Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 2,2. Reutlingen u. a., 1848.
Anm. 2 in Aussicht gestellt ist, der letzte Grund nämlich, warum der Aus-
Anm. 2 in Ausſicht geſtellt iſt, der letzte Grund nämlich, warum der Aus- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <div n="5"> <div n="6"> <p> <hi rendition="#et"><pb facs="#f0053" n="339"/> Anm. <hi rendition="#sub">2</hi> in Ausſicht geſtellt iſt, der letzte Grund nämlich, warum der Aus-<lb/> gang von der Phantaſie eine falſche Anordnung der Aeſthetik wäre. Zieht<lb/> man nämlich nicht auf dieſem Punkte ein gegebenes Object mit der vollen,<lb/> ergreifenden, das Subject hinnehmenden Wirkung der Naturſchönheit heraus<lb/> aus der breiten Maſſe der Objecte, ſo wird man nie den Act der Zu-<lb/> ſammenſchmelzung und Ineinsbildung finden können, den wir fordern.<lb/> Das phantaſiebegabte Ich hat als ein mit der Idee erfülltes auch beſtimmte<lb/> Ideen; eine oder andere dieſer Ideen ſoll es in ein Object legen, —<lb/> welche? und in welches Object? Wo da den Uebergang finden, wenn<lb/> es nicht die Macht des Objects iſt, die zuerſt das Subject hinreißt, daß<lb/> es eben <hi rendition="#g">dieſe</hi> Idee, die in <hi rendition="#g">dieſem</hi> Object liegt, — nicht in es lege,<lb/> ſondern in ihm finde, zu der ſeinigen mache, dann, im eigenen Buſen<lb/> erwärmt, wieder in das Object gieße? Man wird, wenn man nicht ſo<lb/> verfährt, immer das Subject behalten, das nun herumſucht, mit Abſichtlich-<lb/> keit irgend eine Idee in irgend ein Object legt, und es iſt kein Grund<lb/> da, warum es nicht die Idee der Freiheit in die Form eines Thiers, die<lb/> Idee des Staats in den Körper eines Steins u. ſ. w. lege. Es wird<lb/> wohl äußere Vergleichungspunkte ſuchen und etwas zweckmäßiger ver-<lb/> fahren, ſo daß z. B. die Idee des Staats vielmehr in einen Bienenſtock<lb/> gelegt wird, aber die Idee der Gattung Biene iſt ein für allemal nicht<lb/> die des Staats, der Körper hat eine fremde Seele. In dieſen bodenloſen<lb/> Idealiſmus geräth man, wenn man vom Selbſt ausgeht und es nicht<lb/> nur unterlaſſen hat, ihm vorher die Naturſchönheit unterzubreiten, ſondern<lb/> auch weiterhin unterläßt, ihm ein beſtimmtes Naturſchönes als jeweiligen<lb/> Gegenſtand ſo zu geben, daß es <hi rendition="#g">dieſen</hi> Gegenſtand und in ihm <hi rendition="#g">ſeine</hi>,<lb/> des <hi rendition="#g">Gegenſtands</hi>, Idee ergreift, in den eigenen Geiſt, deſſen ſubjective Ideen<lb/> eben die reinen Ideen der Gegenſtände ſind, aufnimmt und ihm hier den-<lb/> ſelben Gehalt, der in ihm vorliegt, als einen ſubjectiv unendlichen zuführt. Ein<lb/> Stoff zündet in dem Subject auf allen Punkten, worin dieſes jenem verwandt<lb/> iſt. Man meint immer, wenn man den Gegenſtand premire, ſo gerathe man<lb/> in den Fehler, zu vergeſſen, daß Alles auf die <hi rendition="#g">Form</hi> ankommt. Dieß<lb/> iſt völlige Verwechſlung. Die Idee des Gegenſtands bringt im Gegen-<lb/> ſtand ſelbſt ihre Form mit; das künſtleriſche Subject findet natürlich<lb/> nicht die Idee des Gegenſtandes in der Trennung von ihrer Form, ſon-<lb/> dern als Eins mit ihrer Form, richtiger als Form ſchlechtweg, nur als<lb/> noch getrübte, der Umbildung harrende vor; wir ſtreiten jetzt gar nicht<lb/> darüber, wie ſich Weſen und Form verhalten, ſondern darüber, ob der<lb/> Künſtler das Ganze von Weſen und Form im Gegenſtand finde, durch<lb/> ſeinen Geiſt hindurchgehen laſſe und erhöht wieder gebe, oder ob er ein<lb/> erſonnenes Weſen in dieſe oder jene gefundene Form hineinzulegen habe.<lb/> Da nun dieſes zur Bildung von Larven führt, die eine fremde Seele im<lb/></hi> </p> </div> </div> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [339/0053]
Anm. 2 in Ausſicht geſtellt iſt, der letzte Grund nämlich, warum der Aus-
gang von der Phantaſie eine falſche Anordnung der Aeſthetik wäre. Zieht
man nämlich nicht auf dieſem Punkte ein gegebenes Object mit der vollen,
ergreifenden, das Subject hinnehmenden Wirkung der Naturſchönheit heraus
aus der breiten Maſſe der Objecte, ſo wird man nie den Act der Zu-
ſammenſchmelzung und Ineinsbildung finden können, den wir fordern.
