Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 2,1. Reutlingen u. a., 1847.
als Regelmäßigkeit jener Form gefordert. Gerade das freie und unregel- §. 258. Mit den Schönheiten der Linienbildung vereinigen sich nun im Wasser Die Licht- und Farbenreize des Wassers wurden beispielsweise schon
als Regelmäßigkeit jener Form gefordert. Gerade das freie und unregel- §. 258. Mit den Schönheiten der Linienbildung vereinigen ſich nun im Waſſer Die Licht- und Farbenreize des Waſſers wurden beiſpielsweiſe ſchon <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <div n="5"> <p> <hi rendition="#et"><pb facs="#f0074" n="62"/> als Regelmäßigkeit jener Form gefordert. Gerade das freie und unregel-<lb/> mäßige Spiel des Runden an größeren Waſſermaſſen iſt es, wovon hier<lb/> eigentlich allein die Rede ſein kann. Solche frei geſchwungene Linien laſſen<lb/> ſich nirgends in höherer Schönheit beobachten, als an den Meereswellen,<lb/> wenn man bei mäßig bewegter See ſie am Ufer branden ſieht. Ueber<lb/> eine ſchlanke Einziehung wölbt ſich ein Rücken mit dem Profil des reizendſten<lb/> Schwanenhalſes. Iſt die Welle ſatt, ſo gießt zuerſt an einem oder mehreren<lb/> Punkten des Kammes das Waſſer über jene Einziehung in einem freien<lb/> Bogen herab, dann wird dieß allgemein und die Welle löst ſich auf, um<lb/> einer zweiten Platz zu machen. Es kommen noch die verſchiedenſten<lb/> anderen Wellenformen vor und die Seeleute haben beſtimmte Namen<lb/> dafür. Eine reiche Mannigfaltigkeit zeigt ſich bei ſtürmiſcher Brandung,<lb/> die Woge zerblättert ſich zu Fächern, fährt in Säulen auf, die ſich in<lb/> Büſche ausbreiten, ein krauſes Geringel ſcheint an Schlangen und die<lb/> mannigfachſten Thiergeſtalten zu erinnern.</hi> </p> </div><lb/> <div n="5"> <head>§. 258.</head><lb/> <p> <hi rendition="#fr">Mit den Schönheiten der Linienbildung vereinigen ſich nun im Waſſer<lb/> alle Wirkungen des Lichts und der Farbe. Es hat eigene Farbe, es glänzt<lb/> und ſpiegelt fremde Formen und Farben, es iſt zugleich durchſichtig, ſeine<lb/> Tiefe ſcheint von dem durchdringenden Lichte erwärmt und lädt zugleich zu<lb/> labender Kühlung ein. In Schaum aufgelöst verliert es die Durchſichtigkeit,<lb/> ſpielt aber in neuen reizenden Formen mit ſeinem leichten Staube und das<lb/> Licht zeigt in ihm die Farben des Regenbogens. Gefroren bleibt es noch bis<lb/> auf einen gewiſſen Grad durchſichtig, eine Eisfläche hat ſchon daher ihren<lb/> beſondern Reiz; von erhabener Lichtwirkung durch Weiße und Glanz ſind die<lb/> Gletſcher, von furchtbarer die wild gethürmten Eisberge.</hi> </p><lb/> <p> <hi rendition="#et">Die Licht- und Farbenreize des Waſſers wurden beiſpielsweiſe ſchon<lb/> angeführt. Nicht umſonſt nennt Novalis das Waſſer das Auge einer<lb/> Landſchaft. In der Durchſichtigkeit wirkt nebſt dem Glanze die Localfarbe<lb/> mit den geſpiegelten Farben, beſonders mit der Bläue, dem Gelb und<lb/> Roth der Luft, mit der ganzen Welt der gegenſeitigen Reflexe und Schatten<lb/> der Wellen zuſammen. Sieht man in die durchſichtige Tiefe eines ruhigen<lb/> Waſſers hinab, ſo begreift man das Gefühl, das Göthe in ſeiner