Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 2,2. Reutlingen u. a., 1848.
verkläre ich durch meine Stimmung zur vollen Schönheit. Ist dieß ge- §. 381. So lange jedoch die subjective Stimmung nur erste Wirkung des objecti-1 1. Der Gegenstand ist also in Wahrheit nicht frei von den trübenden
verkläre ich durch meine Stimmung zur vollen Schönheit. Iſt dieß ge- §. 381. So lange jedoch die ſubjective Stimmung nur erſte Wirkung des objecti-1 1. Der Gegenſtand iſt alſo in Wahrheit nicht frei von den trübenden <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <div n="5"> <p> <hi rendition="#et"><pb facs="#f0023" n="309"/> verkläre ich durch meine Stimmung zur vollen Schönheit. Iſt dieß ge-<lb/> ſchehen, ſo iſt dieſe Form der Stimmung zu Ende, die Erregbarkeit dauert<lb/> aber fort. Dieß kommt einem neuen Gegenſtande, der mir begegnet,<lb/> zu gute, aber auch dieſer muß mir ein (relatives) Maaß des Schönen<lb/> entgegenbringen, die Stimmung ergreift auch ihn, verklärt ihn, aber wieder<lb/> nur in <hi rendition="#g">ſeiner</hi> Weiſe, <hi rendition="#g">ſeiner</hi> Natur gemäß, und ſo befinden ſich freilich<lb/> oft Dichter und Künſtler in einer Periode beſonders glücklicher Stimmung,<lb/> die in ſprudelnder Ergiebigkeit eine Reihe von Gegenſtänden erfaßt und<lb/> zur Schönheit bildet. Alſo ein Naturſchönes ergreift das Subject, weckt<lb/> die Stimmung in ihm und dieſe Stimmung macht freilich mehr aus dem<lb/> Gegenſtande, als er an ſich iſt; der Anfang iſt objectiv, der Fortgang<lb/> ſubjectiv; das Naturſchöne iſt nicht wahrhaft ſchön, aber es muß <hi rendition="#g">da<lb/> ſein</hi>, um im Subjecte das zu wecken, was wahre Schönheit ſchafft;<lb/> ſo erhält es ſich ſchlechtweg in ſeiner Auflöſung und es wird bereits klar,<lb/> warum wir den Schein, als gebe es in der Natur wahrhaft Schönes,<lb/> ſo lange beſtehen ließen. Das Subject iſt ein Spiegel, der ſchaffend den<lb/> Gegenſtand in neuer Schönheit zurückgiebt, aber es muß einen Ge-<lb/> genſtand haben, es vollzieht dieſe Spieglung nur, wenn es von der<lb/> Täuſchung anfängt, der Gegenſtand ſelbſt ſei ſo ſchön, wie das Spiegel-<lb/> bild, und dieſe Täuſchung muß — hier ſtehen wir zunächſt noch —<lb/> ſoweit im Object Grund haben, als dieſes wirklich ungleich reiner iſt vom<lb/> trübenden Zufall, als der übrige Umkreis der Anſchauung.</hi> </p> </div><lb/> <div n="5"> <head>§. 381.</head><lb/> <p> <hi rendition="#fr">So lange jedoch die ſubjective Stimmung nur erſte Wirkung des objecti-<note place="right">1</note><lb/> ven Zufalls iſt, wird ſie ebenſowenig rein ſein, als der Gegenſtand wirklich<lb/> vollkommen iſt, vielmehr (insbeſondere im Komiſchen) mit Stoffartigem ſich<lb/> vermiſchen. Soll ſie wirklich rein und frei den Gegenſtand ergreifen und ver-<note place="right">2</note><lb/> klären, ſo muß vielmehr dieſer bereits etwas im Subjecte geweckt haben, was<lb/> über jedes einzelne Object als ein freier, obwohl durch dieſes in Thätigkeit<lb/> geſetzter Act unendlich hinausgeht, und dieſer Act muß ein inneres Bild des<lb/> Gegenſtandes ſchaffen, welches wirklich reine Form iſt, in den Gegenſtand hin-<lb/> eingelegt wird, mit ihm verſchmilzt.