Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,1. Reutlingen u. a., 1851.
und rein malerischen so wie mit der erhabenen und schönen läßt sich nun
und rein maleriſchen ſo wie mit der erhabenen und ſchönen läßt ſich nun <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <div n="5"> <div n="6"> <div n="7"> <p> <hi rendition="#et"><pb facs="#f0136" n="124"/> und rein maleriſchen ſo wie mit der erhabenen und ſchönen läßt ſich nun<lb/> zeigen, wie bei ſubjectiv verſchiedener Art, Ein und daſſelbe Object zu<lb/> ſehen und zu empfinden, dennoch Styl möglich iſt. Hier muß der<lb/> unbeſtimmte Ausdruck (§. 526): Auffaſſung des Gegenſtands von der<lb/> Seite, die der Subjectivität des Künſtlers zuſagt, genauer genommen<lb/> werden. Seite iſt eines der Momente, welche die Erſcheinung eines der<lb/> Darſtellung gebotenen Stoffs in ſich befaßt, und zwar eine bedeutende,<lb/> weſentliche, von welcher aus der Gegenſtand in ſeinem Innern ſich er-<lb/> greifen läßt und zwar ſo, daß auch die andern Momente ſeiner Erſchei-<lb/> nung mitergriffen werden, nur je in <hi rendition="#g">dieſer</hi> Auffaſſung als untergeord-<lb/> net; ſo iſt eine Landſchaft ein Ganzes von Erdformen, worin ſich haupt-<lb/> ſächlich das Reich der Linien darſtellt, von Vegetation, Licht und Luftleben,<lb/> Waſſer u. ſ. w.; der menſchliche Körper bietet in Knochen und Muskel<lb/> die Erſcheinung des organiſch Starken, in Fett und Haut des weicher<lb/> Umkleidenden, im Angeſicht und Händen und ihrem Spiel die Erſcheinung<lb/> des geiſtigen Ausdrucks in ſeinen verſchiedenen Richtungen dar, ſo daß<lb/> mehr der Wille oder die empfindende Seele oder der Gedanke hervor-<lb/> tritt; eine Handlung zeigt das Bleibende der Sitte, die augenblicklichen<lb/> und doch vielfach motivirten Erregungen des Temperaments, der Gedan-<lb/> ken- und Gefühlswelt und den Moment des Entſchluſſes. Nun ſetze<lb/> man, daß einer dieſer Stoffe gegeben ſei in einer Erſcheinung, in<lb/> welcher unbeſchadet ſeiner objectiven Natur das eine oder andere die-<lb/> ſer Erſcheinungsmomente zum Standpuncte der Auffaſſung genommen,<lb/> zum Mittelpuncte der Darſtellung erhoben werden kann, ſo iſt man<lb/> bis dahin gekommen, wo die Sache klar wird. Man nehme alſo<lb/> z. B. eine Landſchaft, welche bedeutende Linien, bedeutende Baum-<lb/> gruppen, Reize des Licht- und Luft-Lebens im Sinne der ſüdlichen Natur<lb/> darbietet, ſo wird ein genialer Landſchaftmaler ſeiner ſubjectiven Auffaſſung<lb/> gemäß hauptſächlich das Großartige der Erdformen, ein anderer mehr<lb/> das Bedeutende der Vegetation hervorheben und zugleich dem Zauber<lb/> im Luft- und Licht-Leben nachgehen, jene Seite aber mehr zurückſtellen,<lb/> beide aber können von ihrem Auffaſſungspunct in das volle Leben des<lb/> Gegenſtands eindringen. Cl. Lorrain und Rottmann haben beide Styl,<lb/> obwohl dieſer in der Poeſie des Erdlebens, jener des Baum- Licht- und<lb/> Luft-Lebens bedeutender iſt. Man denke ſich aber, daß dieſe beiden ihre<lb/> klare, offene, plaſtiſche Auffaſſung einer nordiſchen, in Linien und<lb/> Vegetation ſchwungloſen, rauhen, in Licht und Luſt düſtern Landſchaft<lb/> aufdrängten, ſo würde nicht Styl, ſondern Manier entſtehen. Hier<lb/> wäre die Auffaſſung eines Ruisdael und Everdingen gefordert; auch<lb/> dieſe beiden haben Styl, aber ſie würden manierirt, wenn ſie ihre Auf-<lb/> faſſung einer ſüdlichen Landſchaft aufdrängten. So wenn Raphael<lb/></hi> </p> </div> </div> </div> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [124/0136]