Ballade:<lb/> der Fiſcher ausgeſprochen hat. Es iſt heimlich hier unten, denn das Licht<lb/> ſcheint in das farbige Dunkel und erwärmt es, das Element iſt zugleich<lb/> kühlend und gibt durch ſeine Glätte nach, indem es ſanft widerſteht; das<lb/> ladet zum Baden ein, ein Genuß, den der poetiſche Sinn nicht nur als<lb/> Erfriſchung überhaupt, ſondern als erſehnte Vereinigung, ein Verſenken in<lb/></hi> </p> </div> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [62/0074]
als Regelmäßigkeit jener Form gefordert. Gerade das freie und unregel-
mäßige Spiel des Runden an größeren Waſſermaſſen iſt es, wovon hier
eigentlich allein die Rede ſein kann. Solche frei geſchwungene Linien laſſen
ſich nirgends in höherer Schönheit beobachten, als an den Meereswellen,
wenn man bei mäßig bewegter See ſie am Ufer branden ſieht. Ueber
eine ſchlanke Einziehung wölbt ſich ein Rücken mit dem Profil des reizendſten
Schwanenhalſes. Iſt die Welle ſatt, ſo gießt zuerſt an einem oder mehreren
Punkten des Kammes das Waſſer über jene Einziehung in einem freien
Bogen herab, dann wird dieß allgemein und die Welle löst ſich auf, um
einer zweiten Platz zu machen. Es kommen noch die verſchiedenſten
anderen Wellenformen vor und die Seeleute haben beſtimmte Namen
dafür. Eine reiche Mannigfaltigkeit zeigt ſich bei ſtürmiſcher Brandung,
die Woge zerblättert ſich zu Fächern, fährt in Säulen auf, die ſich in
Büſche ausbreiten, ein krauſes Geringel ſcheint an Schlangen und die
mannigfachſten Thiergeſtalten zu erinnern.
§. 258.
Mit den Schönheiten der Linienbildung vereinigen ſich nun im Waſſer
alle Wirkungen des Lichts und der Farbe. Es hat eigene Farbe, es glänzt
und ſpiegelt fremde Formen und Farben, es iſt zugleich durchſichtig, ſeine
Tiefe ſcheint von dem durchdringenden Lichte erwärmt und lädt zugleich zu
labender Kühlung ein. In Schaum aufgelöst verliert es die Durchſichtigkeit,
ſpielt aber in neuen reizenden Formen mit ſeinem leichten Staube und das
Licht zeigt in ihm die Farben des Regenbogens. Gefroren bleibt es noch bis
auf einen gewiſſen Grad durchſichtig, eine Eisfläche hat ſchon daher ihren
beſondern Reiz; von erhabener Lichtwirkung durch Weiße und Glanz ſind die
Gletſcher, von furchtbarer die wild gethürmten Eisberge.
Die Licht- und Farbenreize des Waſſers wurden beiſpielsweiſe ſchon
angeführt. Nicht umſonſt nennt Novalis das Waſſer das Auge einer
Landſchaft. In der Durchſichtigkeit wirkt nebſt dem Glanze die Localfarbe
mit den geſpiegelten Farben, beſonders mit der Bläue, dem Gelb und
Roth der Luft, mit der ganzen Welt der gegenſeitigen Reflexe und Schatten
der Wellen zuſammen. Sieht man in die durchſichtige Tiefe eines ruhigen
Waſſers hinab, ſo begreift man das Gefühl, das Göthe in ſeiner Ballade:
der Fiſcher ausgeſprochen hat. Es iſt heimlich hier unten, denn das Licht
ſcheint in das farbige Dunkel und erwärmt es, das Element iſt zugleich
kühlend und gibt durch ſeine Glätte nach, indem es ſanft widerſteht; das
ladet zum Baden ein, ein Genuß, den der poetiſche Sinn nicht nur als
Erfriſchung überhaupt, ſondern als erſehnte Vereinigung, ein Verſenken in
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |