Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 2,2. Reutlingen u. a., 1848.
Ausdruck zur Darstellung zu bringen hat. Wie das Bewußtsein der Na- 2. Es kann, nachdem sich die Phantasie der Naturreligion ihren Göt-
Ausdruck zur Darſtellung zu bringen hat. Wie das Bewußtſein der Na- 2. Es kann, nachdem ſich die Phantaſie der Naturreligion ihren Göt- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <div n="5"> <p> <hi rendition="#et"><pb facs="#f0129" n="415"/> Ausdruck zur Darſtellung zu bringen hat. Wie das Bewußtſein der Na-<lb/> turreligion als Erſcheinung überhaupt einfach, dieſes geiſtige Leben noch<lb/> ein Naturleben iſt, ſo gilt ihm auch in ſeinen Projectionen („Aufwerfung“<lb/> ſagt der §., ein gutes Wort, das Luther gebraucht, vergl. Stuhr die<lb/> Relig.-Syſteme der heid. Völker des Orients Einl. <hi rendition="#aq">x</hi>) das Sinnliche als<lb/> affirmatives Gefäß des Geiſtigen, die Naturform als abſolut. Was im-<lb/> mer in der Geſtalt, die dieſer einfache Geiſt als Geſtalt des Abſoluten<lb/> vor ſich ſtellt und verehrt, inbegriffen und ausgedrückt ſein mag, es wird<lb/> angeſchaut unter der Kategorie des natürlichen Seins und zwar ſtets in<lb/> der Beſtimmtheit der örtlichen Natur, denn die Völker, um deren Ideal<lb/> es hier ſich handelt, ſind geſchloſſene Localgeiſter. Die Naturreligion iſt<lb/> aber weſentlich zugleich Polytheiſmus. In der freien Schönheit iſt es<lb/> kein Widerſpruch, daß es vielerlei Gebilde der Phantaſie gibt; hier weiß<lb/> man, daß in jeder derſelben die abſolute Idee nur vermittelſt einer be-<lb/> ſtimmten Idee, deren es viele gibt, ſich ausdrücken kann. Wäre der Schein<lb/> ein unfreier, wie er es in der reinen, nicht religiös beſtimmten Phan-<lb/> taſie vielmehr nicht iſt, ſo hätte alle Phantaſie überhaupt ebenſoviele<lb/> Götter, als ſie ſchöne Geſtalten erzeugt. Zu erklären iſt alſo vielmehr<lb/> nur, warum die Phantaſie des unfreien Scheins nicht noch viel mehr<lb/> Götter hat, als ſie deren thatſächlich aufweist. Der Grund liegt eben<lb/> darin, daß ſie Naturreligion iſt. Sie geht nämlich, wie wir ſehen wer-<lb/> den, immer von Erſcheinungen der nicht begeiſteten Natur aus und die<lb/> Kategorie des Seins oder der blinden Kraft, die in dieſen wirkt, bleibt<lb/> die Grundlage auch dann, wenn geiſtig ſittliche Beſtimmtheiten in ſie<lb/> hineingelegt und als menſchliche Göttergeſtalt mit größerer oder geringerer<lb/> Ablöſung auf dieſe Baſis geſtellt werden, was eben deßwegen möglich iſt,<lb/> weil das geiſtige Leben ſelbſt einfach, ein wenig verwickelter, bruchloſer<lb/> Prozeß iſt. Der Kreis der Natur-Erſcheinungen nun, welche ſolche Grund-<lb/> lagen abgeben können, iſt nicht groß: die Wirkungen der Elemente, der<lb/> Saftdrang der Pflanze, die weſentlichſten Lebensformen des Thiers geben<lb/> eine um ſo mehr überſichtliche Sphäre, da überall nur das herausge-<lb/> griffen wird, was die heimiſche, umgebende Natur an beſonders auffal-<lb/> lenden Erſcheinungen darbietet. Die Mythenwelt iſt allerdings reich, aber<lb/> ohne dieſe Beſchränkung wäre ſie unendlich. — Nur dieß Wenige iſt hier<lb/> im Allgemeinen zu ſagen, um der folgenden Entwicklung nicht vorzu-<lb/> greifen.</hi> </p><lb/> <p> <hi rendition="#et">2. Es kann, nachdem ſich die Phantaſie der Naturreligion ihren Göt-<lb/> terauszug aus der Welt gemacht, nicht an Aufforderung fehlen, die ganze<lb/> Welt, die doch daneben übrig bleibt, da und dort zu ergreifen und zu<lb/> idealiſiren. Dieſes Idealiſiren, meint man, könne dann ein reines, freies,<lb/> nicht religiöſes ſein. Allein dieß wäre Widerſpruch gegen das Prinzip;<lb/></hi> </p> </div> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [415/0129]
