt iſt ſubjectiv-objective Wirklichkeit des Schönen; ſie zu begreifen bedarf es einer Philoſophie, deren Prinzip Einheit des Sub- jectiven und Objectiven und deren Werk Durchführung dieſer Einheit iſt. Demnach iſt in dieſen Theilen wenigſtens ſo viel Parallele zwiſchen der Aeſthetik und der Geſchichte der Aeſthetik, daß das ſubjectivere Gebiet von der Philoſophie des Subjectivismus, dasjenige, welches von da den Uebergang zum Objectiven darſtellt, von den das Speculative ahnenden Ausläufern dieſer Philoſophie, dagegen das objektivſte und zugleich ſubjectivſte Gebiet nur von der ſpeculativen Philoſophie ergründet werden konnte. Indem durch dieſe ſchließliche Leiſtung das ganze Syſtem ſich vollendet, iſt allerdings die Bemerkung zu §. 7 noch dahin näher zu beſtimmen, daß dieſe ſyſtematiſche Ergründung und Durchführung erſt möglich war, nachdem der Stoff bis auf den Punkt geſammelt, vorlag, wo eine ganze lange Kunſtbildung ſammt einer Summe der auf ihre Beurtheilung gerichteten vereinzelten Leiſtungen der Kritik und der Kunſt- geſchichte abgeſchloſſen war. Was im Gedanken als ein Ganzes auf- erſtehen ſoll, muß als Ganzes in der Wirklichkeit abgeblüht ſeyn. Die Verwelkung wirft aber neue Blüthen in den empfänglichen Boden; eine neue Kunſtwelt iſt, „wenn das ſchon Gebildete wieder Stoff geworden ſeyn wird“, in unbeſtimmter Zukunft zu erwarten und nach ihr eine neue Aeſthetik; die Aeſthetik, wie ſie jetzt eine fertige Welt abſchließt, muß nur den Ausblick in dieſe Zukunft der Kunſt ſowohl als ihrer Wiſſen- ſchaft, wie oben ſchon bemerkt wurde, offen halten und dies wird einſt ihre Probe ſeyn.
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die Lehre von der Kunſt. Obgleich nun in dieſer adäquateſten Wirklich-
keit des Schönen vorzüglich die Unterſuchungen der alten Philoſophie ſich
bewegten, ſo iſt doch weder über den Grundbegriff der Kunſt, noch über
die Gliederung der Künſte von ihnen eine zuſammenhängende Leiſtung zu
erwarten; zudem mußten die zwei Künſte Malerei und Muſik ſchon des-
wegen in ihrer Betrachtung zu kurz kommen, weil ſie wirklich als Künſte
ſelbſt noch gar nicht in die Tiefe ihres Weſens geſtiegen waren. Großes
und Ganzes konnte hier vielmehr erſt die moderne Philoſophie ausführen,
denn die Kunſt iſt ſubjectiv-objective Wirklichkeit des Schönen; ſie zu
begreifen bedarf es einer Philoſophie, deren Prinzip Einheit des Sub-
jectiven und Objectiven und deren Werk Durchführung dieſer Einheit iſt.
Demnach iſt in dieſen Theilen wenigſtens ſo viel Parallele zwiſchen der
Aeſthetik und der Geſchichte der Aeſthetik, daß das ſubjectivere Gebiet
von der Philoſophie des Subjectivismus, dasjenige, welches von da den
Uebergang zum Objectiven darſtellt, von den das Speculative ahnenden
Ausläufern dieſer Philoſophie, dagegen das objektivſte und zugleich
ſubjectivſte Gebiet nur von der ſpeculativen Philoſophie ergründet werden
konnte. Indem durch dieſe ſchließliche Leiſtung das ganze Syſtem ſich
vollendet, iſt allerdings die Bemerkung zu §. 7 noch dahin näher zu
beſtimmen, daß dieſe ſyſtematiſche Ergründung und Durchführung erſt
möglich war, nachdem der Stoff bis auf den Punkt geſammelt, vorlag,
wo eine ganze lange Kunſtbildung ſammt einer Summe der auf ihre
Beurtheilung gerichteten vereinzelten Leiſtungen der Kritik und der Kunſt-
geſchichte abgeſchloſſen war. Was im Gedanken als ein Ganzes auf-
erſtehen ſoll, muß als Ganzes in der Wirklichkeit abgeblüht ſeyn. Die
Verwelkung wirft aber neue Blüthen in den empfänglichen Boden; eine
neue Kunſtwelt iſt, „wenn das ſchon Gebildete wieder Stoff geworden
ſeyn wird“, in unbeſtimmter Zukunft zu erwarten und nach ihr eine neue
Aeſthetik; die Aeſthetik, wie ſie jetzt eine fertige Welt abſchließt, muß
nur den Ausblick in dieſe Zukunft der Kunſt ſowohl als ihrer Wiſſen-
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Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 1. Reutlingen u. a., 1846, S. 41. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik01_1846/55>, abgerufen am 16.02.2025.
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