Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 2,1. Reutlingen u. a., 1847.

Bild:
<< vorherige Seite

auch auf sie ein, aber dann bleibt das Eingedrungene wieder Jahrhunderte
lang, ohne nach den Fortschritten der Herrenmode zu fragen.

2. Das Schießpulver war hier hauptsächlich zu nennen. Es hebt
die Anschaulichkeit der individuellen Tapferkeit auf; ein Druck entlädt die
Waffe, ein Schwacher kann die Stärksten und Tapfersten tödten. Doch ist
die Waffe noch lange schwerfällig, braucht ihren Mann und von ästhetisch
großer Wirkung bleibt immer ihr Donner. Das Söldnerwesen kommt
auf, der Krieg wird Gewerbe (noch nicht eigentlich Stand); dieß ist
freilich schon eine Mechanisirung im weiteren Sinn, von sehr verwilderndem
Einfluß zunächst auf die Sitten, aber noch ein bewegungsvoller, bunter
Anblick. Was die Waffenübung betrifft, so hat man sich die condottieri,
die Landsknechte bereits in der straffen Dressur zu denken, wodurch das
mathematisch Uniforme in den Krieg kommt; doch nicht allzustreng, die
Bewegungen sind noch nicht so steif abgemessen, die Schildwache z. B.
steht auf Einen Fuß gestemmt, mit gespreitzten Beinen, spielt mit der Helle-
barde u. s. w. Ueberhaupt aber bildet sich durch diese Söldner namentlich
die beweglichere Waffengattung, das Fußvolk, aus und wie sie Leute
aus dem Volke sind, so tritt diese geflügelte Waffe als demokratische neben
die aristokratische Reiterei. Diese Soldateska hat einen höchst martialischen
Wurf und Schnitt, eisenfresserisch, fluchend, prahlend, renommistisch im
weiten Ausschreiten und jeder Gebärde, aber immer noch höchst tüchtig
und lebendig. -- Von der Buchdruckerkunst kann hier nur Uebles aus-
gesagt werden. Es ist die erste Erfindung, von welcher ganz besonders
einleuchtet, in welch umgekehrtem Verhältniß von einem gewissen Punkte
an Cultur und Aesthetik miteinander stehen. So gewiß Hören und Reden
lebendiger ist, als Drucken, Schreiben, Lesen, so gewiß eine von Mund zu
Mund gewälzte Sage lebendiger ist, als eine Zeitung, ein Ausrufer
lebendiger, als ein Regierungsblatt, so gewiß hat die schöne Erscheinung
durch diese Kunst ebenso unendlich viel verloren, als der Culturzweck an
sich gewonnen. Sobald man diesen Gewinn im Auge hat, erscheint es
lächerlich, dieß und alle Zerstörungen, welche der Mechanismus im äst-
hetischen Gebiete anrichtet, zu beklagen, im ästhetischen Zusammenhang aber
liegen diese auf flacher Hand. Unter andern erleichternden Formen kommt
z. B. am Ende dieses Zeitraums auch das Postwesen auf: daß aber ein
Bote, Herold lebendiger sei, als ein Brief zur Post, braucht keinen
Beweis. Das Fahren wird häufiger, was gegen Reiten und Gehen eben-
falls etwas ganz Abstractes und Bildloses ist.


auch auf ſie ein, aber dann bleibt das Eingedrungene wieder Jahrhunderte
lang, ohne nach den Fortſchritten der Herrenmode zu fragen.

