Bedeutung als Nothhilfe. Man wird mit Fragen von Symbol zu Sym- bol geschickt und kommt nie mit der Antwort zurück: die Sonne, der Nil, das Jahr bedeuten einander, Osiris, zwar Person, also mythisch, aber wieder nur symbolisch, bedeutet alle und dazu den Ackerbau, die Gesittung überhaupt und die sittliche Idee des Lebens als Todtenrichter, aber um- gekehrt bedeuten sie wieder ihn, denn es ist die Ahnung da, daß die Naturkräfte nicht das Wahre seien, sondern das Subject, in welchem die ganze Natur sich zusammenfaßt und negativ aufhebt. Osiris ist aber wieder nicht wahrhaft das Subject, er schickt abermals zu den Naturkräften fort, er hat daher selbst wieder sein Symbol im Sperber (der mit offenem Auge in die Sonne sehen kann, daher diese bedeutet), ebenso im Stier Apis, der Symbol des Jahrs, der Sonne, des Nils ist. Sein und der Isis Sohn Horus, zunächst der Frühling, fällt auch wieder mit ihm zu- sammen. Er lebt in der Unterwelt fort, da hat er sittliche Bedeutung, er lebt aber auch im Horus fort und im Apis, da hat er wieder blos Naturbedeutung.
Man sieht allerdings, wie hier der Ansatz zum Mythischen stärker ist, als irgendwo. Da dieses die Person, also die menschliche Gestalt voraussetzt, so erweitert sich keine orientalische Phantasie so bestimmt zum Sinne für menschliche Schönheit; es fehlt zwar der seelenvolle indische Sinn für das menschliche Empfindungsleben, aber der Formsinn ist desto stärker. Um so weher muß es daher thun, wenn eben jetzt, da diese Blüthe aufgehen will, die messende Phantasie sich auf sie wirft, ihr den Ausdruck der Lebendigkeit und Individualität nimmt und sie behan- delt, wie man unorganische Formen mißt. Aber nicht nur dieß; der my- thische Ansatz sinkt auch hier wieder so tief in das Symbolische, daß gerade der menschlichste Theil, das Haupt, mit einem Thierhaupte, Sperberkopf, Hundskopf, Widder-, Kuh-Kopf u. s. w. vertauscht wird. Dieß müßte gerade um des übrigen Fortschritts willen unerträglich sein, wenn man nicht sogleich wüßte, daß nicht Schönheit, sondern die Bedeutung der Zweck ist. So erkennt man denn bei den Aegyptiern leichter, als irgend- wo, die symbolische Absicht, ohne daß darum irgend ein getrenntes Be- wußtsein der Bedeutung da wäre, wodurch das Symbolsche sich aufhöbe. Man sieht den Symbolen an ihrer bedachtsameren Wahl (Hegel Aesth. Th. 1, S. 452), an ihrer ruhig geordneten Wiederkehr an, daß siie Symbole, aber man sieht auch, daß sie Nothhilfe einer unklaren Ahnung sind, daß sie ihren Urhebern selbst die Antwort des Räthsels schuldig blieben, daher der §. das räthselhafte Schweigen als weiteren Grundzug hervorhebt.
Besonders das Thierleben diente dem Aegyptier als Symbol. Nutzen oder Schaden der Thiere konnte nicht der letzte Grund ihrer
Bedeutung als Nothhilfe. Man wird mit Fragen von Symbol zu Sym- bol geſchickt und kommt nie mit der Antwort zurück: die Sonne, der Nil, das Jahr bedeuten einander, Oſiris, zwar Perſon, alſo mythiſch, aber wieder nur ſymboliſch, bedeutet alle und dazu den Ackerbau, die Geſittung überhaupt und die ſittliche Idee des Lebens als Todtenrichter, aber um- gekehrt bedeuten ſie wieder ihn, denn es iſt die Ahnung da, daß die Naturkräfte nicht das Wahre ſeien, ſondern das Subject, in welchem die ganze Natur ſich zuſammenfaßt und negativ aufhebt. Oſiris iſt aber wieder nicht wahrhaft das Subject, er ſchickt abermals zu den Naturkräften fort, er hat daher ſelbſt wieder ſein Symbol im Sperber (der mit offenem Auge in die Sonne ſehen kann, daher dieſe bedeutet), ebenſo im Stier Apis, der Symbol des Jahrs, der Sonne, des Nils iſt. Sein und der Iſis Sohn Horus, zunächſt der Frühling, fällt auch wieder mit ihm zu- ſammen. Er lebt in der Unterwelt fort, da hat er ſittliche Bedeutung, er lebt aber auch im Horus fort und im Apis, da hat er wieder blos Naturbedeutung.
