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Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 2,1. Reutlingen u. a., 1847.

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Häßlichkeit komisch wird. Das Gefährliche muß wegfallen oder mißlingen,
es muß ein Zufall die Aufforderung herbeiführen, die menschliche Folie
ernstlicher unterzulegen und die Thierform in widersprechender Einheit mit
ihr zusammenzufassen, und natürlich muß der Zuschauer den Sinn und die
Stimmung mitbringen. Es gibt Leute, die auf diesen Punkt gar kein
Organ haben und nie begreifen, welcher Schatz des Komischen zu heben
ist, wenn man das Thier darauf ansieht, es solle eigentlich einen Menschen
vorstellen. Die Caricaturmalerei hat dieß bekanntlich vielfach ausgebeutet,
aber auch die reine Thiermalerei (Landsheer dignity and impudence).
Uebrigens bietet auch die Thierwelt eine Scala objectiver und subjectiver
Komik dar (vergl. §. 181 -- 183), deren Spitze immer der Mensch ist:
das listigere Thier überlistet das dummere, aber für den Menschen ist
auch die überlistende List eine komische Naivetät.

3. Die Leihung, die Unterschiebung des Menschen ist ebenso berechtigt
als unberechtigt. Thiere sind, sagt Hippel, unsere Grenznachbarn. Die
stumme Nothwendigkeit der Pflanze ist gebrochen, die menschliche Freiheit
noch nicht da. Der Mensch erfreut sich des belebten, affectvollen Thuns,
das ihn überall an seine Welt erinnert und doch schuldlos ist (bis zu der
Grenze, wo das Thier untreu wird §. 289 Anm. 2). Von menschlicher
Falschheit ermüdet kann ich mich an dem ehrlichen Wesen des treuen
Hundes ernstlich erholen, der mich nicht verläßt, wenn mich auch Alles
betrügt. Im alten Epos sprechen selbst die Pferde mit ihrem Herrn,
betrauren seinen Tod, das Thier wird ganz zum Freunde des Menschen,
der selbst noch naiv, edles Thier ist. Die Verwendung zum Nutzen darf
nicht zur Niederdrückung der Lebendigkeit und Frische des Thieres gehen;
das dressirte Reitpferd jetziger Zeit hat nicht mehr das Feuer und den
Muthwillen, den man sonst auch dem Reitpferde ließ. Aber auch dem
geschonten Hausthiere gegenüber hat wieder das Wild den Reiz des
Ungebeugten und Frischen, den Waldesduft; es erinnert an den Menschen,
dessen Bildung noch nicht mit der Natur gebrochen. Trotzdem bleibt richtig,
daß die Heimlichkeit mit der Menschenähnlichkeit, mit der Bildungsfähigkeit,
der Anhänglichkeit des Hausthiers steigt, aber im Affen schlägt dieß in
sein Gegentheil um. Er ist zu menschenähnlich, das Grausen vor dem
Thier als einer verzerrten Maske des Menschen stellt sich wieder ein und
zwar im höchsten Grade und so stark, daß kaum die Auflösung in's
Komische ganz zu vollziehen ist, worüber nachher.

§. 292.

Die ganze Klasse der wirbellosen Thiere bietet als eine unreife1
Vorstufe des Thierreichs dem Schönen sehr geringen Stoff. Selbst für die

Häßlichkeit komiſch wird. Das Gefährliche muß wegfallen oder mißlingen,
es muß ein Zufall die Aufforderung herbeiführen, die menſchliche Folie
ernſtlicher unterzulegen und die Thierform in widerſprechender Einheit mit
ihr zuſammenzufaſſen, und natürlich muß der Zuſchauer den Sinn und die
Stimmung mitbringen. Es gibt Leute, die auf dieſen Punkt gar kein
Organ haben und nie begreifen, welcher Schatz des Komiſchen zu heben
iſt, wenn man das Thier darauf anſieht, es ſolle eigentlich einen Menſchen
vorſtellen. Die Caricaturmalerei hat dieß bekanntlich vielfach ausgebeutet,
aber auch die reine Thiermalerei (Landsheer dignity and impudence).
Uebrigens bietet auch die Thierwelt eine Scala objectiver und ſubjectiver
Komik dar (vergl. §. 181 — 183), deren Spitze immer der Menſch iſt:
das liſtigere Thier überliſtet das dummere, aber für den Menſchen iſt
auch die überliſtende Liſt eine komiſche Naivetät.