2. Das Schießpulver war hier hauptſächlich zu nennen. Es hebt
die Anſchaulichkeit der individuellen Tapferkeit auf; ein Druck entlädt die
Waffe, ein Schwacher kann die Stärkſten und Tapferſten tödten. Doch iſt
die Waffe noch lange ſchwerfällig, braucht ihren Mann und von äſthetiſch
großer Wirkung bleibt immer ihr Donner. Das Söldnerweſen kommt
auf, der Krieg wird Gewerbe (noch nicht eigentlich Stand); dieß iſt
freilich ſchon eine Mechaniſirung im weiteren Sinn, von ſehr verwilderndem
Einfluß zunächſt auf die Sitten, aber noch ein bewegungsvoller, bunter
Anblick. Was die Waffenübung betrifft, ſo hat man ſich die condottieri,
die Landsknechte bereits in der ſtraffen Dreſſur zu denken, wodurch das
mathematiſch Uniforme in den Krieg kommt; doch nicht allzuſtreng, die
Bewegungen ſind noch nicht ſo ſteif abgemeſſen, die Schildwache z. B.
ſteht auf Einen Fuß geſtemmt, mit geſpreitzten Beinen, ſpielt mit der Helle-
barde u. ſ. w. Ueberhaupt aber bildet ſich durch dieſe Söldner namentlich
die beweglichere Waffengattung, das Fußvolk, aus und wie ſie Leute
aus dem Volke ſind, ſo tritt dieſe geflügelte Waffe als demokratiſche neben
die ariſtokratiſche Reiterei. Dieſe Soldateska hat einen höchſt martialiſchen
Wurf und Schnitt, eiſenfreſſeriſch, fluchend, prahlend, renommiſtiſch im
weiten Ausſchreiten und jeder Gebärde, aber immer noch höchſt tüchtig
und lebendig. — Von der Buchdruckerkunſt kann hier nur Uebles aus-
geſagt werden. Es iſt die erſte Erfindung, von welcher ganz beſonders
einleuchtet, in welch umgekehrtem Verhältniß von einem gewiſſen Punkte
an Cultur und Aeſthetik miteinander ſtehen. So gewiß Hören und Reden
lebendiger iſt, als Drucken, Schreiben, Leſen, ſo gewiß eine von Mund zu
Mund gewälzte Sage lebendiger iſt, als eine Zeitung, ein Ausrufer
lebendiger, als ein Regierungsblatt, ſo gewiß hat die ſchöne Erſcheinung
durch dieſe Kunſt ebenſo unendlich viel verloren, als der Culturzweck an
ſich gewonnen. Sobald man dieſen Gewinn im Auge hat, erſcheint es
lächerlich, dieß und alle Zerſtörungen, welche der Mechaniſmus im äſt-
hetiſchen Gebiete anrichtet, zu beklagen, im äſthetiſchen Zuſammenhang aber
liegen dieſe auf flacher Hand. Unter andern erleichternden Formen kommt
z. B. am Ende dieſes Zeitraums auch das Poſtweſen auf: daß aber ein
Bote, Herold lebendiger ſei, als ein Brief zur Poſt, braucht keinen
Beweis. Das Fahren wird häufiger, was gegen Reiten und Gehen eben-
falls etwas ganz Abſtractes und Bildloſes iſt.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <div n="5">
                <div n="6">
                  <p> <hi rendition="#et"><pb facs="#f0279" n="267"/>
auch auf &#x017F;ie ein, aber dann bleibt das Eingedrungene wieder Jahrhunderte<lb/>
lang, ohne nach den Fort&#x017F;chritten der Herrenmode zu fragen.</hi> </p><lb/>
                  <p> <hi rendition="#et">2. Das Schießpulver war hier haupt&#x017F;ächlich zu nennen. Es hebt<lb/>
die An&#x017F;chaulichkeit der individuellen Tapferkeit auf; ein Druck entlädt die<lb/>
Waffe, ein Schwacher kann die Stärk&#x017F;ten und Tapfer&#x017F;ten tödten. Doch i&#x017F;t<lb/>
