Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,1. Reutlingen u. a., 1851.
die untergeordneten Prinzipien, denn man wird sehen, daß in der Ein-
die untergeordneten Prinzipien, denn man wird ſehen, daß in der Ein- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <div n="5"> <div n="6"> <p> <hi rendition="#et"><pb facs="#f0156" n="144"/> die untergeordneten Prinzipien, denn man wird ſehen, daß in der Ein-<lb/> theilung der Zweige zu dem oberſten Eintheilungsgrund ſecundäre Ein-<lb/> theilungsgründe mehr äußerlich hinzutreten. Die Nothwendigkeit der<lb/> Kürze in Aufſchriften erlaubt aber das Anſinnen, mit dem allgemeinen<lb/> Ausdruck: das Prinzip einen Begriff zu verbinden, der die Grenze in<lb/> dieſem Sinn offen läßt. — Die Nothwendigkeit nun, daß die Kunſt in<lb/> eine Mehrheit ſelbſtändiger Formen auseinandertrete, iſt in §. 532 als<lb/> eine vorausgeſetzte ausgeſprochen. Der Ausgangspunct für den Nachweis<lb/> dieſer Nothwendigkeit liegt zunächſt einfach in dem Charakter der ſinn-<lb/> lichen Ausſchließlichkeit, den das Material trägt. Die Phantaſie iſt das<lb/> Organ des Schönen in ſeinem ganzen Umfang, ſowohl nach dem Ideen-<lb/> gehalt, als nach der weiten Welt der Erſcheinungsformen. Will ſie ſich<lb/> als Kunſt verwirklichen, ſo muß ſie zu einem Materiale greifen. Jedes<lb/> Material aber hat ſeine unüberſteigliche Grenze; in Stein und Erz läßt<lb/> ſich nur dieß und auf dieſe Weiſe ſagen, in Farbe mehr, aber wieder<lb/> nicht Alles u. ſ. f. Dieſe Schranke iſt aber in der Phantaſie nothwen-<lb/> dig Eins mit dem Drang ihrer Ueberwindung. Das Geſetz dieſer Fort-<lb/> bewegung kann zunächſt beſtimmt werden als Geſetz eines Suchens nach<lb/> der am meiſten <hi rendition="#g">ſprechenden</hi> Form, d. h. der geiſtig tiefſten, umfaſſend-<lb/> ſten, ausdrucksvollſten, oder man kann vorerſt die Formel aufſtellen: der Ein-<lb/> theilungsgrund der Künſte iſt der Grad ihrer Geiſtigkeit (innerhalb des<lb/> Sinnlichen). In der Sprache der Aeſthetik aber heißt das Geiſtige reiner<lb/> Schein; dieſer ſetzt (vergl. §. 54) die völlige Abſtraction vom Durch-<lb/> ſchnitt voraus und wird ſchließlich nur da eintreten, wo wirklich alles<lb/> Material abgeworfen iſt; „in einem gewiſſen Sinne“ ſagt der §.: in<lb/> welchem, dieß wird ſich zeigen. Der reine Schein iſt aber auch der<lb/> vollere, d. h. der umfaſſendere, denn da das Material den Charakter der<lb/> Ausſchließlichkeit hat, ſo wird die Kunſt erſt dann Alles ſagen können,<lb/> was ſie zu ſagen hat, wenn ſie auf alles Material verzichtet. Wenn<lb/> wir die Reihe der Künſte demgemäß als eine aufſteigende Stufenfolge<lb/> faſſen, deren treibendes Geſetz dieſer Drang der Fortbewegung iſt, ſo<lb/> haben wir uns bereits gegen die gemeine Logik erklärt, welche den<lb/> älteren Eintheilungen zu Grunde liegt. Die Maſſe der Kunſt wird hier<lb/> in Künſte zerſchnitten, die ohne inneres Band nebeneinanderliegen; rich-<lb/> tiger, man findet die Stücke vor und ſubſumirt ſie unter gewiſſe Kate-<lb/> gorien: Mittheilungsmittel: Geſtalt, Ton; Organ der Aufnahme: Geſicht,<lb/> Gehör; Grundform der Anſchauung: Raum, Zeit; ſo entſtand die Ein-<lb/> theilung in bildende und toniſche Künſte. Wir werden dieſe veraltete<lb/> Eintheilung noch von andern Seiten prüfen müſſen; zunächſt werfen wir<lb/> ihr nur den Mangel innerer Einheit vor. Unſere organiſch verbindende<lb/> Auffaſſung kann nicht ſo verſtanden werden, als denken wir an ein<lb/></hi> </p> </div> </div> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [144/0156]
