grenztem Punkte für die Sinne faßbar, allerdings die absolute Idee vollkommen dar. Also ein Schein und hinter diesem Schein eine Wahr- heit. Dies ist inhaltsvoller Schein: Erscheinung. Die Etymologie des Wortes Schön ist übrigens zweifelhaft; es kann zu Scheinen aber auch zu Schauen (schouwen, wie frone zu fro, frowes vergl. Wacker- nagels Wörterbuch) gehören; beide Ableitungen entsprechen jedoch gleich gut dem Begriffe.
§. 14.
Das Schöne ist also die Idee in der Form begrenzter Erscheinung. Es ist ein sinnlich Einzelnes, das, als reiner Ausdruck der Idee erscheint, so daß in dieser nichts ist, was nicht sinnlich erschiene und nichts sinnlich erscheint, was nicht reiner Ausdruck der Idee wäre. Es unterscheiden sich also drei Momente: die Idee, die sinnliche Erscheinung und die reine Einheit beider. Jedes dieser drei Momente ist gemäß dem wissenschaftlichen Zwecke gesondert zu betrachten.
Die Definition ließe sich mit unendlich vielen verwandten Wendungen anderer Aesthetiker zusammenstellen. Dieß ist jedoch von keinem Interesse, da die wichtigsten nach der in der Einleitung §. 8 aufgestellten Aufgabe, die Geschichte der Aesthetik in das System selbst einzuführen, an ihrem Orte hervorzuheben sind.
grenztem Punkte für die Sinne faßbar, allerdings die abſolute Idee vollkommen dar. Alſo ein Schein und hinter dieſem Schein eine Wahr- heit. Dies iſt inhaltsvoller Schein: Erſcheinung. Die Etymologie des Wortes Schön iſt übrigens zweifelhaft; es kann zu Scheinen aber auch zu Schauen (schouwen, wie frône zu frô, frôwes vergl. Wacker- nagels Wörterbuch) gehören; beide Ableitungen entſprechen jedoch gleich gut dem Begriffe.
§. 14.
Das Schöne iſt alſo die Idee in der Form begrenzter Erſcheinung. Es iſt ein ſinnlich Einzelnes, das, als reiner Ausdruck der Idee erſcheint, ſo daß in dieſer nichts iſt, was nicht ſinnlich erſchiene und nichts ſinnlich erſcheint, was nicht reiner Ausdruck der Idee wäre. Es unterſcheiden ſich alſo drei Momente: die Idee, die ſinnliche Erſcheinung und die reine Einheit beider. Jedes dieſer drei Momente iſt gemäß dem wiſſenſchaftlichen Zwecke geſondert zu betrachten.
Die Definition ließe ſich mit unendlich vielen verwandten Wendungen anderer Aeſthetiker zuſammenſtellen. Dieß iſt jedoch von keinem Intereſſe, da die wichtigſten nach der in der Einleitung §. 8 aufgeſtellten Aufgabe, die Geſchichte der Aeſthetik in das Syſtem ſelbſt einzuführen, an ihrem Orte hervorzuheben ſind.
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grenztem Punkte für die Sinne faßbar, allerdings die abſolute Idee
vollkommen dar. Alſo ein Schein und hinter dieſem Schein eine Wahr-
heit. Dies iſt inhaltsvoller Schein: Erſcheinung. Die Etymologie des
Wortes Schön iſt übrigens zweifelhaft; es kann zu Scheinen aber auch
zu Schauen (schouwen, wie frône zu frô, frôwes vergl. Wacker-
nagels Wörterbuch) gehören; beide Ableitungen entſprechen jedoch gleich
gut dem Begriffe.
§. 14.
Das Schöne iſt alſo die Idee in der Form begrenzter Erſcheinung. Es
iſt ein ſinnlich Einzelnes, das, als reiner Ausdruck der Idee erſcheint, ſo
daß in dieſer nichts iſt, was nicht ſinnlich erſchiene und nichts ſinnlich erſcheint,
was nicht reiner Ausdruck der Idee wäre. Es unterſcheiden ſich alſo drei
Momente: die Idee, die ſinnliche Erſcheinung und die reine Einheit beider.
Jedes dieſer drei Momente iſt gemäß dem wiſſenſchaftlichen Zwecke geſondert
zu betrachten.
Die Definition ließe ſich mit unendlich vielen verwandten Wendungen
anderer Aeſthetiker zuſammenſtellen. Dieß iſt jedoch von keinem Intereſſe,
da die wichtigſten nach der in der Einleitung §. 8 aufgeſtellten Aufgabe,
die Geſchichte der Aeſthetik in das Syſtem ſelbſt einzuführen, an ihrem
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Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 1. Reutlingen u. a., 1846, S. 54. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik01_1846/68>, abgerufen am 21.11.2024.
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