bringen könne. Einen solchen Inhalt scheint die Religion darzubieten als der Glaube an die Wirklichkeit eines Einzelnen, welches zugleich absolut ist.
1. Die Idee als sittlicher Zweck ist Selbstzweck, das heißt erstens: sie selbst setzt sich den Zweck oder vielmehr als Zweck, sie setzt sich in Form der Zukunft, um sich zu entfalten; zweitens: die Mittel, die sie dazu anwendet, sind ihre eigenen Momente, werden nicht von außen genommen, denn der Idee gehört Alles; drittens: indem sie bei dem Zwecke ankommt, kommt sie bei sich selbst an, denn sie hat sich entfaltet. Allein jedes Anlangen ist ein neues Anfangen jenes Hinaussetzens, die Kategorie des Sollens kehrt im Reiche des Handelns, um sich immer aufzuheben, immer wieder (vergl. Einl. §. 2, 2); denn eben jene Thä- tigkeit ist die Idee, und wenn sie jemals aufhörte, thätig zu seyn, wäre sie todt, also nicht Idee. Das Wissen erkennt dies Verhältniß und begreift, daß eben diese unendliche Bewegung das Absolute ist. Das Wissen ist also eben die wahre Form, durch welche das Absolute schließlich in den Begriff seiner selbst eingeht und sich nur im Sinne gedachter Allgemein- heit zu seinem eigenen Gegenstande macht. Allein das Wissen ist nicht sogleich, nachdem der Geist über die ganze bisher dargestellte Breite der Verwirklichungsstufen der Idee sich erhebt und sie überblickt, vorhanden. Jene Wahrheit der unendlich sich verwirklichenden Idee wird zuerst als Schein einer Vollendung auf einem einzelnen Punkte (welche aber zugleich Ausdruck jener unendlichen Thätigkeit, also nicht etwas Todtes ist) gefaßt. (s. §. 13. 14.)
2. Die Welt der Gegenstände, welche den Gehalt des Schönen bilden, ist hier, da es keinen höheren Gegenstand als das Gute geben kann, zu Ende. Der Gegenstände: dieß ist nicht gemeint, als werde übersehen, daß es die eine und selbe Idee ist, welche sich als Natur ausbreitet, als Geist im Gegensatze thätig ist und diese ganze Entfaltung wieder in den höchsten Sphären des Geistes in Eins zusammenfaßt. Die Trennung ist aber hier nothwendig, eben weil ein Punkt gesetzt werden muß, wo nun das Spezifische eintritt, wodurch der bisher dargestellte Inhalt im vorliegenden Gebiete aufhört, bloßer Gegenstand zu seyn. Jetzt also hätte die Untersuchung zu beginnen, was im Schönen mit dem bisher geschilderten Inhalt vorgehe, und wie eben dieser Vorgang nun den Unterschied des Schönen von dem bisher entwickelten Gehalte bilde.
3. Hier tritt nun aber die Frage dazwischen, ob nicht das Schöne, wenn es die absolute Idee als schlechthin verwirklicht oder als mangellos
Vischer's Aesthetik. 1. Bd. 6
bringen könne. Einen ſolchen Inhalt ſcheint die Religion darzubieten als der Glaube an die Wirklichkeit eines Einzelnen, welches zugleich abſolut iſt.
1. Die Idee als ſittlicher Zweck iſt Selbſtzweck, das heißt erſtens: ſie ſelbſt ſetzt ſich den Zweck oder vielmehr als Zweck, ſie ſetzt ſich in Form der Zukunft, um ſich zu entfalten; zweitens: die Mittel, die ſie dazu anwendet, ſind ihre eigenen Momente, werden nicht von außen genommen, denn der Idee gehört Alles; drittens: indem ſie bei dem Zwecke ankommt, kommt ſie bei ſich ſelbſt an, denn ſie hat ſich entfaltet. Allein jedes Anlangen iſt ein neues Anfangen jenes Hinausſetzens, die Kategorie des Sollens kehrt im Reiche des Handelns, um ſich immer aufzuheben, immer wieder (vergl. Einl. §. 2, 2); denn eben jene Thä- tigkeit iſt die Idee, und wenn ſie jemals aufhörte, thätig zu ſeyn, wäre ſie todt, alſo nicht Idee. Das Wiſſen erkennt dies Verhältniß und begreift, daß eben dieſe unendliche Bewegung das Abſolute iſt. Das Wiſſen iſt alſo eben die wahre Form, durch welche das Abſolute ſchließlich in den Begriff ſeiner ſelbſt eingeht und ſich nur im Sinne gedachter Allgemein- heit zu ſeinem eigenen Gegenſtande macht. Allein das Wiſſen iſt nicht ſogleich, nachdem der Geiſt über die ganze bisher dargeſtellte Breite der Verwirklichungsſtufen der Idee ſich erhebt und ſie überblickt, vorhanden. Jene Wahrheit der unendlich ſich verwirklichenden Idee wird zuerſt als Schein einer Vollendung auf einem einzelnen Punkte (welche aber zugleich Ausdruck jener unendlichen Thätigkeit, alſo nicht etwas Todtes iſt) gefaßt. (ſ. §. 13. 14.)