Das phantaſiebegabte Ich hat als ein mit der Idee erfülltes auch beſtimmte
Ideen; eine oder andere dieſer Ideen ſoll es in ein Object legen, —
welche? und in welches Object? Wo da den Uebergang finden, wenn
es nicht die Macht des Objects iſt, die zuerſt das Subject hinreißt, daß
es eben dieſe Idee, die in dieſem Object liegt, — nicht in es lege,
ſondern in ihm finde, zu der ſeinigen mache, dann, im eigenen Buſen
erwärmt, wieder in das Object gieße? Man wird, wenn man nicht ſo
verfährt, immer das Subject behalten, das nun herumſucht, mit Abſichtlich-
keit irgend eine Idee in irgend ein Object legt, und es iſt kein Grund
da, warum es nicht die Idee der Freiheit in die Form eines Thiers, die
Idee des Staats in den Körper eines Steins u. ſ. w. lege. Es wird
wohl äußere Vergleichungspunkte ſuchen und etwas zweckmäßiger ver-
fahren, ſo daß z. B. die Idee des Staats vielmehr in einen Bienenſtock
gelegt wird, aber die Idee der Gattung Biene iſt ein für allemal nicht
die des Staats, der Körper hat eine fremde Seele. In dieſen bodenloſen
Idealiſmus geräth man, wenn man vom Selbſt ausgeht und es nicht
nur unterlaſſen hat, ihm vorher die Naturſchönheit unterzubreiten, ſondern
auch weiterhin unterläßt, ihm ein beſtimmtes Naturſchönes als jeweiligen
Gegenſtand ſo zu geben, daß es dieſen Gegenſtand und in ihm ſeine,
des Gegenſtands, Idee ergreift, in den eigenen Geiſt, deſſen ſubjective Ideen
eben die reinen Ideen der Gegenſtände ſind, aufnimmt und ihm hier den-
ſelben Gehalt, der in ihm vorliegt, als einen ſubjectiv unendlichen zuführt. Ein
Stoff zündet in dem Subject auf allen Punkten, worin dieſes jenem verwandt
iſt. Man meint immer, wenn man den Gegenſtand premire, ſo gerathe man
in den Fehler, zu vergeſſen, daß Alles auf die Form ankommt. Dieß
iſt völlige Verwechſlung. Die Idee des Gegenſtands bringt im Gegen-
ſtand ſelbſt ihre Form mit; das künſtleriſche Subject findet natürlich
nicht die Idee des Gegenſtandes in der Trennung von ihrer Form, ſon-
dern als Eins mit ihrer Form, richtiger als Form ſchlechtweg, nur als
noch getrübte, der Umbildung harrende vor; wir ſtreiten jetzt gar nicht
darüber, wie ſich Weſen und Form verhalten, ſondern darüber, ob der
Künſtler das Ganze von Weſen und Form im Gegenſtand finde, durch
ſeinen Geiſt hindurchgehen laſſe und erhöht wieder gebe, oder ob er ein
erſonnenes Weſen in dieſe oder jene gefundene Form hineinzulegen habe.
Da nun dieſes zur Bildung von Larven führt, die eine fremde Seele im
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