Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,1. Reutlingen u. a., 1851.
von Subject und Object gar nicht vorhanden ist, und einer solchen, welche Vischer's Aesthetik. 3. Band. 8
von Subject und Object gar nicht vorhanden iſt, und einer ſolchen, welche Viſcher’s Aeſthetik. 3. Band. 8
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von Subject und Object gar nicht vorhanden iſt, und einer ſolchen, welche
ihn überwindet, beſtehen bleibt, ſo kann der Schein der Natur im Kunſt-
werk nicht ein wirklicher Betrug ſein, es kann den Zuſchauer nicht in
die gemeine Täuſchung verſetzen, als habe er ein wirkliches Naturwerk
vor ſich; es erſcheint als Natur und nicht als Natur, als zweite Natur.
Hier iſt die Stelle, wo der tiefſinnige Satz Kants (Kr. d. äſth. Urthlskr.
§. 45) einzurücken iſt: „an einem Producte der ſchönen Natur muß man
ſich bewußt werden, daß es Kunſt ſei und nicht Natur; aber doch muß
die Zweckmäßigkeit in der Form deſſelben von allem Zwange willkürlicher
Regeln ſo frei ſcheinen, als ob es ein Product der bloßen Natur ſei. —
Die Natur war ſchön, wenn ſie zugleich als Kunſt ausſah, und die Kunſt
kann nur ſchön genannt werden, wenn wir uns bewußt ſind, ſie ſei
Kunſt, und ſie uns doch als Natur ausſieht.“ Die weitern Sätze des §.,
daß das Kunſtwerk auf ſich ſteht und ſich ſelbſt erklärt, folgen von ſelbſt
aus dieſem ſeinem Grundcharakter und erklären ſich zugleich mit der, nun
nothwendigen, weitern Entwicklung beider Seiten desſelben. Die erſte
Seite iſt: das Kunſtwerk erſcheint als Naturwerk. Darin iſt vor Allem
enthalten, daß die innere Bedeutung desſelben dem Zuſchauer unmittelbar
einleuchtet; die Herrſchaft des Kunſtvers über ſein Material bedingt ja
den flüßig ungetheilten Uebergang alles deſſen, was er ausdrücken wollte,
in ſein Werk, und zwar ſo, daß man es findet, ohne ſich durch einen
Begriff Rechenſchaft darüber zu geben. Dieß iſt nur eine nähere Beſtim-
mung des dem Kunſtwerk eigenen Naturcharakters in Rückſicht auf den
Zuſchauer; denn die Natur, weil ſie ſich nicht in Subject und Object
entzweit, hebt in dem organiſchen Bau der innern Zweckmäßigkeit alle
einzelnen wirkenden Kräfte ſo in den Geſammtausdruck der Geſtalt auf,
daß, wer dieſe ſieht, auch die werkthätige Idee ſieht, weßwegen ja Kant
ſo ganz ohne Grund die organiſche Schönheit zu dem blos anhängend
Schönen, d. h. zu dem, das blos durch Vermittlung eines Begriffs
gefällt, (a. a. O. §. 16) rechnet; ebenſo aber iſt in dem ächten Kunſt-
werk alles Innere heraus und in die anſchauliche Form rein aufgegan-
gen. Das Meiſterwerk erklärt ſich ſelbſt, Dunkel iſt eine Eigenſchaft,
die das Kunſtwerk degradirt. Unter Dunkel iſt natürlich nicht zu ver-
ſtehen die Ferne der Zeit, die Fremdheit der Sprache u. ſ. w., ſofern ſie
für eine ſpätere Zeit, ein anderes Volk, eine gewiſſe Zurüſtung von
gelehrten Mitteln zur Erklärung eines Kunſtwerks nothwendig machen;
auch fremde und verſchwundene Culturformen, welche ein gleichzeitiger
Künſtler der eigenen Nation zur Darſtellung bringt und deren Verſtänd-
niß gewiſſe Kenntniſſe vorausſetzt, machen ein Kunſtwerk noch nicht im
übeln Sinne dunkel, ſofern nur das rein Menſchliche, das Alle unmittel-
bar verſtehen, nicht mit ſolchen überladen iſt; auch die Darſtellung einer
Viſcher’s Aeſthetik. 3. Band. 8
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