das Blatt der Esche, der Acazie, doppelt gefiedert sind solche Blätter, wo vom gemeinsamen Blattstiele wieder secundäre Blattstiele mit sich gegen- überstehenden Blättchen auslaufen, wie z. B. bei manchen Mimosen; gefingert ist das Blatt der Kastanie u. s. w. Eine neue Form entsteht durch die Stachelbildung am Rande, wie sie namentlich die Disteln in so mannigfaltigem und anziehendem Spiele darstellen. So zierlich nun alle diese Formen sind, so kann doch das vereinzelte Blatt niemals selbständig schön heißen, denn diese Formen führen zwar Vorstellungen verwandter Bildungen, die eine Bedeutung haben (Organe des thierischen Leibes, Waffen u. s. w.) vor das Gemüth, aber so ungefähr und dunkel, das Verwandte selbst ist auch etwas für sich so Unselbständiges, daß dieses anklingende Spiel unmöglich im eigentlichen Sinne schön heißen kann. Es wird hier Jedem sogleich beifallen, daß die Kunst einzelne Blattformen benutzt, aber auch nur zu Verzierungen eines Körpers, dessen ganze Schönheit anderswo, in seinen Verhältnissen überhaupt liegt, und zudem doch nicht sowohl das einzelne Blatt, als vielmehr eine Reihe, Gruppe von Blättern und zwar meist nicht nur von verschiedenartigen, sondern über- dieß in Verbindung mit rankenden Stielen, Stengeln, mit Thier- und Menschengestalten u. dergl.
Daß nun aber ein Baum mit gebuchteten Blättern einen andern Charakter haben wird, als mit gefiederten, gelappten u. s. w. leuchtet ein, und hier erst erhalten auch Stellung, Größe u. s. w. ihre ganze ästhetische Bedeutung: Blätter, welche rund um ihre Axe zerstreut stehen, werden dem Baume ein volleres Ansehen geben, als solche, die sich zu zwei gerade gegenüberstehen u. s. w. Von besonderer Wichtigkeit ist die Textur: der silhouettenartige Charakter der südlichen Pflanzenwelt rührt namentlich von der lederartigen Qualität so vieler Baumschläge, des Lorbeers, der immer- grünen Eiche u. s. w.; ferner die von der Länge des Stiels abhängige Beweglichkeit: die Zitterpappel oder Espe mit dem stets bewegten Laube wird anders zum Gemüthe sprechen, als die starre Buche mit den kurzen und festen Blattstielen.
2. Der dicke Stamm der Eiche hat vorzüglich rauhe Rinde, knorrige, vielgekrümmte Aeste und sie müßte in hohem Grade hart erscheinen, wenn nicht die saftigen und schön gebuchteten Blätter sie überkleideten, so aber entsteht ein schöner Gegensatz; die lanzettförmigen Blätter der Weide müßten dem Baume ein scharfes, spitzes Ansehen geben, wären nicht Aeste und Zweige so biegsam, daß jeder Wind sie umlegt und reizende Wellen erzeugt; noch weicher erscheint die Trauerweide mit den überhängenden Zweigen. Mit dem zarten Laube der Espe und Birke stimmt schlanker, großentheils glatter Stamm, in halbem rechtem Winkel abstehende, überhängende Zweige u. s. w. Es ist im Bau selbst des entblätterten Gerippes der
das Blatt der Eſche, der Acazie, doppelt gefiedert ſind ſolche Blätter, wo vom gemeinſamen Blattſtiele wieder ſecundäre Blattſtiele mit ſich gegen- überſtehenden Blättchen auslaufen, wie z. B. bei manchen Mimoſen; gefingert iſt das Blatt der Kaſtanie u. ſ. w. Eine neue Form entſteht durch die Stachelbildung am Rande, wie ſie namentlich die Diſteln in ſo mannigfaltigem und anziehendem Spiele darſtellen. So zierlich nun alle dieſe Formen ſind, ſo kann doch das vereinzelte Blatt niemals ſelbſtändig ſchön heißen, denn dieſe Formen führen zwar Vorſtellungen verwandter Bildungen, die eine Bedeutung haben (Organe des thieriſchen Leibes, Waffen u. ſ. w.) vor das Gemüth, aber ſo ungefähr und dunkel, das Verwandte ſelbſt iſt auch etwas für ſich ſo Unſelbſtändiges, daß dieſes anklingende Spiel unmöglich im eigentlichen Sinne ſchön heißen kann. Es wird hier Jedem ſogleich beifallen, daß die Kunſt einzelne Blattformen benutzt, aber auch nur zu Verzierungen eines Körpers, deſſen ganze Schönheit anderswo, in ſeinen Verhältniſſen überhaupt liegt, und zudem doch nicht ſowohl das einzelne Blatt, als vielmehr eine Reihe, Gruppe von Blättern und zwar meiſt nicht nur von verſchiedenartigen, ſondern über- dieß in Verbindung mit rankenden Stielen, Stengeln, mit Thier- und Menſchengeſtalten u. dergl.
