Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 2,1. Reutlingen u. a., 1847.
und wie wir die Insecten individualisirte Luft nennen, so erscheint bei zwar Daß sich nun in den unteren Klassen der Wirbelthiere die Stufen
und wie wir die Inſecten individualiſirte Luft nennen, ſo erſcheint bei zwar Daß ſich nun in den unteren Klaſſen der Wirbelthiere die Stufen <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <div n="5"> <p> <hi rendition="#et"><pb facs="#f0140" n="128"/> und wie wir die Inſecten individualiſirte Luft nennen, ſo erſcheint bei zwar<lb/> ungleich höherer Selbſtändigkeit des Lebens das Reich der Fiſche und Vögel<lb/> nur wie eine allgemeine Belebung des Waſſers und der Luft. Dieß gilt<lb/> allerdings ungleich mehr von jenen als von dieſen. Iſt doch das Element,<lb/> außer welchem die Fiſche gar nicht leben können, zwar durchſichtig, doch<lb/> eine ſchwerere Maſſe, ſo daß man ſie nur ſterbend oder todt deutlich zu<lb/> Geſichte bekommt und ſich die äſthetiſche Anſchauung beinahe mit dem<lb/> unbeſtimmten Bilde des von ſeltſamen Geſtalten durchwimmelten Elements<lb/> begnügen muß. Der Vogel dagegen tritt in dem feinen Medium der Luft<lb/> deutlich vor uns; die größeren und bedeutenderen Arten, die Raubvögel<lb/> namentlich, ſind auch von ſo charaktervoller Geſtalt, daß Ein Thier allein für<lb/> ſich ſchon ein nicht zu verachtender äſthetiſcher Stoff iſt. Doch ſind der kleinen<lb/> Arten mehr und das Element wiegt ſie alle. Das Landthier dagegen gehört<lb/> nicht ſo dem Boden, an den es gewieſen iſt. Es liegt, ſteht, geht auf<lb/> ihm; liegt es, ſo iſt er nur ſeine Stütze, zum Stehen und noch mehr zum<lb/> Gehen braucht es ſchon Muskelthätigkeit bis zur Anſtrengung und ver-<lb/> hältnißmäßig früher Ermüdung. In der Luft athmet es, aber wird nicht<lb/> von ihr getragen. Dieſe Thiere ſind alſo ungleich gelöster vom elemen-<lb/> tariſchen Leben, ſind geſpannt als feſte Einheiten gegen die feſte Grundlage<lb/> der Erde, müßen ſich durch thätigere Ueberwindung des Raums in der<lb/> Bewegung, alſo durch ſtärkeren Kampf als ſelbſtändige Monaden behaupten.<lb/> Sie können zum Theil auch ſchwimmen, aber nicht im Waſſer, ſondern auf<lb/> dem Waſſer. Das Gebären lebendiger Jungen iſt eines der weſentlichſten<lb/> Momente, worin ſich ihr freieres Daſein ausſpricht; nicht das verbreitete<lb/> Element, auch nicht die thieriſche Wärme überhaupt, ſondern der innere<lb/> Organismus reift den Keim im Mutterleibe und übergibt ihn ſchon als<lb/> ſelbſtändiges Leben der elementariſchen Außenwelt. Die niederen Thiere<lb/> verhalten ſich überhaupt zu den Elementen noch wie ein Fötus zum<lb/> Mutterleib. Dennoch ſtellen wir das Moment der Fortpflanzung nicht als<lb/> grundweſentliches, nicht als Eintheilungsprinzip auf. Die Cetaceen ſind<lb/> Säugthiere, aber ihr ganzer Habitus iſt der des Fiſchs; er iſt es, weil<lb/> das Waſſer ſchlechtweg ihr einziges Element iſt und umgekehrt. Die<lb/> Zoologie trennt ſie als Säugethiere von den Fiſchen; äſthetiſch wäre dieß<lb/> jedenfalls unthunlich, aber auch die Naturwiſſenſchaft geräth durch dieſe<lb/> Trennung in einen Widerſpruch zwiſchen der Motivirung der Einreihung<lb/> durch ein vereinzeltes Moment und zwiſchen jenem Geſammt-Habitus und<lb/> würde ſie vielleicht zweckmäßiger bei den Fiſchen behalten als einen Verſuch<lb/> der Natur, in dieſem urſprünglichſten Wirbelthier auch ſchon die höchſte<lb/> Klaſſe vorzubilden.</hi> </p><lb/> <p> <hi rendition="#et">Daß ſich nun in den unteren Klaſſen der Wirbelthiere die Stufen<lb/> der wirbelloſen wiederholen, hat in neuerer Zeit namentlich <hi rendition="#g">Oken</hi> aus-<lb/></hi> </p> </div> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [128/0140]
