Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 2,1. Reutlingen u. a., 1847.
fehlt, hier die Idee, jene atomistische Welt zu überbauen. Aber diese Vischer's Aesthetik 2. Band. 17
fehlt, hier die Idee, jene atomiſtiſche Welt zu überbauen. Aber dieſe Viſcher’s Aeſthetik 2. Band. 17
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fehlt, hier die Idee, jene atomiſtiſche Welt zu überbauen. Aber dieſe
Idee wird ſelbſt in einen Körper verkehrt, ſchließt aus, indem ſie einzu-
ſchließen behauptet, dem Laien iſt ſein Innerſtes wieder ein Jenſeits; der
Papſt iſt der Stellvertreter Chriſti und jeder geweihte Bürger dieſes
monarchiſchen, aber durch gleichen Anſpruch jedes Clerikers demokratiſchen
Baus, durch das Cölibat mit den Wurzeln aus dem Boden der Menſch-
heit herausgeriſſen, gehört einer überſinnlichen Welt in der Welt an und
vicarirt in dieſer für den unfreien Laien. Alles, was ineinander ſein
ſollte, iſt nebeneinander. Die Verdrehung des Sittlichen liegt vor Allem
in der Vaterlandsloſigkeit. Der Prieſter hat kein Intereſſe für ſein
Vaterland, er will die Welt beherrſchen. Aber die Kirche iſt doch zugleich
weſentlich römiſches Product, Frucht eines Eindringens römiſch-jüdiſch-
orientaliſcher Sinnlichkeit und Objectivität in das neue Princip; ſie hat
ihre Hausmacht in Rom, Rom ſoll herrſchen. Der Laie ſoll eben dahin
blicken, ſoll dem Himmel, d. h. der von Rom aus regierten Kirche das
Mark ſeines Lebens ſchenken; ebendahin, freilich kämpfend, führt der
Kaiſer den Kern des Volks in Waffen. Der Italiener ſieht ſein Vater-
land herrſchen, aber nicht als Nation, die Hausmacht iſt nur Stütze der
überſinnlichen Anmaßung; der Ausländer ſieht ſich von dieſem Widerſpruch
einer außerirdiſchen und doch irdiſch localen Macht an Händen und Füßen
eingeſchnürt: ſo iſt nirgends Vaterland. Die weitere Verdrehung des
Sittlichen iſt die Aufſtellung tranſcendenter aſcetiſcher Tugend ſtatt der
realen, die für wirkliche und gegenwärtige Zwecke thätig iſt. Jene
Tugend ſelbſt aber iſt wieder äußerlich, Bußwerk, opus operatum. Daher
iſt das Mittelalter zwar finſter, aber auch viel heiterer, als man glaubt.
Heute Aſceſe, morgen Weltluſt; und zugleich: Einige weihen ſich ganz
der Aſceſe, thun opera supererogativa und inzwiſchen machen ſich die Andern
einen guten Tag; immer Eins für das Andere; ſtatt Ernſt in der Luſt
und Luſt im Ernſt: jetzt Luſt, ein andermal Ernſt, dort Ernſt, hier Luſt.
Neben der Geißelkammer des Mönchs Gelage und Feſte der Ritter, aber
auch neben der Andacht, Kaſteiung, der Zerknirſchung des Ritters die rohe
Luſt, die blutige Wildheit, Mord und jedes Verbrechen deſſelben Ritters.
Es fehlt die ethiſche Einheit, Geiſt und Sinne können ſich nicht zum
Maaß durchdringen, weil der Prozeß des Geiſtes nicht innerlich und
nicht poſitiv, ſondern äußerlich und negativ, weil an die Stelle des
Guten das Heilige geſetzt iſt. Kaleidoſkopiſch bunt iſt dieſe Welt, die
grellſten Farben brennen neben den tiefſten Schatten; ruht im Alterthum
auf einer deutlichen Welt voll reiner Formen eine ruhige Sonne, ſo iſt
es hier, als beleuchten die lodernden Flammen eines farbigen Feuers eine
Tropfſteinhöhle. Dieſe Welt iſt aber wie ſie ſein kann und nicht anders;
es wird Niemand bevormundet, der es nicht will, und ſchiebt Niemand
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