Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 2,1. Reutlingen u. a., 1847.
delndes mehr als genießendes Volk sind. Gestählt in Bergluft brechen §. 347. An der Nordküste Afrika's und der Westküste Asiens treten in ähnlichem
delndes mehr als genießendes Volk ſind. Geſtählt in Bergluft brechen §. 347. An der Nordküſte Afrika’s und der Weſtküſte Aſiens treten in ähnlichem <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <div n="5"> <div n="6"> <div n="7"> <p> <hi rendition="#et"><pb facs="#f0242" n="230"/> delndes mehr als genießendes Volk ſind. Geſtählt in Bergluft brechen<lb/> ſie hervor, unterjochen die Völker, die vorher ſich gegenſeitig unterjocht,<lb/> Meder, Babylonier, Aſſyrer, die Semiten der Weſtküſte Aſiens, Aegypten,<lb/> das kleinaſiatiſche Griechenland. Wir ſind überzeugt, daß noch heute<lb/> Maler und Dichter aus Herodot eine Fülle vortheilhafter Stoffe ſchöpfen<lb/> könnten. Ein Cyrus iſt eine edle, große Geſtalt; tragiſch rührend durch<lb/> edlen Schluß der Fall des Kröſus. Und doch begleitet ein tragiſches<lb/> Gefühl die gewaltigen Bewegungen dieſes Weltreiches: ſo edel, ſo nahe<lb/> an der ſchönen Menſchlichkeit, ohne Kaſtenzwang Königen unterthan, human<lb/> gegen Beſiegte, gut von Herz und Geſinnung, und doch Barbaren,<lb/> beſtimmt, unter innerer Zerrüttung, die eine Reihe blutiger Familien-<lb/> geſchichten darſtellt, in unaufhaltſamer Erſchlaffung den ſchmählichen Fall<lb/> der Vermeſſenheit, die Unmacht des maſſenhaften und ſtabilen Orients<lb/> gegen den hohen Beruf des Occidents zuerſt in den Kriegen des Xerxes,<lb/> dann im mitleidswerthen Untergang des Darius durch Alexander in ewigen<lb/> Zügen in die Geſchichte einzugraben. In dieſen Kriegen namentlich ruht<lb/> noch eine unbenützte Summe großer Stoffe, nur Aeſchylus und jener<lb/> Unbekannte, der die herrliche Moſaik in Pompeji, die Schlacht bei Iſſus,<lb/> geſchaffen, haben in dieſen Reichthum gegriffen, aber Herodots einfache<lb/> Geſchichtserzählung des erſten dieſer Kriege, wo der Orient überſchwillt nach<lb/> Griechenland, um erſt in ſpäterer Zukunft umgekehrt von den geiſtigeren<lb/> Fluthen Griechenlands heimgeſucht und überwunden zu werden, beſchämt<lb/> manchen Dichter. Jene Muſterung der unabſehlichen Horden am Helle-<lb/> ſpont iſt ein großes epiſches Bild. Die folgenden Schlachten ſind aller-<lb/> dings durch die Niederlage der Perſer eigentlich griechiſche Stoffe. Welch<lb/> ſchöne Aufgabe wäre es aber z. B., den Xerxes darzuſtellen, wie er<lb/> der Schlacht von Salamis zuſchaut und der Untergang ſeiner Flotte in<lb/> ſeinen Zügen, ſeinen Gebärden ſich ſpiegelt, oder den Moment bei Platää,<lb/> wo Mardonius vom weißen Roße ſinkt! — Perſiens Untergang ſelbſt iſt<lb/> Lebenszeichen; es konnte untergehen, denn es lebte. „Die Perſer ſind<lb/> das erſte weltgeſchichtliche Volk, Perſien iſt das erſte Reich, das ver-<lb/> gangen iſt“ (Hegel a. a. O. S. 176).</hi> </p> </div><lb/> <div n="7"> <head>§. 347.</head><lb/> <p> <hi rendition="#fr">An der Nordküſte Afrika’s und der Weſtküſte Aſiens treten in ähnlichem<lb/> Gegenſatze die <hi rendition="#g">Aegyptier</hi> und die <hi rendition="#g">ſemitiſchen</hi> Völker, Syrer, Phönizier,<lb/> Juden ſich gegenüber. Alle dieſe Nationen erſcheinen ſchärfer, denkender,<lb/><note place="left">1</note>praktiſcher, als die ſüdlichen Aſiaten, doch bilden jene geſchichtsloſer, paſſiver,<lb/><note place="left">2</note>eine verſchloſſene Welt des Geheimniſſes, dieſe dagegen rührig, theils kühne<lb/> Seefahrer, Kaufleute, Krieger, theils in ſich verharrend, aber zäh im Wider-<lb/></hi> </p> </div> </div> </div> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [230/0242]