die untergeordneten Prinzipien, denn man wird ſehen, daß in der Ein-
theilung der Zweige zu dem oberſten Eintheilungsgrund ſecundäre Ein-
theilungsgründe mehr äußerlich hinzutreten. Die Nothwendigkeit der
Kürze in Aufſchriften erlaubt aber das Anſinnen, mit dem allgemeinen
Ausdruck: das Prinzip einen Begriff zu verbinden, der die Grenze in
dieſem Sinn offen läßt. — Die Nothwendigkeit nun, daß die Kunſt in
eine Mehrheit ſelbſtändiger Formen auseinandertrete, iſt in §. 532 als
eine vorausgeſetzte ausgeſprochen. Der Ausgangspunct für den Nachweis
dieſer Nothwendigkeit liegt zunächſt einfach in dem Charakter der ſinn-
lichen Ausſchließlichkeit, den das Material trägt. Die Phantaſie iſt das
Organ des Schönen in ſeinem ganzen Umfang, ſowohl nach dem Ideen-
gehalt, als nach der weiten Welt der Erſcheinungsformen. Will ſie ſich
als Kunſt verwirklichen, ſo muß ſie zu einem Materiale greifen. Jedes
Material aber hat ſeine unüberſteigliche Grenze; in Stein und Erz läßt
ſich nur dieß und auf dieſe Weiſe ſagen, in Farbe mehr, aber wieder
nicht Alles u. ſ. f. Dieſe Schranke iſt aber in der Phantaſie nothwen-
dig Eins mit dem Drang ihrer Ueberwindung. Das Geſetz dieſer Fort-
bewegung kann zunächſt beſtimmt werden als Geſetz eines Suchens nach
der am meiſten ſprechenden Form, d. h. der geiſtig tiefſten, umfaſſend-
ſten, ausdrucksvollſten, oder man kann vorerſt die Formel aufſtellen: der Ein-
theilungsgrund der Künſte iſt der Grad ihrer Geiſtigkeit (innerhalb des
Sinnlichen). In der Sprache der Aeſthetik aber heißt das Geiſtige reiner
Schein; dieſer ſetzt (vergl. §. 54) die völlige Abſtraction vom Durch-
ſchnitt voraus und wird ſchließlich nur da eintreten, wo wirklich alles
Material abgeworfen iſt; „in einem gewiſſen Sinne“ ſagt der §.: in
welchem, dieß wird ſich zeigen. Der reine Schein iſt aber auch der
vollere, d. h. der umfaſſendere, denn da das Material den Charakter der
Ausſchließlichkeit hat, ſo wird die Kunſt erſt dann Alles ſagen können,
was ſie zu ſagen hat, wenn ſie auf alles Material verzichtet. Wenn
wir die Reihe der Künſte demgemäß als eine aufſteigende Stufenfolge
faſſen, deren treibendes Geſetz dieſer Drang der Fortbewegung iſt, ſo
haben wir uns bereits gegen die gemeine Logik erklärt, welche den
älteren Eintheilungen zu Grunde liegt. Die Maſſe der Kunſt wird hier
in Künſte zerſchnitten, die ohne inneres Band nebeneinanderliegen; rich-
tiger, man findet die Stücke vor und ſubſumirt ſie unter gewiſſe Kate-
gorien: Mittheilungsmittel: Geſtalt, Ton; Organ der Aufnahme: Geſicht,
Gehör; Grundform der Anſchauung: Raum, Zeit; ſo entſtand die Ein-
theilung in bildende und toniſche Künſte. Wir werden dieſe veraltete
Eintheilung noch von andern Seiten prüfen müſſen; zunächſt werfen wir
ihr nur den Mangel innerer Einheit vor. Unſere organiſch verbindende
Auffaſſung kann nicht ſo verſtanden werden, als denken wir an ein
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