die Waffe noch lange &#x017F;chwerfällig, braucht ihren Mann und von ä&#x017F;theti&#x017F;ch<lb/>
großer Wirkung bleibt immer ihr Donner. Das Söldnerwe&#x017F;en kommt<lb/>
auf, der Krieg wird <hi rendition="#g">Gewerbe</hi> (noch nicht eigentlich Stand); dieß i&#x017F;t<lb/>
freilich &#x017F;chon eine Mechani&#x017F;irung im weiteren Sinn, von &#x017F;ehr verwilderndem<lb/>
Einfluß zunäch&#x017F;t auf die Sitten, aber noch ein bewegungsvoller, bunter<lb/>
Anblick. Was die Waffenübung betrifft, &#x017F;o hat man &#x017F;ich die <hi rendition="#aq">condottieri,</hi><lb/>
die Landsknechte bereits in der &#x017F;traffen Dre&#x017F;&#x017F;ur zu denken, wodurch das<lb/>
mathemati&#x017F;ch Uniforme in den Krieg kommt; doch nicht allzu&#x017F;treng, die<lb/>
Bewegungen &#x017F;ind noch nicht &#x017F;o &#x017F;teif abgeme&#x017F;&#x017F;en, die Schildwache z. B.<lb/>
&#x017F;teht auf Einen Fuß ge&#x017F;temmt, mit ge&#x017F;preitzten Beinen, &#x017F;pielt mit der Helle-<lb/>
barde u. &#x017F;. w. Ueberhaupt aber bildet &#x017F;ich durch die&#x017F;e Söldner namentlich<lb/>
die beweglichere Waffengattung, das Fußvolk, aus und wie &#x017F;ie Leute<lb/>
aus dem Volke &#x017F;ind, &#x017F;o tritt die&#x017F;e geflügelte Waffe als demokrati&#x017F;che neben<lb/>
die ari&#x017F;tokrati&#x017F;che Reiterei. Die&#x017F;e Soldateska hat einen höch&#x017F;t martiali&#x017F;chen<lb/>
Wurf und Schnitt, ei&#x017F;enfre&#x017F;&#x017F;eri&#x017F;ch, fluchend, prahlend, renommi&#x017F;ti&#x017F;ch im<lb/>
weiten Aus&#x017F;chreiten und jeder Gebärde, aber immer noch höch&#x017F;t tüchtig<lb/>
und lebendig. &#x2014; Von der Buchdruckerkun&#x017F;t kann hier nur Uebles aus-<lb/>
ge&#x017F;agt werden. Es i&#x017F;t die er&#x017F;te Erfindung, von welcher ganz be&#x017F;onders<lb/>
einleuchtet, in welch umgekehrtem Verhältniß von einem gewi&#x017F;&#x017F;en Punkte<lb/>
an Cultur und Ae&#x017F;thetik miteinander &#x017F;tehen. So gewiß Hören und Reden<lb/>
lebendiger i&#x017F;t, als Drucken, Schreiben, Le&#x017F;en, &#x017F;o gewiß eine von Mund zu<lb/>
Mund gewälzte Sage lebendiger i&#x017F;t, als eine Zeitung, ein Ausrufer<lb/>
lebendiger, als ein Regierungsblatt, &#x017F;o gewiß hat die &#x017F;chöne Er&#x017F;cheinung<lb/>
durch die&#x017F;e Kun&#x017F;t eben&#x017F;o unendlich viel verloren, als der Culturzweck an<lb/>
&#x017F;ich gewonnen. Sobald man die&#x017F;en Gewinn im Auge hat, er&#x017F;cheint es<lb/>
lächerlich, dieß und alle Zer&#x017F;törungen, welche der Mechani&#x017F;mus im ä&#x017F;t-<lb/>
heti&#x017F;chen Gebiete anrichtet, zu beklagen, im ä&#x017F;theti&#x017F;chen Zu&#x017F;ammenhang aber<lb/>
liegen die&#x017F;e auf flacher Hand. Unter andern erleichternden Formen kommt<lb/>
z. B. am Ende die&#x017F;es Zeitraums auch das Po&#x017F;twe&#x017F;en auf: daß aber ein<lb/>
Bote, Herold lebendiger &#x017F;ei, als ein Brief zur Po&#x017F;t, braucht keinen<lb/>
Beweis. Das Fahren wird häufiger, was gegen Reiten und Gehen eben-<lb/>
falls etwas ganz Ab&#x017F;tractes und Bildlo&#x017F;es i&#x017F;t.</hi> </p>
