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Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,1. Reutlingen u. a., 1851.

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unendlich und sein wahrer Sinn, daß es sich an die Menschheit wendet,
weil in ihm selbst das Ganze der Menschheit erscheint. Der Erzeuger
des Phantasiebildes ist daher, solang er es noch nicht aus dem Innern
entlassen und mitgetheilt hat, ein Schuldner, die Menschheit sein Gläubiger.
Diese der Zahl nach unbestimmte Vielheit von Subjecten, für welche das
Phantasiebild erscheinen soll, begreift sowohl jene Wenigen in sich, die
gleich dem Urheber dieses Bildes die Gabe der Phantasie im engeren,
productiven Sinne besitzen, als auch die Masse derjenigen, in welchen die
Phantasie sich nicht zur freien Thätigkeit zusammenfaßt, sondern im All-
gemeinen auf den Stufen der bloßen Empfänglichkeit, Fähigkeit der Auf-
nahme stehen bleibt. Der zweite Abschnitt des zweiten Theils hat diese
zwei Formen als die allgemeine und besondere Phantasie unter-
schieden, er hat gezeigt, wie weit die allgemeine, stumpfer ausgebildete,
der besondern in der Reihe ihrer klar sich scheidenden Acte zu folgen im
Stande ist. Wir haben gesehen, wie jene zurückbleibt von da an, wo
die eigentlich idealbildende Thätigkeit beginnt (§. 392--399), d. h. wie
sie der besondern Phantasie auf diese schöpferische Stufe nur im Sinn
eines massenhaften, unfreien, eine scheinbare neue Stoffwelt erzeugenden
Instincts folgt (§. 416), wie sie daher auf die besondere Phantasie
wartet (§. 417), um aus ihrer Hand ihr eigenes Werk zur freien
Schönheit umgebildet zurückzuerhalten. Diese Mittheilung der besondern
Phantasie an die allgemeine mußte in §. 419 wirklich bereits voraus-
gesetzt werden. Das phantasiebegabte Subject soll also nun sein Bild
aufschließen für Alle, und unter diesen befinden sich, wie vorhin gesagt
ist, allerdings auch Solche, die selbst der besondern Phantasie theilhaftig
sind, also selbst mittheilen können. An diesem Verhältniß beschäftigt uns
jedoch hier die letztere Seite, das Darstellen des Künstlers für Künstler,
nicht; denn die Künstler, welche das Werk eines Künstlers genießen, lernen
daraus für ihre Thätigkeit, und diese ist für sie ebenso eine Schuld gegen
die Masse, die nur empfangen kann, wie für jenen Künstler, von dem
sie lernen, also gehören sie im vorliegenden Zusammenhang eben zu der
Seite, auf welcher das Subject steht, von dem wir aussagen, daß eine
Verpflichtung der besondern Phantasie gegen die allgemeine auf ihm ruhe;
diese Seite gehört also in einen andern Zusammenhang, und zwar in den,
wo von der Schule die Rede seyn wird. Es soll sich nun wirklich jene
Aristokratie aufheben, welche in dem Gegensatze der besondern und allge-
meinen Phantasie liegt. Der Genius gehört derselben Menschheit an,
wie die des Schaffens unfähige Masse; was in dieser so ausgebreitet ist,
daß auf den Einzelnen wenig kommt, ist in ihm gesammelt und zur
Energie des Könnens zusammengeschlossen, daher bedürfen beide einander,
wie Mann und Weib oder Sohn und Mutter. Die Masse will und soll