Man ſieht allerdings, wie hier der Anſatz zum Mythiſchen ſtärker iſt, als irgendwo. Da dieſes die Perſon, alſo die menſchliche Geſtalt vorausſetzt, ſo erweitert ſich keine orientaliſche Phantaſie ſo beſtimmt zum Sinne für menſchliche Schönheit; es fehlt zwar der ſeelenvolle indiſche Sinn für das menſchliche Empfindungsleben, aber der Formſinn iſt deſto ſtärker. Um ſo weher muß es daher thun, wenn eben jetzt, da dieſe Blüthe aufgehen will, die meſſende Phantaſie ſich auf ſie wirft, ihr den Ausdruck der Lebendigkeit und Individualität nimmt und ſie behan- delt, wie man unorganiſche Formen mißt. Aber nicht nur dieß; der my- thiſche Anſatz ſinkt auch hier wieder ſo tief in das Symboliſche, daß gerade der menſchlichſte Theil, das Haupt, mit einem Thierhaupte, Sperberkopf, Hundskopf, Widder-, Kuh-Kopf u. ſ. w. vertauſcht wird. Dieß müßte gerade um des übrigen Fortſchritts willen unerträglich ſein, wenn man nicht ſogleich wüßte, daß nicht Schönheit, ſondern die Bedeutung der Zweck iſt. So erkennt man denn bei den Aegyptiern leichter, als irgend- wo, die ſymboliſche Abſicht, ohne daß darum irgend ein getrenntes Be- wußtſein der Bedeutung da wäre, wodurch das Symbolſche ſich aufhöbe. Man ſieht den Symbolen an ihrer bedachtſameren Wahl (Hegel Aeſth. Th. 1, S. 452), an ihrer ruhig geordneten Wiederkehr an, daß ſiie Symbole, aber man ſieht auch, daß ſie Nothhilfe einer unklaren Ahnung ſind, daß ſie ihren Urhebern ſelbſt die Antwort des Räthſels ſchuldig blieben, daher der §. das räthſelhafte Schweigen als weiteren Grundzug hervorhebt.
Beſonders das Thierleben diente dem Aegyptier als Symbol. Nutzen oder Schaden der Thiere konnte nicht der letzte Grund ihrer
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Bedeutung als Nothhilfe. Man wird mit Fragen von Symbol zu Sym-
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das Jahr bedeuten einander, Oſiris, zwar Perſon, alſo mythiſch, aber
wieder nur ſymboliſch, bedeutet alle und dazu den Ackerbau, die Geſittung
überhaupt und die ſittliche Idee des Lebens als Todtenrichter, aber um-
gekehrt bedeuten ſie wieder ihn, denn es iſt die Ahnung da, daß die
Naturkräfte nicht das Wahre ſeien, ſondern das Subject, in welchem die
ganze Natur ſich zuſammenfaßt und negativ aufhebt. Oſiris iſt aber
wieder nicht wahrhaft das Subject, er ſchickt abermals zu den Naturkräften
fort, er hat daher ſelbſt wieder ſein Symbol im Sperber (der mit offenem
Auge in die Sonne ſehen kann, daher dieſe bedeutet), ebenſo im Stier
Apis, der Symbol des Jahrs, der Sonne, des Nils iſt. Sein und der
Iſis Sohn Horus, zunächſt der Frühling, fällt auch wieder mit ihm zu-
ſammen. Er lebt in der Unterwelt fort, da hat er ſittliche Bedeutung,
er lebt aber auch im Horus fort und im Apis, da hat er wieder blos
Naturbedeutung.
Man ſieht allerdings, wie hier der Anſatz zum Mythiſchen ſtärker
iſt, als irgendwo. Da dieſes die Perſon, alſo die menſchliche Geſtalt
vorausſetzt, ſo erweitert ſich keine orientaliſche Phantaſie ſo beſtimmt zum
Sinne für menſchliche Schönheit; es fehlt zwar der ſeelenvolle indiſche
Sinn für das menſchliche Empfindungsleben, aber der Formſinn iſt
deſto ſtärker. Um ſo weher muß es daher thun, wenn eben jetzt, da
dieſe Blüthe aufgehen will, die meſſende Phantaſie ſich auf ſie wirft, ihr
den Ausdruck der Lebendigkeit und Individualität nimmt und ſie behan-
delt, wie man unorganiſche Formen mißt. Aber nicht nur dieß; der my-
thiſche Anſatz ſinkt auch hier wieder ſo tief in das Symboliſche, daß gerade
der menſchlichſte Theil, das Haupt, mit einem Thierhaupte, Sperberkopf,
Hundskopf, Widder-, Kuh-Kopf u. ſ. w. vertauſcht wird. Dieß müßte
gerade um des übrigen Fortſchritts willen unerträglich ſein, wenn man
nicht ſogleich wüßte, daß nicht Schönheit, ſondern die Bedeutung der
Zweck iſt. So erkennt man denn bei den Aegyptiern leichter, als irgend-
wo, die ſymboliſche Abſicht, ohne daß darum irgend ein getrenntes Be-
wußtſein der Bedeutung da wäre, wodurch das Symbolſche ſich aufhöbe.
Man ſieht den Symbolen an ihrer bedachtſameren Wahl (Hegel
Aeſth. Th. 1, S. 452), an ihrer ruhig geordneten Wiederkehr an, daß
ſiie Symbole, aber man ſieht auch, daß ſie Nothhilfe einer unklaren
Ahnung ſind, daß ſie ihren Urhebern ſelbſt die Antwort des Räthſels
ſchuldig blieben, daher der §. das räthſelhafte Schweigen als weiteren
Grundzug hervorhebt.
Beſonders das Thierleben diente dem Aegyptier als Symbol.
Nutzen oder Schaden der Thiere konnte nicht der letzte Grund ihrer
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Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 2,2. Reutlingen u. a., 1848, S. 439. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik0202_1848/153>, abgerufen am 16.02.2025.
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