3. Die Leihung, die Unterſchiebung des Menſchen iſt ebenſo berechtigt
als unberechtigt. Thiere ſind, ſagt Hippel, unſere Grenznachbarn. Die
ſtumme Nothwendigkeit der Pflanze iſt gebrochen, die menſchliche Freiheit
noch nicht da. Der Menſch erfreut ſich des belebten, affectvollen Thuns,
das ihn überall an ſeine Welt erinnert und doch ſchuldlos iſt (bis zu der
Grenze, wo das Thier untreu wird §. 289 Anm. 2). Von menſchlicher
Falſchheit ermüdet kann ich mich an dem ehrlichen Weſen des treuen
Hundes ernſtlich erholen, der mich nicht verläßt, wenn mich auch Alles
betrügt. Im alten Epos ſprechen ſelbſt die Pferde mit ihrem Herrn,
betrauren ſeinen Tod, das Thier wird ganz zum Freunde des Menſchen,
der ſelbſt noch naiv, edles Thier iſt. Die Verwendung zum Nutzen darf
nicht zur Niederdrückung der Lebendigkeit und Friſche des Thieres gehen;
das dreſſirte Reitpferd jetziger Zeit hat nicht mehr das Feuer und den
Muthwillen, den man ſonſt auch dem Reitpferde ließ. Aber auch dem
geſchonten Hausthiere gegenüber hat wieder das Wild den Reiz des
Ungebeugten und Friſchen, den Waldesduft; es erinnert an den Menſchen,
deſſen Bildung noch nicht mit der Natur gebrochen. Trotzdem bleibt richtig,
daß die Heimlichkeit mit der Menſchenähnlichkeit, mit der Bildungsfähigkeit,
der Anhänglichkeit des Hausthiers ſteigt, aber im Affen ſchlägt dieß in
ſein Gegentheil um. Er iſt zu menſchenähnlich, das Grauſen vor dem
Thier als einer verzerrten Maske des Menſchen ſtellt ſich wieder ein und
zwar im höchſten Grade und ſo ſtark, daß kaum die Auflöſung in’s
Komiſche ganz zu vollziehen iſt, worüber nachher.

§. 292.

Die ganze Klaſſe der wirbelloſen Thiere bietet als eine unreife1
Vorſtufe des Thierreichs dem Schönen ſehr geringen Stoff. Selbſt für die

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[117/0129] Häßlichkeit komiſch wird. Das Gefährliche muß wegfallen oder mißlingen, es muß ein Zufall die Aufforderung herbeiführen, die menſchliche Folie ernſtlicher unterzulegen und die Thierform in widerſprechender Einheit mit ihr zuſammenzufaſſen, und natürlich muß der Zuſchauer den Sinn und die Stimmung mitbringen. Es gibt Leute, die auf dieſen Punkt gar kein Organ haben und nie begreifen, welcher Schatz des Komiſchen zu heben iſt, wenn man das Thier darauf anſieht, es ſolle eigentlich einen Menſchen vorſtellen. Die Caricaturmalerei hat dieß bekanntlich vielfach ausgebeutet, aber auch die reine Thiermalerei (Landsheer dignity and impudence). Uebrigens bietet auch die Thierwelt eine Scala objectiver und ſubjectiver Komik dar (vergl. §. 181 — 183), deren Spitze immer der Menſch iſt: das liſtigere Thier überliſtet das dummere, aber für den Menſchen iſt auch die überliſtende Liſt eine komiſche Naivetät. 3. Die Leihung, die Unterſchiebung des Menſchen iſt ebenſo berechtigt als unberechtigt. Thiere ſind, ſagt Hippel, unſere Grenznachbarn. Die ſtumme Nothwendigkeit der Pflanze iſt gebrochen, die menſchliche Freiheit noch nicht da. Der Menſch erfreut ſich des belebten, affectvollen Thuns, das ihn überall an ſeine Welt erinnert und doch ſchuldlos iſt (bis zu der Grenze, wo das Thier untreu wird §. 289 Anm. 2). Von menſchlicher Falſchheit ermüdet kann ich mich an dem ehrlichen Weſen des treuen Hundes ernſtlich erholen, der mich nicht verläßt, wenn mich auch Alles betrügt. Im alten Epos ſprechen ſelbſt die Pferde mit ihrem Herrn, betrauren ſeinen Tod, das Thier wird ganz zum Freunde des Menſchen, der ſelbſt noch naiv, edles Thier iſt. Die Verwendung zum Nutzen darf nicht zur Niederdrückung der Lebendigkeit und Friſche des Thieres gehen; das dreſſirte Reitpferd jetziger Zeit hat nicht mehr das Feuer und den Muthwillen, den man ſonſt auch dem Reitpferde ließ. Aber auch dem geſchonten Hausthiere gegenüber hat wieder das Wild den Reiz des Ungebeugten und Friſchen, den Waldesduft; es erinnert an den Menſchen, deſſen Bildung noch nicht mit der Natur gebrochen. Trotzdem bleibt richtig, daß die Heimlichkeit mit der Menſchenähnlichkeit, mit der Bildungsfähigkeit, der Anhänglichkeit des Hausthiers ſteigt, aber im Affen ſchlägt dieß in ſein Gegentheil um. Er iſt zu menſchenähnlich, das Grauſen vor dem Thier als einer verzerrten Maske des Menſchen ſtellt ſich wieder ein und zwar im höchſten Grade und ſo ſtark, daß kaum die Auflöſung in’s Komiſche ganz zu vollziehen iſt, worüber nachher. §. 292. Die ganze Klaſſe der wirbelloſen Thiere bietet als eine unreife Vorſtufe des Thierreichs dem Schönen ſehr geringen Stoff. Selbſt für die

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Zitationshilfe: Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 2,1. Reutlingen u. a., 1847, S. 117. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik0201_1847/129>, abgerufen am 21.11.2024.