</hi> </p><lb/> <p> <hi rendition="#et">1. Der Gegenſtand iſt alſo in Wahrheit nicht frei von den trübenden<lb/> Einwirkungen des Zuſammenſeins ſeiner Gattung mit allen andern Gat-<lb/> tungen in Einem Raum und Einer Zeit. So lange nun die Stimmung<lb/> des Anſchauenden ſein einfacher Reflex iſt, kann ſie ebenſowenig rein<lb/> und frei ſein; denn das Subject ſteht ebenſo wie der Gegenſtand im Ge-<lb/> dränge des Einzelnen und bringt in dieſer Abhängigkeit jeden Gegenſtand<lb/></hi> </p> </div> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [309/0023]
verkläre ich durch meine Stimmung zur vollen Schönheit. Iſt dieß ge-
ſchehen, ſo iſt dieſe Form der Stimmung zu Ende, die Erregbarkeit dauert
aber fort. Dieß kommt einem neuen Gegenſtande, der mir begegnet,
zu gute, aber auch dieſer muß mir ein (relatives) Maaß des Schönen
entgegenbringen, die Stimmung ergreift auch ihn, verklärt ihn, aber wieder
nur in ſeiner Weiſe, ſeiner Natur gemäß, und ſo befinden ſich freilich
oft Dichter und Künſtler in einer Periode beſonders glücklicher Stimmung,
die in ſprudelnder Ergiebigkeit eine Reihe von Gegenſtänden erfaßt und
zur Schönheit bildet. Alſo ein Naturſchönes ergreift das Subject, weckt
die Stimmung in ihm und dieſe Stimmung macht freilich mehr aus dem
Gegenſtande, als er an ſich iſt; der Anfang iſt objectiv, der Fortgang
ſubjectiv; das Naturſchöne iſt nicht wahrhaft ſchön, aber es muß da
ſein, um im Subjecte das zu wecken, was wahre Schönheit ſchafft;
ſo erhält es ſich ſchlechtweg in ſeiner Auflöſung und es wird bereits klar,
warum wir den Schein, als gebe es in der Natur wahrhaft Schönes,
ſo lange beſtehen ließen. Das Subject iſt ein Spiegel, der ſchaffend den
Gegenſtand in neuer Schönheit zurückgiebt, aber es muß einen Ge-
genſtand haben, es vollzieht dieſe Spieglung nur, wenn es von der
Täuſchung anfängt, der Gegenſtand ſelbſt ſei ſo ſchön, wie das Spiegel-
bild, und dieſe Täuſchung muß — hier ſtehen wir zunächſt noch —
ſoweit im Object Grund haben, als dieſes wirklich ungleich reiner iſt vom
trübenden Zufall, als der übrige Umkreis der Anſchauung.
§. 381.
So lange jedoch die ſubjective Stimmung nur erſte Wirkung des objecti-
ven Zufalls iſt, wird ſie ebenſowenig rein ſein, als der Gegenſtand wirklich
vollkommen iſt, vielmehr (insbeſondere im Komiſchen) mit Stoffartigem ſich
vermiſchen. Soll ſie wirklich rein und frei den Gegenſtand ergreifen und ver-
klären, ſo muß vielmehr dieſer bereits etwas im Subjecte geweckt haben, was
über jedes einzelne Object als ein freier, obwohl durch dieſes in Thätigkeit
geſetzter Act unendlich hinausgeht, und dieſer Act muß ein inneres Bild des
Gegenſtandes ſchaffen, welches wirklich reine Form iſt, in den Gegenſtand hin-
eingelegt wird, mit ihm verſchmilzt.
1. Der Gegenſtand iſt alſo in Wahrheit nicht frei von den trübenden
Einwirkungen des Zuſammenſeins ſeiner Gattung mit allen andern Gat-
tungen in Einem Raum und Einer Zeit. So lange nun die Stimmung
des Anſchauenden ſein einfacher Reflex iſt, kann ſie ebenſowenig rein
und frei ſein; denn das Subject ſteht ebenſo wie der Gegenſtand im Ge-
dränge des Einzelnen und bringt in dieſer Abhängigkeit jeden Gegenſtand
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