nun die Philosophie nicht mehr als den Kern aller Dinge den Gehalt soll aufweisen dürfen und können, der unendliche Formen annimmt und für sie und durch sie erst zum gedachten Begriffe wird, so ist sie aufge- hoben, ihr höchstes Ziel ist, sich zu zerstören und den Gedanken dazu zu benützen, um die Undenkbarkeit ihrer Gegenstände zu beweisen; die Kunst selbst aber wird ein Gespenst, das aus Furcht, durch Aufnahme eines Gehalts unselbständig zu werden, im leeren Scheine spuckt.
Diesen Keim einer falschen Kritik hat neuestens W. Danzel aus- gesponnen: Ueber die Aesthetik der Hegelschen Philosophie (1844). Er hat in dieser Schrift viel Wahres und Zeitgemäßes vor- gebracht, denn es thut wirklich noth, die alte Kantische Einsicht wieder in ihre Kraft einzusetzen, daß das Schöne ein reines Formwesen und alles stoffartige Interesse ihm fremd ist. Auch ist nicht zu läugnen, daß die von Hegel zunächst ausgegangene ästhetische Kritik, wie ihr der Verfasser vorwirft, bei der Beurtheilung von Kunstwerken häufig nur auf den Gehalt losging, ihn sogar blos als Gelegenheit benützte, das aus Religions- und Rechts-Philosophie anderweitig Bekannte zu wieder- holen, während man ja "gerade wissen wollte, was die Form als solche sey, woher sie stamme, und wie man ihre Wirkung zu erklären habe". Von dieser Verwechslung der spezifisch ästhetischen Kritik mit einer auf den Gehalt gerichteten philosophischen sucht Danzel den ur- sprünglichen Grund in einer stoffartigen Auffassung des Schönen, die der gesammten Kunstbetrachtung des Meisters zu Schulden kommen soll. Zunächst mit Rücksicht auf die Stellen in der Phänomenologie und Encyclopädie wird Hegel Vermischung der Kunst und Religion vorgeworfen; dieser Vorwurf ist nicht umzustoßen, auch die Vorlesungen über Aesthetik trifft er in einem gewissen Sinne, namentlich den ganzen zweiten Theil. Wenn nun aber gerade die Vorlesungen durch die ander- weitige Entwicklung der Hauptbegriffe das Spezifische des Schönen mit aller Entschiedenheit in die völlige Durchdringung des Gehalts mit der Form setzen, von welcher die Vorstellung, welche Hegel als das Element der Religion aufstellt, wohl zu unterscheiden ist, so beschränkt sich hier der Vorwurf, soweit er gerecht ist, dahin: Hegel verkennt nicht den Unter- schied beider Sphären, aber er dringt, wie wir sahen, zu unmittelbar auf den höchsten Gehalt in der Kunst; diesen faßt er theils als einen substanziell sittlichen, theils als religiösen; nun übersieht er zwar nicht, daß die Kunst diesen Gehalt nur in ihrer Weise darzustellen hat, aber er weist ihr einen zu engen Gehalt an und zieht sie darum -- zwar nicht in
nun die Philoſophie nicht mehr als den Kern aller Dinge den Gehalt ſoll aufweiſen dürfen und können, der unendliche Formen annimmt und für ſie und durch ſie erſt zum gedachten Begriffe wird, ſo iſt ſie aufge- hoben, ihr höchſtes Ziel iſt, ſich zu zerſtören und den Gedanken dazu zu benützen, um die Undenkbarkeit ihrer Gegenſtände zu beweiſen; die Kunſt ſelbſt aber wird ein Geſpenſt, das aus Furcht, durch Aufnahme eines Gehalts unſelbſtändig zu werden, im leeren Scheine ſpuckt.