Ausdruck zur Darſtellung zu bringen hat. Wie das Bewußtſein der Na-
turreligion als Erſcheinung überhaupt einfach, dieſes geiſtige Leben noch
ein Naturleben iſt, ſo gilt ihm auch in ſeinen Projectionen („Aufwerfung“
ſagt der §., ein gutes Wort, das Luther gebraucht, vergl. Stuhr die
Relig.-Syſteme der heid. Völker des Orients Einl. x) das Sinnliche als
affirmatives Gefäß des Geiſtigen, die Naturform als abſolut. Was im-
mer in der Geſtalt, die dieſer einfache Geiſt als Geſtalt des Abſoluten
vor ſich ſtellt und verehrt, inbegriffen und ausgedrückt ſein mag, es wird
angeſchaut unter der Kategorie des natürlichen Seins und zwar ſtets in
der Beſtimmtheit der örtlichen Natur, denn die Völker, um deren Ideal
es hier ſich handelt, ſind geſchloſſene Localgeiſter. Die Naturreligion iſt
aber weſentlich zugleich Polytheiſmus. In der freien Schönheit iſt es
kein Widerſpruch, daß es vielerlei Gebilde der Phantaſie gibt; hier weiß
man, daß in jeder derſelben die abſolute Idee nur vermittelſt einer be-
ſtimmten Idee, deren es viele gibt, ſich ausdrücken kann. Wäre der Schein
ein unfreier, wie er es in der reinen, nicht religiös beſtimmten Phan-
taſie vielmehr nicht iſt, ſo hätte alle Phantaſie überhaupt ebenſoviele
Götter, als ſie ſchöne Geſtalten erzeugt. Zu erklären iſt alſo vielmehr
nur, warum die Phantaſie des unfreien Scheins nicht noch viel mehr
Götter hat, als ſie deren thatſächlich aufweist. Der Grund liegt eben
darin, daß ſie Naturreligion iſt. Sie geht nämlich, wie wir ſehen wer-
den, immer von Erſcheinungen der nicht begeiſteten Natur aus und die
Kategorie des Seins oder der blinden Kraft, die in dieſen wirkt, bleibt
die Grundlage auch dann, wenn geiſtig ſittliche Beſtimmtheiten in ſie
hineingelegt und als menſchliche Göttergeſtalt mit größerer oder geringerer
Ablöſung auf dieſe Baſis geſtellt werden, was eben deßwegen möglich iſt,
weil das geiſtige Leben ſelbſt einfach, ein wenig verwickelter, bruchloſer
Prozeß iſt. Der Kreis der Natur-Erſcheinungen nun, welche ſolche Grund-
lagen abgeben können, iſt nicht groß: die Wirkungen der Elemente, der
Saftdrang der Pflanze, die weſentlichſten Lebensformen des Thiers geben
eine um ſo mehr überſichtliche Sphäre, da überall nur das herausge-
griffen wird, was die heimiſche, umgebende Natur an beſonders auffal-
lenden Erſcheinungen darbietet. Die Mythenwelt iſt allerdings reich, aber
ohne dieſe Beſchränkung wäre ſie unendlich. — Nur dieß Wenige iſt hier
im Allgemeinen zu ſagen, um der folgenden Entwicklung nicht vorzu-
greifen.
2. Es kann, nachdem ſich die Phantaſie der Naturreligion ihren Göt-
terauszug aus der Welt gemacht, nicht an Aufforderung fehlen, die ganze
Welt, die doch daneben übrig bleibt, da und dort zu ergreifen und zu
idealiſiren. Dieſes Idealiſiren, meint man, könne dann ein reines, freies,
nicht religiöſes ſein. Allein dieß wäre Widerſpruch gegen das Prinzip;
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