Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 2,1. Reutlingen u. a., 1847.
der für sich nicht zu fassen und zu halten ist, wie die Form, sondern nur 2. Die Bedeutung, die wir den physischen Farben beilegen, scheint
der für ſich nicht zu faſſen und zu halten iſt, wie die Form, ſondern nur 2. Die Bedeutung, die wir den phyſiſchen Farben beilegen, ſcheint <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <div n="5"> <p> <hi rendition="#et"><pb facs="#f0052" n="40"/> der für ſich nicht zu faſſen und zu halten iſt, wie die Form, ſondern nur<lb/> die im Innern geheimnißvoll arbeitende, auf die Oberfläche hinausſtrahlende<lb/> Miſchung, Gährung, Stimmung des ganzen Weſens verräth. Die Form<lb/> zeigt mir wohl auch die innere Beſtimmtheit, aber nicht in dieſer Tiefe,<lb/> denn in ihr iſt das innerlich Wirkende beruhigt und fertig mit ſeiner Raum-<lb/> erfüllung, durch die Farbe zeigt es ſich in ſeiner thätig mit ſich fortbeſchäf-<lb/> tigten ſubjectiven Einheit, es läßt nicht eine vollendete Geſtalt von außen<lb/> beleuchten oder durchleuchten, ſondern macht ſich ſelbſt ſein eigenes, ſpezifiſches,<lb/> ſprechendes Licht, ein ſeelenhaft ergoſſener Schein, der ſich nicht greifen läßt.</hi> </p><lb/> <p> <hi rendition="#et">2. Die Bedeutung, die wir den phyſiſchen Farben beilegen, ſcheint<lb/> zum Theil unvermerkt von chemiſchen Farben übergetragen zu ſein; das<lb/> Roth würde vielleicht nicht an energiſche Leidenſchaft erinnern, wenn nicht<lb/> das Blut roth wäre, das indifferente, beruhigende Grün würde nicht Farbe<lb/> der Hoffnung genannt werden, wenn wir uns nicht des vollen Grüns der<lb/> Vegetation im Frühling erinnern würden. Doch bei näherer Beobachtung<lb/> wird man finden, daß nicht leicht eine Bedeutung von der concreten Farbe<lb/> auf die blos phyſiſche übergetragen wird, welche mit der allgemeinen<lb/> Bedeutung dieſer in Widerſpruch ſtände; das Leidenſchaftliche z. B. iſt nur<lb/> eine weitere Modification des mächtig Vollen, was an ſich ſchon im Eindruck<lb/> des Rothen liegt, das Hoffnungsvolle lehnt ſich leicht an das Beruhigende<lb/> des Grünen. Dem ſcheint die Thatſache zu widerſprechen, daß die Stimmung,<lb/> welche die abſtracten Farben mit ſich führen, an den concreten nicht immer<lb/> zutrifft. Grün z. B. iſt an ſich beruhigend, erſcheint aber an mancher<lb/> thieriſchen und an der menſchlichen Haut immer giftig. Doch dabei<lb/> iſt nicht zu überſehen, welche unendlichen Abwandlungen die Ueber-<lb/> gänge, Verbindungen, Miſchungen der Farbe in die der Grundfarbe zu-<lb/> geſchriebene Stimmung bringen, und daß ja überhaupt alle allgemeinen<lb/> Beſtimmungen im Concreten ſich unendlich modificiren, ohne daß daraus<lb/> geſchloſſen werden dürfte, man ſolle ſie gar nicht aufſtellen. Eine weitere<lb/> Abweichung wird der folg. §. noch einführen; doch kann wohl ausgeſprochen<lb/> werden, daß eine gewiſſe Gleichmäßigkeit der Farbenbedeutung ſich beobachten<lb/> laſſe, gleichgiltig, ob man von der abſtracten zur concreten Farbe fortgeht<lb/> oder umgekehrt. Dagegen kann aus der Verſchiedenheit der ſubjectiven Liebe<lb/> und Abneigung kein Einwand gezogen werden; denn Völker und Einzelne<lb/> ſuchen und lieben die Farbe nach ihrem eigenen Temperamente, nach<lb/> ihrem Ergänzungsgefühl und man muß daher ihren Geſchmack mit ihrem<lb/> eigenen Weſen, der Färbung ihrer Haut, ihrem Himmel, ihrem Tempe-<lb/> rament u. ſ. w. zuſammennehmen. Jetzt freilich iſt bei den gebildeten<lb/> Völkern der Farbenſinn ganz erſtorben; jede volle Farbe wird verachtet,<lb/> nur die ſchmutzige, der aufgelöste Koth gefällt. Danach darf man natürlich<lb/> nicht urtheilen.</hi> </p> </div><lb/> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [40/0052]