Daß nun aber ein Baum mit gebuchteten Blättern einen andern Charakter haben wird, als mit gefiederten, gelappten u. ſ. w. leuchtet ein, und hier erſt erhalten auch Stellung, Größe u. ſ. w. ihre ganze äſthetiſche Bedeutung: Blätter, welche rund um ihre Axe zerſtreut ſtehen, werden dem Baume ein volleres Anſehen geben, als ſolche, die ſich zu zwei gerade gegenüberſtehen u. ſ. w. Von beſonderer Wichtigkeit iſt die Textur: der ſilhouettenartige Charakter der ſüdlichen Pflanzenwelt rührt namentlich von der lederartigen Qualität ſo vieler Baumſchläge, des Lorbeers, der immer- grünen Eiche u. ſ. w.; ferner die von der Länge des Stiels abhängige Beweglichkeit: die Zitterpappel oder Eſpe mit dem ſtets bewegten Laube wird anders zum Gemüthe ſprechen, als die ſtarre Buche mit den kurzen und feſten Blattſtielen.
2. Der dicke Stamm der Eiche hat vorzüglich rauhe Rinde, knorrige, vielgekrümmte Aeſte und ſie müßte in hohem Grade hart erſcheinen, wenn nicht die ſaftigen und ſchön gebuchteten Blätter ſie überkleideten, ſo aber entſteht ein ſchöner Gegenſatz; die lanzettförmigen Blätter der Weide müßten dem Baume ein ſcharfes, ſpitzes Anſehen geben, wären nicht Aeſte und Zweige ſo biegſam, daß jeder Wind ſie umlegt und reizende Wellen erzeugt; noch weicher erſcheint die Trauerweide mit den überhängenden Zweigen. Mit dem zarten Laube der Eſpe und Birke ſtimmt ſchlanker, großentheils glatter Stamm, in halbem rechtem Winkel abſtehende, überhängende Zweige u. ſ. w. Es iſt im Bau ſelbſt des entblätterten Gerippes der
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das Blatt der Eſche, der Acazie, doppelt gefiedert ſind ſolche Blätter, wo
vom gemeinſamen Blattſtiele wieder ſecundäre Blattſtiele mit ſich gegen-
überſtehenden Blättchen auslaufen, wie z. B. bei manchen Mimoſen;
gefingert iſt das Blatt der Kaſtanie u. ſ. w. Eine neue Form entſteht
durch die Stachelbildung am Rande, wie ſie namentlich die Diſteln in ſo
mannigfaltigem und anziehendem Spiele darſtellen. So zierlich nun alle
dieſe Formen ſind, ſo kann doch das vereinzelte Blatt niemals ſelbſtändig
ſchön heißen, denn dieſe Formen führen zwar Vorſtellungen verwandter
Bildungen, die eine Bedeutung haben (Organe des thieriſchen Leibes,
Waffen u. ſ. w.) vor das Gemüth, aber ſo ungefähr und dunkel, das
Verwandte ſelbſt iſt auch etwas für ſich ſo Unſelbſtändiges, daß dieſes
anklingende Spiel unmöglich im eigentlichen Sinne ſchön heißen kann.
Es wird hier Jedem ſogleich beifallen, daß die Kunſt einzelne Blattformen
benutzt, aber auch nur zu Verzierungen eines Körpers, deſſen ganze
Schönheit anderswo, in ſeinen Verhältniſſen überhaupt liegt, und zudem
doch nicht ſowohl das einzelne Blatt, als vielmehr eine Reihe, Gruppe
von Blättern und zwar meiſt nicht nur von verſchiedenartigen, ſondern über-
dieß in Verbindung mit rankenden Stielen, Stengeln, mit Thier- und
Menſchengeſtalten u. dergl.
Daß nun aber ein Baum mit gebuchteten Blättern einen andern
Charakter haben wird, als mit gefiederten, gelappten u. ſ. w. leuchtet ein,
und hier erſt erhalten auch Stellung, Größe u. ſ. w. ihre ganze äſthetiſche
Bedeutung: Blätter, welche rund um ihre Axe zerſtreut ſtehen, werden
dem Baume ein volleres Anſehen geben, als ſolche, die ſich zu zwei
gerade gegenüberſtehen u. ſ. w. Von beſonderer Wichtigkeit iſt die Textur:
der ſilhouettenartige Charakter der ſüdlichen Pflanzenwelt rührt namentlich von
der lederartigen Qualität ſo vieler Baumſchläge, des Lorbeers, der immer-
grünen Eiche u. ſ. w.; ferner die von der Länge des Stiels abhängige
Beweglichkeit: die Zitterpappel oder Eſpe mit dem ſtets bewegten Laube
wird anders zum Gemüthe ſprechen, als die ſtarre Buche mit den kurzen
und feſten Blattſtielen.
2. Der dicke Stamm der Eiche hat vorzüglich rauhe Rinde, knorrige,
vielgekrümmte Aeſte und ſie müßte in hohem Grade hart erſcheinen, wenn
nicht die ſaftigen und ſchön gebuchteten Blätter ſie überkleideten, ſo aber
entſteht ein ſchöner Gegenſatz; die lanzettförmigen Blätter der Weide müßten
dem Baume ein ſcharfes, ſpitzes Anſehen geben, wären nicht Aeſte und
Zweige ſo biegſam, daß jeder Wind ſie umlegt und reizende Wellen erzeugt;
noch weicher erſcheint die Trauerweide mit den überhängenden Zweigen.
Mit dem zarten Laube der Eſpe und Birke ſtimmt ſchlanker, großentheils
glatter Stamm, in halbem rechtem Winkel abſtehende, überhängende
Zweige u. ſ. w. Es iſt im Bau ſelbſt des entblätterten Gerippes der
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Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 2,1. Reutlingen u. a., 1847, S. 87. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik0201_1847/99>, abgerufen am 16.02.2025.
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