2. Die Welt der Gegenſtände, welche den Gehalt des Schönen bilden, iſt hier, da es keinen höheren Gegenſtand als das Gute geben kann, zu Ende. Der Gegenſtände: dieß iſt nicht gemeint, als werde überſehen, daß es die eine und ſelbe Idee iſt, welche ſich als Natur ausbreitet, als Geiſt im Gegenſatze thätig iſt und dieſe ganze Entfaltung wieder in den höchſten Sphären des Geiſtes in Eins zuſammenfaßt. Die Trennung iſt aber hier nothwendig, eben weil ein Punkt geſetzt werden muß, wo nun das Spezifiſche eintritt, wodurch der bisher dargeſtellte Inhalt im vorliegenden Gebiete aufhört, bloßer Gegenſtand zu ſeyn. Jetzt alſo hätte die Unterſuchung zu beginnen, was im Schönen mit dem bisher geſchilderten Inhalt vorgehe, und wie eben dieſer Vorgang nun den Unterſchied des Schönen von dem bisher entwickelten Gehalte bilde.
3. Hier tritt nun aber die Frage dazwiſchen, ob nicht das Schöne, wenn es die abſolute Idee als ſchlechthin verwirklicht oder als mangellos
Viſcher’s Aeſthetik. 1. Bd. 6
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bringen könne. Einen ſolchen Inhalt ſcheint die Religion darzubieten als der
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ſie ſelbſt ſetzt ſich den Zweck oder vielmehr als Zweck, ſie ſetzt ſich in
Form der Zukunft, um ſich zu entfalten; zweitens: die Mittel, die ſie
dazu anwendet, ſind ihre eigenen Momente, werden nicht von außen
genommen, denn der Idee gehört Alles; drittens: indem ſie bei dem
Zwecke ankommt, kommt ſie bei ſich ſelbſt an, denn ſie hat ſich entfaltet.
Allein jedes Anlangen iſt ein neues Anfangen jenes Hinausſetzens, die
Kategorie des Sollens kehrt im Reiche des Handelns, um ſich immer
aufzuheben, immer wieder (vergl. Einl. §. 2, 2); denn eben jene Thä-
tigkeit iſt die Idee, und wenn ſie jemals aufhörte, thätig zu ſeyn, wäre
ſie todt, alſo nicht Idee. Das Wiſſen erkennt dies Verhältniß und begreift,
daß eben dieſe unendliche Bewegung das Abſolute iſt. Das Wiſſen iſt alſo
eben die wahre Form, durch welche das Abſolute ſchließlich in den
Begriff ſeiner ſelbſt eingeht und ſich nur im Sinne gedachter Allgemein-
heit zu ſeinem eigenen Gegenſtande macht. Allein das Wiſſen iſt nicht
ſogleich, nachdem der Geiſt über die ganze bisher dargeſtellte Breite der
Verwirklichungsſtufen der Idee ſich erhebt und ſie überblickt, vorhanden.
Jene Wahrheit der unendlich ſich verwirklichenden Idee wird zuerſt als
Schein einer Vollendung auf einem einzelnen Punkte (welche aber zugleich
Ausdruck jener unendlichen Thätigkeit, alſo nicht etwas Todtes iſt)
gefaßt. (ſ. §. 13. 14.)
2. Die Welt der Gegenſtände, welche den Gehalt des Schönen
bilden, iſt hier, da es keinen höheren Gegenſtand als das Gute geben
kann, zu Ende. Der Gegenſtände: dieß iſt nicht gemeint, als werde
überſehen, daß es die eine und ſelbe Idee iſt, welche ſich als Natur
ausbreitet, als Geiſt im Gegenſatze thätig iſt und dieſe ganze Entfaltung
wieder in den höchſten Sphären des Geiſtes in Eins zuſammenfaßt. Die
Trennung iſt aber hier nothwendig, eben weil ein Punkt geſetzt werden
muß, wo nun das Spezifiſche eintritt, wodurch der bisher dargeſtellte
Inhalt im vorliegenden Gebiete aufhört, bloßer Gegenſtand zu ſeyn.
Jetzt alſo hätte die Unterſuchung zu beginnen, was im Schönen mit
dem bisher geſchilderten Inhalt vorgehe, und wie eben dieſer Vorgang
nun den Unterſchied des Schönen von dem bisher entwickelten Gehalte bilde.
3. Hier tritt nun aber die Frage dazwiſchen, ob nicht das Schöne,
wenn es die abſolute Idee als ſchlechthin verwirklicht oder als mangellos
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Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 1. Reutlingen u. a., 1846, S. 81. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik01_1846/95>, abgerufen am 21.11.2024.
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