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Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 2,1. Reutlingen u. a., 1847.

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welchem nicht nur Kopf, Brust und Rumpf ununterbrochen ineinanderfließen,
sondern selbst die Glieder, als Floßen nur zum Rudern, nicht zum Greifen oder
Anderem bestimmt, ohne selbständigere Abhebung an das Ganze gelegt sind.
Der Kopf, horizontal vorgestreckt, spricht durch das schnappende Maul Gefräßigkeit
als Haupteigenschaft aus, im klotzenden Auge wohnt Dummheit, der Mangel
an Concentration der Empfindung überhaupt verräth sich in der Stummheit.
Durch diese Eigenschaften wäre der Fisch wildfremd und unschön, wenn nicht
sein austrengungsloses Schweben im behaglich tragenden Elemente Wohligkeit
ausdrückte, seine Bewegungen, seine raschen Windungen schöne Linien dar-
stellten, seine Schuppen durch Glanz und Farbe prangten.

Zu dieser allgemeinen Charakteristik des Fisches ist wenig zu fügen.
Das Auge wäre durch seinen Silber- und Goldglanz schön, aber es hat
keine Lider und "muß daher wider Willen sehen" (Oken); dieß gibt dem
Fisch seinen klotzenden Ausdruck und ist ein Hauptgrund, warum kein
höheres Thier bei so großer Unähnlichkeit mit dem Menschen ihm so
verzerrt ähnlich vorkommt: es erinnert nämlich durchaus im ersten Anblick
an einen Menschen, der in stumpfer, stierer Verwunderung die Augen
aufreißt. Dieß Auge ist es namentlich, das die Dummheit des Fisches
ausspricht. Es fehlt ihm nicht an einiger List, allein seine Seele ist doch
so ungetheilt und gedrückt, wie sein Leib. Alle jungen Thiere spielen,
kein Fisch; nur hin und wieder meint man an den raschen Schüssen der
Forelle und anderer kleiner Fische etwas Scherz und Muthwillen zu bemerken.
Die weiteren Ursachen der Unschönheit spricht der §. aus. Unter die
Momente, welche mit dieser versöhnen, könnte unter gewissen Bedingungen
auch die Gestalt abgesehen von der Bewegung aufgenommen werden.
Sobald man sie an die der anderen höheren Thiere oder gar die mensch-
liche hält, so hat man ein Gefühl, als sollte man sich mit abgehauenen
Armen und Füßen bewegen; sobald man sie aber mit dem Insect ver-
gleicht, so erscheint sie wohlthuend satt, ganz, voll, zeigt hübsch geschwungene
Linien und verläuft sich nach hinten in die angenehm gezeichnete Gabel der
Schwanzfloßen. Der §. konnte sich dabei nur nicht aufhalten, weil er zu dem
wichtigeren fortzueilen hatte, wo er dann an eine bekannte Stelle in Göthes
Fischer erinnert, dann die schönen Wellenformen der Bewegung, endlich die
Farbe hervorhebt. Die Schuppen, dachziegelartig ineinander geschoben, sind
an sich eine zwar noch mineral- oder vegetabilienartige, doch solide, wohl-
gefügte allgemeine Bekleidung. Sie haben Perlmutterglanz, was an die
Verwandtschaft mit den Schaalthieren erinnert (Göthe Farbenl. §. 644).
Neben Grau und Weiß kommen alle Farben in Streifen, Flecken, Tupfen in
voller Pracht, feurigem Metallglanz, den feinsten Tönen und Schattirungen
vor und werden durch die Reflexe des durchsichtigen Elements noch erhöht.


welchem nicht nur Kopf, Bruſt und Rumpf ununterbrochen ineinanderfließen,
ſondern ſelbſt die Glieder, als Floßen nur zum Rudern, nicht zum Greifen oder
Anderem beſtimmt, ohne ſelbſtändigere Abhebung an das Ganze gelegt ſind.
Der Kopf, horizontal vorgeſtreckt, ſpricht durch das ſchnappende Maul Gefräßigkeit
als Haupteigenſchaft aus, im klotzenden Auge wohnt Dummheit, der Mangel
an Concentration der Empfindung überhaupt verräth ſich in der Stummheit.
Durch dieſe Eigenſchaften wäre der Fiſch wildfremd und unſchön, wenn nicht
ſein auſtrengungsloſes Schweben im behaglich tragenden Elemente Wohligkeit
ausdrückte, ſeine Bewegungen, ſeine raſchen Windungen ſchöne Linien dar-
ſtellten, ſeine Schuppen durch Glanz und Farbe prangten.

