Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 2,2. Reutlingen u. a., 1848.
Mängel des Bildes erster Hand (des Naturschönen) auf und kehrt zum Das so erzeugte Schöne nun ist das Ideal, zunächst das innere der
Mängel des Bildes erſter Hand (des Naturſchönen) auf und kehrt zum Das ſo erzeugte Schöne nun iſt das Ideal, zunächſt das innere der <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <div n="5"> <div n="6"> <p> <hi rendition="#et"><pb facs="#f0074" n="360"/> Mängel des Bildes erſter Hand (des Naturſchönen) auf und kehrt zum<lb/> göttlichen Urbilde zurück; das Naturſchöne iſt die Mitte zwiſchen dieſem<lb/> und ſeiner Herſtellung durch den Menſchengeiſt; gerade weil das zweite<lb/> Bild Scheinbild iſt, tilgt es die Mängel des erſten und nie ſteht Plato mit<lb/> ſeiner Ideelehre in gröberem Widerſpruch, als wenn er ſo den Schein<lb/> verkennt.</hi> </p><lb/> <p> <hi rendition="#et">Das ſo erzeugte Schöne nun iſt das Ideal, zunächſt das innere der<lb/> Phantaſie; nach Kant (a. a. O. §. 17) „die Vorſtellung eines einzelnen<lb/> als einer (richtiger: ſeiner) Idee adäquaten Weſens.“ Wir brauchen<lb/> keine weitere Definition, als den Zuſatz zu unſerem §. 14, daß das Schöne,<lb/> wie es dort beſtimmt iſt, ſeine wahre Wirklichkeit durch die Thätigkeit der<lb/> Phantaſie erlange, eine Thätigkeit, welche aber das Naturſchöne als Stoff<lb/> vorausſetzt. Nach der zu §. 379 angeführten Klage über die Seltenheit<lb/> ſchöner Weiber fährt Raphael in ſeinem Briefe an Caſtiglione fort,<lb/> er bediene ſich um dieſer Theurung des Stoffes willen <hi rendition="#aq">di certa idea, che<lb/> mi viene nella mente.</hi> Das Naive davon iſt, daß es danach ſcheint, als<lb/> bilde der Künſtler <hi rendition="#g">entweder</hi> nach ſchönen Modellen, <hi rendition="#g">oder</hi> in Ermang-<lb/> lung derſelben nach einem Phantaſiebilde; und ebenſo ſteht es mit der<lb/> bekannten Aeußerung Cicero’s (<hi rendition="#aq">Orat.</hi> 3), welche von Phidias ſagt, daß<lb/> ſein Jupiter, ſeine Minerva nicht nach einem Modell geſchaffen wurde: <hi rendition="#aq">sed<lb/> ipsius in mente insidebat species pulchritudinis eximia quædam, quam<lb/> intuens in eaque defixus ad illius similitudinem artem et manum dirigebat.</hi><lb/> Das Phantaſiebild iſt immer das lebendige Ineinander eines naturſchönen<lb/> Stoffs und des ganzen Gehalts mit der ganzen Formthätigkeit des Künſt-<lb/> lergeiſtes. Freilich Raphael hat dort ſeine Galathea, Cicero hat Götter-<lb/> bilder im Auge, und dieſe ſind kein in der Natur gegebener Stoff. Allein<lb/> wir haben zum Stoffe auch Solches gerechnet, was durch Kunde überlie-<lb/> fert wird, zunächſt das Geſchichtliche. Zu dieſem werden wir im folg.<lb/> Abſchnitt eine neue Stoffmaſſe treten ſehen: das ganze Gebiet der religiö-<lb/> ſen Vorſtellung, welche, zunächſt ſelbſt eine Art von Production des Schönen<lb/> durch Phantaſie, doch ſelbſt wieder ihre noch unreifen Bilder als Stoff<lb/> der freieren, rein äſthetiſchen Phantaſie überliefert. Hier iſt alſo das über-<lb/> lieferte Sagenbild das Naturſchöne, in deſſen Umbildung die Phantaſie<lb/> thätig iſt. Soll nun dieſe ihr Bild zur objectiven Ausführung bringen,<lb/> ſo entſteht die Frage, ob ſie ſich nicht noch außerdem nach <hi rendition="#g">eigentlich</hi><lb/> naturſchönen Objecten als Vorlagen umſehen ſoll: dieſe Frage gehört<lb/> aber nicht hieher, ſondern in die Kunſtlehre. Es handelt ſich da von dem<lb/><hi rendition="#g">nachträglichen</hi> Benützen von Modellen, und erſt, wenn das Natur-<lb/> ſchöne auch in dieſer zweiten Inſtanz zur Sprache kommt, iſt die Frage<lb/> über Naturnachahmung in der Kunſt ſpruchreif; vorbereitet aber haben<lb/> wir allerdings die Sache zur leichten und raſchen Löſung.</hi> </p><lb/> </div> </div> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [360/0074]
Mängel des Bildes erſter Hand (des Naturſchönen) auf und kehrt zum
göttlichen Urbilde zurück; das Naturſchöne iſt die Mitte zwiſchen dieſem
und ſeiner Herſtellung durch den Menſchengeiſt; gerade weil das zweite
Bild Scheinbild iſt, tilgt es die Mängel des erſten und nie ſteht Plato mit
ſeiner Ideelehre in gröberem Widerſpruch, als wenn er ſo den Schein
verkennt.