                </div>
              </div><lb/>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[267/0279] auch auf ſie ein, aber dann bleibt das Eingedrungene wieder Jahrhunderte lang, ohne nach den Fortſchritten der Herrenmode zu fragen. 2. Das Schießpulver war hier hauptſächlich zu nennen. Es hebt die Anſchaulichkeit der individuellen Tapferkeit auf; ein Druck entlädt die Waffe, ein Schwacher kann die Stärkſten und Tapferſten tödten. Doch iſt die Waffe noch lange ſchwerfällig, braucht ihren Mann und von äſthetiſch großer Wirkung bleibt immer ihr Donner. Das Söldnerweſen kommt auf, der Krieg wird Gewerbe (noch nicht eigentlich Stand); dieß iſt freilich ſchon eine Mechaniſirung im weiteren Sinn, von ſehr verwilderndem Einfluß zunächſt auf die Sitten, aber noch ein bewegungsvoller, bunter Anblick. Was die Waffenübung betrifft, ſo hat man ſich die condottieri, die Landsknechte bereits in der ſtraffen Dreſſur zu denken, wodurch das mathematiſch Uniforme in den Krieg kommt; doch nicht allzuſtreng, die Bewegungen ſind noch nicht ſo ſteif abgemeſſen, die Schildwache z. B. ſteht auf Einen Fuß geſtemmt, mit geſpreitzten Beinen, ſpielt mit der Helle- barde u. ſ. w. Ueberhaupt aber bildet ſich durch dieſe Söldner namentlich die beweglichere Waffengattung, das Fußvolk, aus und wie ſie Leute aus dem Volke ſind, ſo tritt dieſe geflügelte Waffe als demokratiſche neben die ariſtokratiſche Reiterei. Dieſe Soldateska hat einen höchſt martialiſchen Wurf und Schnitt, eiſenfreſſeriſch, fluchend, prahlend, renommiſtiſch im weiten Ausſchreiten und jeder Gebärde, aber immer noch höchſt tüchtig und lebendig. — Von der Buchdruckerkunſt kann hier nur Uebles aus- geſagt werden. Es iſt die erſte Erfindung, von welcher ganz beſonders einleuchtet, in welch umgekehrtem Verhältniß von einem gewiſſen Punkte an Cultur und Aeſthetik miteinander ſtehen. So gewiß Hören und Reden lebendiger iſt, als Drucken, Schreiben, Leſen, ſo gewiß eine von Mund zu Mund gewälzte Sage lebendiger iſt, als eine Zeitung, ein Ausrufer lebendiger, als ein Regierungsblatt, ſo gewiß hat die ſchöne Erſcheinung durch dieſe Kunſt ebenſo unendlich viel verloren, als der Culturzweck an ſich gewonnen. Sobald man dieſen Gewinn im Auge hat, erſcheint es lächerlich, dieß und alle Zerſtörungen, welche der Mechaniſmus im äſt- hetiſchen Gebiete anrichtet, zu beklagen, im äſthetiſchen Zuſammenhang aber liegen dieſe auf flacher Hand. Unter andern erleichternden Formen kommt z. B. am Ende dieſes Zeitraums auch das Poſtweſen auf: daß aber ein Bote, Herold lebendiger ſei, als ein Brief zur Poſt, braucht keinen Beweis. Das Fahren wird häufiger, was gegen Reiten und Gehen eben- falls etwas ganz Abſtractes und Bildloſes iſt.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik0201_1847
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik0201_1847/279
Zitationshilfe: Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 2,1. Reutlingen u. a., 1847, S. 267. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik0201_1847/279>, abgerufen am 31.10.2024.