Dieſen Keim einer falſchen Kritik hat neueſtens W. Danzel aus- geſponnen: Ueber die Aeſthetik der Hegelſchen Philoſophie (1844). Er hat in dieſer Schrift viel Wahres und Zeitgemäßes vor- gebracht, denn es thut wirklich noth, die alte Kantiſche Einſicht wieder in ihre Kraft einzuſetzen, daß das Schöne ein reines Formweſen und alles ſtoffartige Intereſſe ihm fremd iſt. Auch iſt nicht zu läugnen, daß die von Hegel zunächſt ausgegangene äſthetiſche Kritik, wie ihr der Verfaſſer vorwirft, bei der Beurtheilung von Kunſtwerken häufig nur auf den Gehalt losging, ihn ſogar blos als Gelegenheit benützte, das aus Religions- und Rechts-Philoſophie anderweitig Bekannte zu wieder- holen, während man ja „gerade wiſſen wollte, was die Form als ſolche ſey, woher ſie ſtamme, und wie man ihre Wirkung zu erklären habe“. Von dieſer Verwechslung der ſpezifiſch äſthetiſchen Kritik mit einer auf den Gehalt gerichteten philoſophiſchen ſucht Danzel den ur- ſprünglichen Grund in einer ſtoffartigen Auffaſſung des Schönen, die der geſammten Kunſtbetrachtung des Meiſters zu Schulden kommen ſoll. Zunächſt mit Rückſicht auf die Stellen in der Phänomenologie und Encyclopädie wird Hegel Vermiſchung der Kunſt und Religion vorgeworfen; dieſer Vorwurf iſt nicht umzuſtoßen, auch die Vorleſungen über Aeſthetik trifft er in einem gewiſſen Sinne, namentlich den ganzen zweiten Theil. Wenn nun aber gerade die Vorleſungen durch die ander- weitige Entwicklung der Hauptbegriffe das Spezifiſche des Schönen mit aller Entſchiedenheit in die völlige Durchdringung des Gehalts mit der Form ſetzen, von welcher die Vorſtellung, welche Hegel als das Element der Religion aufſtellt, wohl zu unterſcheiden iſt, ſo beſchränkt ſich hier der Vorwurf, ſoweit er gerecht iſt, dahin: Hegel verkennt nicht den Unter- ſchied beider Sphären, aber er dringt, wie wir ſahen, zu unmittelbar auf den höchſten Gehalt in der Kunſt; dieſen faßt er theils als einen ſubſtanziell ſittlichen, theils als religiöſen; nun überſieht er zwar nicht, daß die Kunſt dieſen Gehalt nur in ihrer Weiſe darzuſtellen hat, aber er weist ihr einen zu engen Gehalt an und zieht ſie darum — zwar nicht in
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für ſie und durch ſie erſt zum gedachten Begriffe wird, ſo iſt ſie aufge-
hoben, ihr höchſtes Ziel iſt, ſich zu zerſtören und den Gedanken dazu
zu benützen, um die Undenkbarkeit ihrer Gegenſtände zu beweiſen; die
Kunſt ſelbſt aber wird ein Geſpenſt, das aus Furcht, durch Aufnahme
eines Gehalts unſelbſtändig zu werden, im leeren Scheine ſpuckt.
Dieſen Keim einer falſchen Kritik hat neueſtens W. Danzel aus-
geſponnen: Ueber die Aeſthetik der Hegelſchen Philoſophie
(1844). Er hat in dieſer Schrift viel Wahres und Zeitgemäßes vor-
gebracht, denn es thut wirklich noth, die alte Kantiſche Einſicht
wieder in ihre Kraft einzuſetzen, daß das Schöne ein reines Formweſen
und alles ſtoffartige Intereſſe ihm fremd iſt. Auch iſt nicht zu läugnen,
daß die von Hegel zunächſt ausgegangene äſthetiſche Kritik, wie ihr der
Verfaſſer vorwirft, bei der Beurtheilung von Kunſtwerken häufig nur
auf den Gehalt losging, ihn ſogar blos als Gelegenheit benützte, das
aus Religions- und Rechts-Philoſophie anderweitig Bekannte zu wieder-
holen, während man ja „gerade wiſſen wollte, was die Form als
ſolche ſey, woher ſie ſtamme, und wie man ihre Wirkung zu erklären
habe“. Von dieſer Verwechslung der ſpezifiſch äſthetiſchen Kritik mit
einer auf den Gehalt gerichteten philoſophiſchen ſucht Danzel den ur-
ſprünglichen Grund in einer ſtoffartigen Auffaſſung des Schönen,
die der geſammten Kunſtbetrachtung des Meiſters zu Schulden kommen
ſoll. Zunächſt mit Rückſicht auf die Stellen in der Phänomenologie
und Encyclopädie wird Hegel Vermiſchung der Kunſt und Religion
vorgeworfen; dieſer Vorwurf iſt nicht umzuſtoßen, auch die Vorleſungen
über Aeſthetik trifft er in einem gewiſſen Sinne, namentlich den ganzen
zweiten Theil. Wenn nun aber gerade die Vorleſungen durch die ander-
weitige Entwicklung der Hauptbegriffe das Spezifiſche des Schönen mit aller
Entſchiedenheit in die völlige Durchdringung des Gehalts mit der Form
ſetzen, von welcher die Vorſtellung, welche Hegel als das Element der
Religion aufſtellt, wohl zu unterſcheiden iſt, ſo beſchränkt ſich hier der
Vorwurf, ſoweit er gerecht iſt, dahin: Hegel verkennt nicht den Unter-
ſchied beider Sphären, aber er dringt, wie wir ſahen, zu unmittelbar
auf den höchſten Gehalt in der Kunſt; dieſen faßt er theils als einen
ſubſtanziell ſittlichen, theils als religiöſen; nun überſieht er zwar nicht, daß
die Kunſt dieſen Gehalt nur in ihrer Weiſe darzuſtellen hat, aber er
weist ihr einen zu engen Gehalt an und zieht ſie darum — zwar nicht in
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Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 1. Reutlingen u. a., 1846, S. 59. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik01_1846/73>, abgerufen am 24.11.2024.
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