Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 2,1. Reutlingen u. a., 1847.
zu mangellosem Sein entwickelt zu haben scheint, kann aber auch auf
zu mangelloſem Sein entwickelt zu haben ſcheint, kann aber auch auf <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p> <hi rendition="#et"><pb facs="#f0023" n="11"/> zu mangelloſem Sein entwickelt zu haben ſcheint, kann aber auch auf<lb/> andere Weiſe eintreten. Es iſt etwas durch Uebermaß, durch Zuſtand<lb/> der Zerſtörung, durch verzerrte Bildung häßlich; aber es ſtellt ſich in<lb/> demſelben Zuſammenhang (vergl. §. 152) der glückliche Zufall ein, daß<lb/> es eine furchtbare Wendung nimmt, wenn wir z. B. ein häßliches Thier<lb/> im Kampfe die Kraft entwickeln ſehen, die ihm gerade durch ſeine Miß-<lb/> bildung gegeben iſt, oder eine komiſche, wie dieß tauſendmal ſo erleichternd<lb/> geſchieht in Momenten, welche zuerſt durch Verletzung aller Sinne und<lb/> jedes Anſtandsgefühls eckelhaft zu werden drohten. Das Glück dieſer<lb/> guten Stunden iſt rein zu genießen, der Künſtler iſt in der Meinung,<lb/> daß ihm hier das Schöne ſelbſt in reiner Geſtalt begegne, zu beſtärken;<lb/> nicht <hi rendition="#g">jetzt</hi> iſt es am Orte, ihm zu ſagen: ſieh den Gegenſtand näher an,<lb/> da iſt immer noch unendlich Vieles an demſelben, was du ſo nicht<lb/> brauchen kannſt, überall mußt du nachhelfen und dabei entdecken, daß das<lb/> Urbild in deiner Phantaſie das wahre Correctiv des in der Außenwelt<lb/> Gefundenen iſt; nicht ſogleich iſt ihm dieſer Schein, dieſe erſte Freude zu<lb/> nehmen. Thatſache iſt: er hat es gefunden, es iſt ihm ein Gegebenes<lb/> und was immer weiter mag folgen müſſen, es iſt der Ausgangspunkt.<lb/> Der idealiſtiſche Aeſthetiker, der von dem Satze ausgeht, die Kunſt ſei<lb/> Ausdruck des Innern und nichts Anderes, begeht die Verkehrtheit, am falſchen<lb/> Ort ſtatt einer Analyſe eine Syntheſe zu ſetzen. — Soll alſo die Wiſſenſchaft<lb/> nicht die Wahrheit und die Ordnung des Hergangs in der Entſtehung<lb/> des Schönen verkehren, ſo darf ſie ſich nicht daran ſtoßen, daß ſie auf<lb/> dieſem Punkte ganz in die Empirie, in die Nacktheit eines unbewieſenen<lb/> thatſächlichen Scheins ſich ergeben muß. Sie thut es mit Wiſſen in<lb/> Gemäßheit des im §. wiederholten, jede erſte Form in unſerem Syſtem,<lb/> ja die ganze Begründung des Schönen von Anfang an bedingenden Geſetzes,<lb/> daß das Unmittelbare, d. h. dasjenige, was ſelbſt nicht Anderes vorausſetzt,<lb/> aber vorausgeſetzt iſt, wenn Anderes ſoll ſein können, überall den Aus-<lb/> gang bildet. So iſt das Naturſchöne dasjenige, was von Kräften hervor-<lb/> gebracht wird, welche die Schönheit als ſolche nicht wollen und bezwecken,<lb/> es iſt die zufällige Schönheit, welcher kein ſie hervorbringender Wille,<lb/> welche vielmehr ſelbſt einem ſolchen vorausgeſetzt iſt, und der Fortgang<lb/> wird zeigen, wie ſich dieſes Unmittelbare aufhebt; dieſer Wille wird das<lb/> Unmittelbare, durch das er vermittelt iſt, in ſeine Macht nehmen, er wird,<lb/> indem er das Letzte ſcheint, zum Erſten, zum Anfang werden. Jenes<lb/> Wiſſen, womit die Wiſſenſchaft dieſen ſcheinbar nackt empiriſchen Ausgang<lb/> nimmt, iſt zugleich das Vorauswiſſen dieſes analytiſchen, das Letzte im<lb/> Verlauf zum Erſten ſetzenden Ergebniſſes.</hi> </p> </div><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [11/0023]