Das ſo erzeugte Schöne nun iſt das Ideal, zunächſt das innere der
Phantaſie; nach Kant (a. a. O. §. 17) „die Vorſtellung eines einzelnen
als einer (richtiger: ſeiner) Idee adäquaten Weſens.“ Wir brauchen
keine weitere Definition, als den Zuſatz zu unſerem §. 14, daß das Schöne,
wie es dort beſtimmt iſt, ſeine wahre Wirklichkeit durch die Thätigkeit der
Phantaſie erlange, eine Thätigkeit, welche aber das Naturſchöne als Stoff
vorausſetzt. Nach der zu §. 379 angeführten Klage über die Seltenheit
ſchöner Weiber fährt Raphael in ſeinem Briefe an Caſtiglione fort,
er bediene ſich um dieſer Theurung des Stoffes willen di certa idea, che
mi viene nella mente. Das Naive davon iſt, daß es danach ſcheint, als
bilde der Künſtler entweder nach ſchönen Modellen, oder in Ermang-
lung derſelben nach einem Phantaſiebilde; und ebenſo ſteht es mit der
bekannten Aeußerung Cicero’s (Orat. 3), welche von Phidias ſagt, daß
ſein Jupiter, ſeine Minerva nicht nach einem Modell geſchaffen wurde: sed
ipsius in mente insidebat species pulchritudinis eximia quædam, quam
intuens in eaque defixus ad illius similitudinem artem et manum dirigebat.
Das Phantaſiebild iſt immer das lebendige Ineinander eines naturſchönen
Stoffs und des ganzen Gehalts mit der ganzen Formthätigkeit des Künſt-
lergeiſtes. Freilich Raphael hat dort ſeine Galathea, Cicero hat Götter-
bilder im Auge, und dieſe ſind kein in der Natur gegebener Stoff. Allein
wir haben zum Stoffe auch Solches gerechnet, was durch Kunde überlie-
fert wird, zunächſt das Geſchichtliche. Zu dieſem werden wir im folg.
Abſchnitt eine neue Stoffmaſſe treten ſehen: das ganze Gebiet der religiö-
ſen Vorſtellung, welche, zunächſt ſelbſt eine Art von Production des Schönen
durch Phantaſie, doch ſelbſt wieder ihre noch unreifen Bilder als Stoff
der freieren, rein äſthetiſchen Phantaſie überliefert. Hier iſt alſo das über-
lieferte Sagenbild das Naturſchöne, in deſſen Umbildung die Phantaſie
thätig iſt. Soll nun dieſe ihr Bild zur objectiven Ausführung bringen,
ſo entſteht die Frage, ob ſie ſich nicht noch außerdem nach eigentlich
naturſchönen Objecten als Vorlagen umſehen ſoll: dieſe Frage gehört
aber nicht hieher, ſondern in die Kunſtlehre. Es handelt ſich da von dem
nachträglichen Benützen von Modellen, und erſt, wenn das Natur-
ſchöne auch in dieſer zweiten Inſtanz zur Sprache kommt, iſt die Frage
über Naturnachahmung in der Kunſt ſpruchreif; vorbereitet aber haben
wir allerdings die Sache zur leichten und raſchen Löſung.
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