und wie wir die Inſecten individualiſirte Luft nennen, ſo erſcheint bei zwar
ungleich höherer Selbſtändigkeit des Lebens das Reich der Fiſche und Vögel
nur wie eine allgemeine Belebung des Waſſers und der Luft. Dieß gilt
allerdings ungleich mehr von jenen als von dieſen. Iſt doch das Element,
außer welchem die Fiſche gar nicht leben können, zwar durchſichtig, doch
eine ſchwerere Maſſe, ſo daß man ſie nur ſterbend oder todt deutlich zu
Geſichte bekommt und ſich die äſthetiſche Anſchauung beinahe mit dem
unbeſtimmten Bilde des von ſeltſamen Geſtalten durchwimmelten Elements
begnügen muß. Der Vogel dagegen tritt in dem feinen Medium der Luft
deutlich vor uns; die größeren und bedeutenderen Arten, die Raubvögel
namentlich, ſind auch von ſo charaktervoller Geſtalt, daß Ein Thier allein für
ſich ſchon ein nicht zu verachtender äſthetiſcher Stoff iſt. Doch ſind der kleinen
Arten mehr und das Element wiegt ſie alle. Das Landthier dagegen gehört
nicht ſo dem Boden, an den es gewieſen iſt. Es liegt, ſteht, geht auf
ihm; liegt es, ſo iſt er nur ſeine Stütze, zum Stehen und noch mehr zum
Gehen braucht es ſchon Muskelthätigkeit bis zur Anſtrengung und ver-
hältnißmäßig früher Ermüdung. In der Luft athmet es, aber wird nicht
von ihr getragen. Dieſe Thiere ſind alſo ungleich gelöster vom elemen-
tariſchen Leben, ſind geſpannt als feſte Einheiten gegen die feſte Grundlage
der Erde, müßen ſich durch thätigere Ueberwindung des Raums in der
Bewegung, alſo durch ſtärkeren Kampf als ſelbſtändige Monaden behaupten.
Sie können zum Theil auch ſchwimmen, aber nicht im Waſſer, ſondern auf
dem Waſſer. Das Gebären lebendiger Jungen iſt eines der weſentlichſten
Momente, worin ſich ihr freieres Daſein ausſpricht; nicht das verbreitete
Element, auch nicht die thieriſche Wärme überhaupt, ſondern der innere
Organismus reift den Keim im Mutterleibe und übergibt ihn ſchon als
ſelbſtändiges Leben der elementariſchen Außenwelt. Die niederen Thiere
verhalten ſich überhaupt zu den Elementen noch wie ein Fötus zum
Mutterleib. Dennoch ſtellen wir das Moment der Fortpflanzung nicht als
grundweſentliches, nicht als Eintheilungsprinzip auf. Die Cetaceen ſind
Säugthiere, aber ihr ganzer Habitus iſt der des Fiſchs; er iſt es, weil
das Waſſer ſchlechtweg ihr einziges Element iſt und umgekehrt. Die
Zoologie trennt ſie als Säugethiere von den Fiſchen; äſthetiſch wäre dieß
jedenfalls unthunlich, aber auch die Naturwiſſenſchaft geräth durch dieſe
Trennung in einen Widerſpruch zwiſchen der Motivirung der Einreihung
durch ein vereinzeltes Moment und zwiſchen jenem Geſammt-Habitus und
würde ſie vielleicht zweckmäßiger bei den Fiſchen behalten als einen Verſuch
der Natur, in dieſem urſprünglichſten Wirbelthier auch ſchon die höchſte
Klaſſe vorzubilden.
Daß ſich nun in den unteren Klaſſen der Wirbelthiere die Stufen
der wirbelloſen wiederholen, hat in neuerer Zeit namentlich Oken aus-
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