nackt aus dem khiton. Das imation nun, das über die linke Schulter geworfen, um den Rücken geschlagen, dann unter oder über den rechten Arm genommen wurde, so daß das Ende wieder über die linke Schulter fiel, und ähnlich die kürzere khlamus, war jenes ungenähte Stück wollenen Tuchs, dessen reicher Faltenwurf durch die Formen des Körpers motivirt diese durchblicken ließ, mit jeder Bewegung sich veränderte, nicht fertig genäht am Leibe hing, sondern getragen sein wollte, daher ein bewegtes, lebendiges, ein persönliches Kleid. Völlige Nacktheit wechselte mit Beklei- dung nicht wegen Drucks glühender Hitze, sondern durch Vermittlung der gymnastischen Spiele. Der Künstler sah den Körper in jeder Bewegung nackt, er brauchte (bei Männern) keine Modelle, keine Acte. Hier ist wieder ein Punkt, wo besonders einleuchtet, warum wir von der Natur- schönheit in dieser Breite reden; denn jeder weiß, daß diese Gelegenheit ungezwungenen Anblicks dem Künstler unersetzlich ist. Gunst des Stoffs, des Vorgefundenen ist überall wesentlich. Wie einfach und doch schwung- voll, wie edel ohne Ueberladung, wie lebendig und gefühlt alle Geräthe, Waffen u. s. w. waren, weiß Jeder, der antike Vasen, Lanzen, Kande- laber, Küchen- und Tafelgeräthe, Helme, Schilde u. s. w. gesehen hat. Selbst die Löcher im Sieb hatten Zeichnung, das Gewicht an der Wage war ein Götterkopf u. dgl., die Theatermarke stellte ein niedlich geschnit- tenes Thierchen vor u. s. w. Wir erwähnen dieß Alles hier als reale Kulturform, es ist unter anderem Standpunkt, als Kunstform, wieder zu erwähnen, aber dieß eben ist das eigenthümlich Griechische, daß hier die Kunst in Alles drang, daß die Erscheinung der Griechen in allen Sphären das Schöne ebensosehr producirte, als schönes Object war. In der Kriegsführung unterscheiden sich die Griechen schon nach Homer von den Asiaten: sie ziehen schweigend in gemessener Ordnung in die Schlacht, die Trojaner mit wildem Geschrei. Später entwickelt sich die Taktik bis zur berühmten macedonischen Phalanx. Dabei bleibt aber die ganze Bewaffnung so, daß jeder Gebrauch der Waffe den ganzen leben- digen Mann braucht und die Schönheit und Kraft der Glieder zeigt (Borghesischer Fechter). Auch der Pfeil, vermittelst dessen der Feigste und Schwächste den Tapfersten tödten kann, ist noch etwas ganz Anderes, als das Feuergewehr, das sich durch den bloßen Druck des Fingers entlädt. Der Feldherr befiehlt nicht abstract; Alexander stürmt an der Spitze seiner Reiterei. -- Die Genüsse gaben jeden Taumel der Lust frei und das Orgiastische der Orientalen war namentlich noch in den Dionysien sichtbar, aber die höchste Trunkenheit hielt noch das Band der Schönheit fest und gab selbst dem Wilden, dem Frechen jenen Rhythmus, der als Takt haltendes Maß auch die Wuth der Bacchantin beherrscht. Den Festen des losgelassenen Genusses treten aber die Feste der Thätigkeit, die gym-
nackt aus dem χιτών. Das ἱμὰτιον nun, das über die linke Schulter geworfen, um den Rücken geſchlagen, dann unter oder über den rechten Arm genommen wurde, ſo daß das Ende wieder über die linke Schulter fiel, und ähnlich die kürzere χλαμὺς, war jenes ungenähte Stück wollenen Tuchs, deſſen reicher Faltenwurf durch die Formen des Körpers motivirt dieſe durchblicken ließ, mit jeder Bewegung ſich veränderte, nicht fertig genäht am Leibe hing, ſondern getragen ſein wollte, daher ein bewegtes, lebendiges, ein perſönliches Kleid. Völlige Nacktheit wechſelte mit Beklei- dung nicht wegen Drucks glühender Hitze, ſondern durch Vermittlung der gymnaſtiſchen Spiele. Der Künſtler ſah den Körper in jeder Bewegung nackt, er brauchte (bei Männern) keine Modelle, keine Acte. Hier iſt wieder ein Punkt, wo beſonders einleuchtet, warum wir von der Natur- ſchönheit in dieſer Breite reden; denn jeder weiß, daß dieſe Gelegenheit ungezwungenen Anblicks dem Künſtler unerſetzlich iſt. Gunſt des Stoffs, des Vorgefundenen iſt überall weſentlich. Wie einfach und doch ſchwung- voll, wie edel ohne Ueberladung, wie lebendig und gefühlt alle Geräthe, Waffen u. ſ. w. waren, weiß Jeder, der antike Vaſen, Lanzen, Kande- laber, Küchen- und Tafelgeräthe, Helme, Schilde u. ſ. w. geſehen hat. Selbſt die Löcher im Sieb hatten Zeichnung, das Gewicht an der Wage war ein Götterkopf u. dgl., die Theatermarke ſtellte ein niedlich geſchnit- tenes Thierchen vor u. ſ. w. Wir erwähnen dieß Alles hier als reale Kulturform, es iſt unter anderem Standpunkt, als Kunſtform, wieder zu erwähnen, aber dieß eben iſt das eigenthümlich Griechiſche, daß