delndes mehr als genießendes Volk ſind. Geſtählt in Bergluft brechen
ſie hervor, unterjochen die Völker, die vorher ſich gegenſeitig unterjocht,
Meder, Babylonier, Aſſyrer, die Semiten der Weſtküſte Aſiens, Aegypten,
das kleinaſiatiſche Griechenland. Wir ſind überzeugt, daß noch heute
Maler und Dichter aus Herodot eine Fülle vortheilhafter Stoffe ſchöpfen
könnten. Ein Cyrus iſt eine edle, große Geſtalt; tragiſch rührend durch
edlen Schluß der Fall des Kröſus. Und doch begleitet ein tragiſches
Gefühl die gewaltigen Bewegungen dieſes Weltreiches: ſo edel, ſo nahe
an der ſchönen Menſchlichkeit, ohne Kaſtenzwang Königen unterthan, human
gegen Beſiegte, gut von Herz und Geſinnung, und doch Barbaren,
beſtimmt, unter innerer Zerrüttung, die eine Reihe blutiger Familien-
geſchichten darſtellt, in unaufhaltſamer Erſchlaffung den ſchmählichen Fall
der Vermeſſenheit, die Unmacht des maſſenhaften und ſtabilen Orients
gegen den hohen Beruf des Occidents zuerſt in den Kriegen des Xerxes,
dann im mitleidswerthen Untergang des Darius durch Alexander in ewigen
Zügen in die Geſchichte einzugraben. In dieſen Kriegen namentlich ruht
noch eine unbenützte Summe großer Stoffe, nur Aeſchylus und jener
Unbekannte, der die herrliche Moſaik in Pompeji, die Schlacht bei Iſſus,
geſchaffen, haben in dieſen Reichthum gegriffen, aber Herodots einfache
Geſchichtserzählung des erſten dieſer Kriege, wo der Orient überſchwillt nach
Griechenland, um erſt in ſpäterer Zukunft umgekehrt von den geiſtigeren
Fluthen Griechenlands heimgeſucht und überwunden zu werden, beſchämt
manchen Dichter. Jene Muſterung der unabſehlichen Horden am Helle-
ſpont iſt ein großes epiſches Bild. Die folgenden Schlachten ſind aller-
dings durch die Niederlage der Perſer eigentlich griechiſche Stoffe. Welch
ſchöne Aufgabe wäre es aber z. B., den Xerxes darzuſtellen, wie er
der Schlacht von Salamis zuſchaut und der Untergang ſeiner Flotte in
ſeinen Zügen, ſeinen Gebärden ſich ſpiegelt, oder den Moment bei Platää,
wo Mardonius vom weißen Roße ſinkt! — Perſiens Untergang ſelbſt iſt
Lebenszeichen; es konnte untergehen, denn es lebte. „Die Perſer ſind
das erſte weltgeſchichtliche Volk, Perſien iſt das erſte Reich, das ver-
gangen iſt“ (Hegel a. a. O. S. 176).
§. 347.
An der Nordküſte Afrika’s und der Weſtküſte Aſiens treten in ähnlichem
Gegenſatze die Aegyptier und die ſemitiſchen Völker, Syrer, Phönizier,
Juden ſich gegenüber. Alle dieſe Nationen erſcheinen ſchärfer, denkender,
praktiſcher, als die ſüdlichen Aſiaten, doch bilden jene geſchichtsloſer, paſſiver,
eine verſchloſſene Welt des Geheimniſſes, dieſe dagegen rührig, theils kühne
Seefahrer, Kaufleute, Krieger, theils in ſich verharrend, aber zäh im Wider-
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