und rein maleriſchen ſo wie mit der erhabenen und ſchönen läßt ſich nun
zeigen, wie bei ſubjectiv verſchiedener Art, Ein und daſſelbe Object zu
ſehen und zu empfinden, dennoch Styl möglich iſt. Hier muß der
unbeſtimmte Ausdruck (§. 526): Auffaſſung des Gegenſtands von der
Seite, die der Subjectivität des Künſtlers zuſagt, genauer genommen
werden. Seite iſt eines der Momente, welche die Erſcheinung eines der
Darſtellung gebotenen Stoffs in ſich befaßt, und zwar eine bedeutende,
weſentliche, von welcher aus der Gegenſtand in ſeinem Innern ſich er-
greifen läßt und zwar ſo, daß auch die andern Momente ſeiner Erſchei-
nung mitergriffen werden, nur je in dieſer Auffaſſung als untergeord-
net; ſo iſt eine Landſchaft ein Ganzes von Erdformen, worin ſich haupt-
ſächlich das Reich der Linien darſtellt, von Vegetation, Licht und Luftleben,
Waſſer u. ſ. w.; der menſchliche Körper bietet in Knochen und Muskel
die Erſcheinung des organiſch Starken, in Fett und Haut des weicher
Umkleidenden, im Angeſicht und Händen und ihrem Spiel die Erſcheinung
des geiſtigen Ausdrucks in ſeinen verſchiedenen Richtungen dar, ſo daß
mehr der Wille oder die empfindende Seele oder der Gedanke hervor-
tritt; eine Handlung zeigt das Bleibende der Sitte, die augenblicklichen
und doch vielfach motivirten Erregungen des Temperaments, der Gedan-
ken- und Gefühlswelt und den Moment des Entſchluſſes. Nun ſetze
man, daß einer dieſer Stoffe gegeben ſei in einer Erſcheinung, in
welcher unbeſchadet ſeiner objectiven Natur das eine oder andere die-
ſer Erſcheinungsmomente zum Standpuncte der Auffaſſung genommen,
zum Mittelpuncte der Darſtellung erhoben werden kann, ſo iſt man
bis dahin gekommen, wo die Sache klar wird. Man nehme alſo
z. B. eine Landſchaft, welche bedeutende Linien, bedeutende Baum-
gruppen, Reize des Licht- und Luft-Lebens im Sinne der ſüdlichen Natur
darbietet, ſo wird ein genialer Landſchaftmaler ſeiner ſubjectiven Auffaſſung
gemäß hauptſächlich das Großartige der Erdformen, ein anderer mehr
das Bedeutende der Vegetation hervorheben und zugleich dem Zauber
im Luft- und Licht-Leben nachgehen, jene Seite aber mehr zurückſtellen,
beide aber können von ihrem Auffaſſungspunct in das volle Leben des
Gegenſtands eindringen. Cl. Lorrain und Rottmann haben beide Styl,
obwohl dieſer in der Poeſie des Erdlebens, jener des Baum- Licht- und
Luft-Lebens bedeutender iſt. Man denke ſich aber, daß dieſe beiden ihre
klare, offene, plaſtiſche Auffaſſung einer nordiſchen, in Linien und
Vegetation ſchwungloſen, rauhen, in Licht und Luſt düſtern Landſchaft
aufdrängten, ſo würde nicht Styl, ſondern Manier entſtehen. Hier
wäre die Auffaſſung eines Ruisdael und Everdingen gefordert; auch
dieſe beiden haben Styl, aber ſie würden manierirt, wenn ſie ihre Auf-
faſſung einer ſüdlichen Landſchaft aufdrängten. So wenn Raphael
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