zu mangelloſem Sein entwickelt zu haben ſcheint, kann aber auch auf
andere Weiſe eintreten. Es iſt etwas durch Uebermaß, durch Zuſtand
der Zerſtörung, durch verzerrte Bildung häßlich; aber es ſtellt ſich in
demſelben Zuſammenhang (vergl. §. 152) der glückliche Zufall ein, daß
es eine furchtbare Wendung nimmt, wenn wir z. B. ein häßliches Thier
im Kampfe die Kraft entwickeln ſehen, die ihm gerade durch ſeine Miß-
bildung gegeben iſt, oder eine komiſche, wie dieß tauſendmal ſo erleichternd
geſchieht in Momenten, welche zuerſt durch Verletzung aller Sinne und
jedes Anſtandsgefühls eckelhaft zu werden drohten. Das Glück dieſer
guten Stunden iſt rein zu genießen, der Künſtler iſt in der Meinung,
daß ihm hier das Schöne ſelbſt in reiner Geſtalt begegne, zu beſtärken;
nicht jetzt iſt es am Orte, ihm zu ſagen: ſieh den Gegenſtand näher an,
da iſt immer noch unendlich Vieles an demſelben, was du ſo nicht
brauchen kannſt, überall mußt du nachhelfen und dabei entdecken, daß das
Urbild in deiner Phantaſie das wahre Correctiv des in der Außenwelt
Gefundenen iſt; nicht ſogleich iſt ihm dieſer Schein, dieſe erſte Freude zu
nehmen. Thatſache iſt: er hat es gefunden, es iſt ihm ein Gegebenes
und was immer weiter mag folgen müſſen, es iſt der Ausgangspunkt.
Der idealiſtiſche Aeſthetiker, der von dem Satze ausgeht, die Kunſt ſei
Ausdruck des Innern und nichts Anderes, begeht die Verkehrtheit, am falſchen
Ort ſtatt einer Analyſe eine Syntheſe zu ſetzen. — Soll alſo die Wiſſenſchaft
nicht die Wahrheit und die Ordnung des Hergangs in der Entſtehung
des Schönen verkehren, ſo darf ſie ſich nicht daran ſtoßen, daß ſie auf
dieſem Punkte ganz in die Empirie, in die Nacktheit eines unbewieſenen
thatſächlichen Scheins ſich ergeben muß. Sie thut es mit Wiſſen in
Gemäßheit des im §. wiederholten, jede erſte Form in unſerem Syſtem,
ja die ganze Begründung des Schönen von Anfang an bedingenden Geſetzes,
daß das Unmittelbare, d. h. dasjenige, was ſelbſt nicht Anderes vorausſetzt,
aber vorausgeſetzt iſt, wenn Anderes ſoll ſein können, überall den Aus-
gang bildet. So iſt das Naturſchöne dasjenige, was von Kräften hervor-
gebracht wird, welche die Schönheit als ſolche nicht wollen und bezwecken,
es iſt die zufällige Schönheit, welcher kein ſie hervorbringender Wille,
welche vielmehr ſelbſt einem ſolchen vorausgeſetzt iſt, und der Fortgang
wird zeigen, wie ſich dieſes Unmittelbare aufhebt; dieſer Wille wird das
Unmittelbare, durch das er vermittelt iſt, in ſeine Macht nehmen, er wird,
indem er das Letzte ſcheint, zum Erſten, zum Anfang werden. Jenes
Wiſſen, womit die Wiſſenſchaft dieſen ſcheinbar nackt empiriſchen Ausgang
nimmt, iſt zugleich das Vorauswiſſen dieſes analytiſchen, das Letzte im
Verlauf zum Erſten ſetzenden Ergebniſſes.
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