Zu dieſer allgemeinen Charakteriſtik des Fiſches iſt wenig zu fügen.
Das Auge wäre durch ſeinen Silber- und Goldglanz ſchön, aber es hat
keine Lider und „muß daher wider Willen ſehen“ (Oken); dieß gibt dem
Fiſch ſeinen klotzenden Ausdruck und iſt ein Hauptgrund, warum kein
höheres Thier bei ſo großer Unähnlichkeit mit dem Menſchen ihm ſo
verzerrt ähnlich vorkommt: es erinnert nämlich durchaus im erſten Anblick
an einen Menſchen, der in ſtumpfer, ſtierer Verwunderung die Augen
aufreißt. Dieß Auge iſt es namentlich, das die Dummheit des Fiſches
ausſpricht. Es fehlt ihm nicht an einiger Liſt, allein ſeine Seele iſt doch
ſo ungetheilt und gedrückt, wie ſein Leib. Alle jungen Thiere ſpielen,
kein Fiſch; nur hin und wieder meint man an den raſchen Schüſſen der
Forelle und anderer kleiner Fiſche etwas Scherz und Muthwillen zu bemerken.
Die weiteren Urſachen der Unſchönheit ſpricht der §. aus. Unter die
Momente, welche mit dieſer verſöhnen, könnte unter gewiſſen Bedingungen
auch die Geſtalt abgeſehen von der Bewegung aufgenommen werden.
Sobald man ſie an die der anderen höheren Thiere oder gar die menſch-
liche hält, ſo hat man ein Gefühl, als ſollte man ſich mit abgehauenen
Armen und Füßen bewegen; ſobald man ſie aber mit dem Inſect ver-
gleicht, ſo erſcheint ſie wohlthuend ſatt, ganz, voll, zeigt hübſch geſchwungene
Linien und verläuft ſich nach hinten in die angenehm gezeichnete Gabel der
Schwanzfloßen. Der §. konnte ſich dabei nur nicht aufhalten, weil er zu dem
wichtigeren fortzueilen hatte, wo er dann an eine bekannte Stelle in Göthes
Fiſcher erinnert, dann die ſchönen Wellenformen der Bewegung, endlich die
Farbe hervorhebt. Die Schuppen, dachziegelartig ineinander geſchoben, ſind
an ſich eine zwar noch mineral- oder vegetabilienartige, doch ſolide, wohl-
gefügte allgemeine Bekleidung. Sie haben Perlmutterglanz, was an die
Verwandtſchaft mit den Schaalthieren erinnert (Göthe Farbenl. §. 644).
Neben Grau und Weiß kommen alle Farben in Streifen, Flecken, Tupfen in
voller Pracht, feurigem Metallglanz, den feinſten Tönen und Schattirungen
vor und werden durch die Reflexe des durchſichtigen Elements noch erhöht.


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[130/0142] welchem nicht nur Kopf, Bruſt und Rumpf ununterbrochen ineinanderfließen, ſondern ſelbſt die Glieder, als Floßen nur zum Rudern, nicht zum Greifen oder Anderem beſtimmt, ohne ſelbſtändigere Abhebung an das Ganze gelegt ſind. Der Kopf, horizontal vorgeſtreckt, ſpricht durch das ſchnappende Maul Gefräßigkeit als Haupteigenſchaft aus, im klotzenden Auge wohnt Dummheit, der Mangel an Concentration der Empfindung überhaupt verräth ſich in der Stummheit. Durch dieſe Eigenſchaften wäre der Fiſch wildfremd und unſchön, wenn nicht ſein auſtrengungsloſes Schweben im behaglich tragenden Elemente Wohligkeit ausdrückte, ſeine Bewegungen, ſeine raſchen Windungen ſchöne Linien dar- ſtellten, ſeine Schuppen durch Glanz und Farbe prangten. Zu dieſer allgemeinen Charakteriſtik des Fiſches iſt wenig zu fügen. Das Auge wäre durch ſeinen Silber- und Goldglanz ſchön, aber es hat keine Lider und „muß daher wider Willen ſehen“ (Oken); dieß gibt dem Fiſch ſeinen klotzenden Ausdruck und iſt ein Hauptgrund, warum kein höheres Thier bei ſo großer Unähnlichkeit mit dem Menſchen ihm ſo verzerrt ähnlich vorkommt: es erinnert nämlich durchaus im erſten Anblick an einen Menſchen, der in ſtumpfer, ſtierer Verwunderung die Augen aufreißt. Dieß Auge iſt es namentlich, das die Dummheit des Fiſches ausſpricht. Es fehlt ihm nicht an einiger Liſt, allein ſeine Seele iſt doch ſo ungetheilt und gedrückt, wie ſein Leib. Alle jungen Thiere ſpielen, kein Fiſch; nur hin und wieder meint man an den raſchen Schüſſen der Forelle und anderer kleiner Fiſche etwas Scherz und Muthwillen zu bemerken. Die weiteren Urſachen der Unſchönheit ſpricht der §. aus. Unter die Momente, welche mit dieſer verſöhnen, könnte unter gewiſſen Bedingungen auch die Geſtalt abgeſehen von der Bewegung aufgenommen werden. Sobald man ſie an die der anderen höheren Thiere oder gar die menſch- liche hält, ſo hat man ein Gefühl, als ſollte man ſich mit abgehauenen Armen und Füßen bewegen; ſobald man ſie aber mit dem Inſect ver- gleicht, ſo erſcheint ſie wohlthuend ſatt, ganz, voll, zeigt hübſch geſchwungene Linien und verläuft ſich nach hinten in die angenehm gezeichnete Gabel der Schwanzfloßen. Der §. konnte ſich dabei nur nicht aufhalten, weil er zu dem wichtigeren fortzueilen hatte, wo er dann an eine bekannte Stelle in Göthes Fiſcher erinnert, dann die ſchönen Wellenformen der Bewegung, endlich die Farbe hervorhebt. Die Schuppen, dachziegelartig ineinander geſchoben, ſind an ſich eine zwar noch mineral- oder vegetabilienartige, doch ſolide, wohl- gefügte allgemeine Bekleidung. Sie haben Perlmutterglanz, was an die Verwandtſchaft mit den Schaalthieren erinnert (Göthe Farbenl. §. 644). Neben Grau und Weiß kommen alle Farben in Streifen, Flecken, Tupfen in voller Pracht, feurigem Metallglanz, den feinſten Tönen und Schattirungen vor und werden durch die Reflexe des durchſichtigen Elements noch erhöht.

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Zitationshilfe: Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 2,1. Reutlingen u. a., 1847, S. 130. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik0201_1847/142>, abgerufen am 21.11.2024.