der für ſich nicht zu faſſen und zu halten iſt, wie die Form, ſondern nur
die im Innern geheimnißvoll arbeitende, auf die Oberfläche hinausſtrahlende
Miſchung, Gährung, Stimmung des ganzen Weſens verräth. Die Form
zeigt mir wohl auch die innere Beſtimmtheit, aber nicht in dieſer Tiefe,
denn in ihr iſt das innerlich Wirkende beruhigt und fertig mit ſeiner Raum-
erfüllung, durch die Farbe zeigt es ſich in ſeiner thätig mit ſich fortbeſchäf-
tigten ſubjectiven Einheit, es läßt nicht eine vollendete Geſtalt von außen
beleuchten oder durchleuchten, ſondern macht ſich ſelbſt ſein eigenes, ſpezifiſches,
ſprechendes Licht, ein ſeelenhaft ergoſſener Schein, der ſich nicht greifen läßt.
2. Die Bedeutung, die wir den phyſiſchen Farben beilegen, ſcheint
zum Theil unvermerkt von chemiſchen Farben übergetragen zu ſein; das
Roth würde vielleicht nicht an energiſche Leidenſchaft erinnern, wenn nicht
das Blut roth wäre, das indifferente, beruhigende Grün würde nicht Farbe
der Hoffnung genannt werden, wenn wir uns nicht des vollen Grüns der
Vegetation im Frühling erinnern würden. Doch bei näherer Beobachtung
wird man finden, daß nicht leicht eine Bedeutung von der concreten Farbe
auf die blos phyſiſche übergetragen wird, welche mit der allgemeinen
Bedeutung dieſer in Widerſpruch ſtände; das Leidenſchaftliche z. B. iſt nur
eine weitere Modification des mächtig Vollen, was an ſich ſchon im Eindruck
des Rothen liegt, das Hoffnungsvolle lehnt ſich leicht an das Beruhigende
des Grünen. Dem ſcheint die Thatſache zu widerſprechen, daß die Stimmung,
welche die abſtracten Farben mit ſich führen, an den concreten nicht immer
zutrifft. Grün z. B. iſt an ſich beruhigend, erſcheint aber an mancher
thieriſchen und an der menſchlichen Haut immer giftig. Doch dabei
iſt nicht zu überſehen, welche unendlichen Abwandlungen die Ueber-
gänge, Verbindungen, Miſchungen der Farbe in die der Grundfarbe zu-
geſchriebene Stimmung bringen, und daß ja überhaupt alle allgemeinen
Beſtimmungen im Concreten ſich unendlich modificiren, ohne daß daraus
geſchloſſen werden dürfte, man ſolle ſie gar nicht aufſtellen. Eine weitere
Abweichung wird der folg. §. noch einführen; doch kann wohl ausgeſprochen
werden, daß eine gewiſſe Gleichmäßigkeit der Farbenbedeutung ſich beobachten
laſſe, gleichgiltig, ob man von der abſtracten zur concreten Farbe fortgeht
oder umgekehrt. Dagegen kann aus der Verſchiedenheit der ſubjectiven Liebe
und Abneigung kein Einwand gezogen werden; denn Völker und Einzelne
ſuchen und lieben die Farbe nach ihrem eigenen Temperamente, nach
ihrem Ergänzungsgefühl und man muß daher ihren Geſchmack mit ihrem
eigenen Weſen, der Färbung ihrer Haut, ihrem Himmel, ihrem Tempe-
rament u. ſ. w. zuſammennehmen. Jetzt freilich iſt bei den gebildeten
Völkern der Farbenſinn ganz erſtorben; jede volle Farbe wird verachtet,
nur die ſchmutzige, der aufgelöste Koth gefällt. Danach darf man natürlich
nicht urtheilen.
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