hier die Kunſt in Alles drang, daß die Erſcheinung der Griechen in allen Sphären das Schöne ebenſoſehr producirte, als ſchönes Object war. In der Kriegsführung unterſcheiden ſich die Griechen ſchon nach Homer von den Aſiaten: ſie ziehen ſchweigend in gemeſſener Ordnung in die Schlacht, die Trojaner mit wildem Geſchrei. Später entwickelt ſich die Taktik bis zur berühmten macedoniſchen Phalanx. Dabei bleibt aber die ganze Bewaffnung ſo, daß jeder Gebrauch der Waffe den ganzen leben- digen Mann braucht und die Schönheit und Kraft der Glieder zeigt (Borgheſiſcher Fechter). Auch der Pfeil, vermittelſt deſſen der Feigſte und Schwächſte den Tapferſten tödten kann, iſt noch etwas ganz Anderes, als das Feuergewehr, das ſich durch den bloßen Druck des Fingers entlädt. Der Feldherr befiehlt nicht abſtract; Alexander ſtürmt an der Spitze ſeiner Reiterei. — Die Genüſſe gaben jeden Taumel der Luſt frei und das Orgiaſtiſche der Orientalen war namentlich noch in den Dionyſien ſichtbar, aber die höchſte Trunkenheit hielt noch das Band der Schönheit feſt und gab ſelbſt dem Wilden, dem Frechen jenen Rhythmus, der als Takt haltendes Maß auch die Wuth der Bacchantin beherrſcht. Den Feſten des losgelaſſenen Genuſſes treten aber die Feſte der Thätigkeit, die gym-
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nackt aus dem χιτών. Das ἱμὰτιον nun, das über die linke Schulter
geworfen, um den Rücken geſchlagen, dann unter oder über den rechten
Arm genommen wurde, ſo daß das Ende wieder über die linke Schulter
fiel, und ähnlich die kürzere χλαμὺς, war jenes ungenähte Stück wollenen
Tuchs, deſſen reicher Faltenwurf durch die Formen des Körpers motivirt
dieſe durchblicken ließ, mit jeder Bewegung ſich veränderte, nicht fertig
genäht am Leibe hing, ſondern getragen ſein wollte, daher ein bewegtes,
lebendiges, ein perſönliches Kleid. Völlige Nacktheit wechſelte mit Beklei-
dung nicht wegen Drucks glühender Hitze, ſondern durch Vermittlung der
gymnaſtiſchen Spiele. Der Künſtler ſah den Körper in jeder Bewegung
nackt, er brauchte (bei Männern) keine Modelle, keine Acte. Hier iſt
wieder ein Punkt, wo beſonders einleuchtet, warum wir von der Natur-
ſchönheit in dieſer Breite reden; denn jeder weiß, daß dieſe Gelegenheit
ungezwungenen Anblicks dem Künſtler unerſetzlich iſt. Gunſt des Stoffs,
des Vorgefundenen iſt überall weſentlich. Wie einfach und doch ſchwung-
voll, wie edel ohne Ueberladung, wie lebendig und gefühlt alle Geräthe,
Waffen u. ſ. w. waren, weiß Jeder, der antike Vaſen, Lanzen, Kande-
laber, Küchen- und Tafelgeräthe, Helme, Schilde u. ſ. w. geſehen hat.
Selbſt die Löcher im Sieb hatten Zeichnung, das Gewicht an der Wage
war ein Götterkopf u. dgl., die Theatermarke ſtellte ein niedlich geſchnit-
tenes Thierchen vor u. ſ. w. Wir erwähnen dieß Alles hier als reale
Kulturform, es iſt unter anderem Standpunkt, als Kunſtform, wieder zu
erwähnen, aber dieß eben iſt das eigenthümlich Griechiſche, daß hier die
Kunſt in Alles drang, daß die Erſcheinung der Griechen in allen
Sphären das Schöne ebenſoſehr producirte, als ſchönes Object war.
In der Kriegsführung unterſcheiden ſich die Griechen ſchon nach Homer
von den Aſiaten: ſie ziehen ſchweigend in gemeſſener Ordnung in die
Schlacht, die Trojaner mit wildem Geſchrei. Später entwickelt ſich die
Taktik bis zur berühmten macedoniſchen Phalanx. Dabei bleibt aber die
ganze Bewaffnung ſo, daß jeder Gebrauch der Waffe den ganzen leben-
digen Mann braucht und die Schönheit und Kraft der Glieder zeigt
(Borgheſiſcher Fechter). Auch der Pfeil, vermittelſt deſſen der Feigſte und
Schwächſte den Tapferſten tödten kann, iſt noch etwas ganz Anderes, als
das Feuergewehr, das ſich durch den bloßen Druck des Fingers entlädt.
Der Feldherr befiehlt nicht abſtract; Alexander ſtürmt an der Spitze ſeiner
Reiterei. — Die Genüſſe gaben jeden Taumel der Luſt frei und das
Orgiaſtiſche der Orientalen war namentlich noch in den Dionyſien ſichtbar,
aber die höchſte Trunkenheit hielt noch das Band der Schönheit feſt und
gab ſelbſt dem Wilden, dem Frechen jenen Rhythmus, der als Takt
haltendes Maß auch die Wuth der Bacchantin beherrſcht. Den Feſten
des losgelaſſenen Genuſſes treten aber die Feſte der Thätigkeit, die gym-
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Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 2,1. Reutlingen u. a., 1847, S. 236. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik0201_1847/248>, abgerufen am 16.07.2024.
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