unendlich und ſein wahrer Sinn, daß es ſich an die Menſchheit wendet,
weil in ihm ſelbſt das Ganze der Menſchheit erſcheint. Der Erzeuger
des Phantaſiebildes iſt daher, ſolang er es noch nicht aus dem Innern
entlaſſen und mitgetheilt hat, ein Schuldner, die Menſchheit ſein Gläubiger.
Dieſe der Zahl nach unbeſtimmte Vielheit von Subjecten, für welche das
Phantaſiebild erſcheinen ſoll, begreift ſowohl jene Wenigen in ſich, die
gleich dem Urheber dieſes Bildes die Gabe der Phantaſie im engeren,
productiven Sinne beſitzen, als auch die Maſſe derjenigen, in welchen die
Phantaſie ſich nicht zur freien Thätigkeit zuſammenfaßt, ſondern im All-
gemeinen auf den Stufen der bloßen Empfänglichkeit, Fähigkeit der Auf-
nahme ſtehen bleibt. Der zweite Abſchnitt des zweiten Theils hat dieſe
zwei Formen als die allgemeine und beſondere Phantaſie unter-
ſchieden, er hat gezeigt, wie weit die allgemeine, ſtumpfer ausgebildete,
der beſondern in der Reihe ihrer klar ſich ſcheidenden Acte zu folgen im
Stande iſt. Wir haben geſehen, wie jene zurückbleibt von da an, wo
die eigentlich idealbildende Thätigkeit beginnt (§. 392—399), d. h. wie
ſie der beſondern Phantaſie auf dieſe ſchöpferiſche Stufe nur im Sinn
eines maſſenhaften, unfreien, eine ſcheinbare neue Stoffwelt erzeugenden
Inſtincts folgt (§. 416), wie ſie daher auf die beſondere Phantaſie
wartet (§. 417), um aus ihrer Hand ihr eigenes Werk zur freien
Schönheit umgebildet zurückzuerhalten. Dieſe Mittheilung der beſondern
Phantaſie an die allgemeine mußte in §. 419 wirklich bereits voraus-
geſetzt werden. Das phantaſiebegabte Subject ſoll alſo nun ſein Bild
aufſchließen für Alle, und unter dieſen befinden ſich, wie vorhin geſagt
iſt, allerdings auch Solche, die ſelbſt der beſondern Phantaſie theilhaftig
ſind, alſo ſelbſt mittheilen können. An dieſem Verhältniß beſchäftigt uns
jedoch hier die letztere Seite, das Darſtellen des Künſtlers für Künſtler,
nicht; denn die Künſtler, welche das Werk eines Künſtlers genießen, lernen
daraus für ihre Thätigkeit, und dieſe iſt für ſie ebenſo eine Schuld gegen
die Maſſe, die nur empfangen kann, wie für jenen Künſtler, von dem
ſie lernen, alſo gehören ſie im vorliegenden Zuſammenhang eben zu der
Seite, auf welcher das Subject ſteht, von dem wir ausſagen, daß eine
Verpflichtung der beſondern Phantaſie gegen die allgemeine auf ihm ruhe;
dieſe Seite gehört alſo in einen andern Zuſammenhang, und zwar in den,
wo von der Schule die Rede ſeyn wird. Es ſoll ſich nun wirklich jene
Ariſtokratie aufheben, welche in dem Gegenſatze der beſondern und allge-
meinen Phantaſie liegt. Der Genius gehört derſelben Menſchheit an,
wie die des Schaffens unfähige Maſſe; was in dieſer ſo ausgebreitet iſt,
daß auf den Einzelnen wenig kommt, iſt in ihm geſammelt und zur
Energie des Könnens zuſammengeſchloſſen, daher bedürfen beide einander,
wie Mann und Weib oder Sohn und Mutter. Die Maſſe will und ſoll

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[4/0016] unendlich und ſein wahrer Sinn, daß es ſich an die Menſchheit wendet, weil in ihm ſelbſt das Ganze der Menſchheit erſcheint. Der Erzeuger des Phantaſiebildes iſt daher, ſolang er es noch nicht aus dem Innern entlaſſen und mitgetheilt hat, ein Schuldner, die Menſchheit ſein Gläubiger. Dieſe der Zahl nach unbeſtimmte Vielheit von Subjecten, für welche das Phantaſiebild erſcheinen ſoll, begreift ſowohl jene Wenigen in ſich, die gleich dem Urheber dieſes Bildes die Gabe der Phantaſie im engeren, productiven Sinne beſitzen, als auch die Maſſe derjenigen, in welchen die Phantaſie ſich nicht zur freien Thätigkeit zuſammenfaßt, ſondern im All- gemeinen auf den Stufen der bloßen Empfänglichkeit, Fähigkeit der Auf- nahme ſtehen bleibt. Der zweite Abſchnitt des zweiten Theils hat dieſe zwei Formen als die allgemeine und beſondere Phantaſie unter- ſchieden, er hat gezeigt, wie weit die allgemeine, ſtumpfer ausgebildete, der beſondern in der Reihe ihrer klar ſich ſcheidenden Acte zu folgen im Stande iſt. Wir haben geſehen, wie jene zurückbleibt von da an, wo die eigentlich idealbildende Thätigkeit beginnt (§. 392—399), d. h. wie ſie der beſondern Phantaſie auf dieſe ſchöpferiſche Stufe nur im Sinn eines maſſenhaften, unfreien, eine ſcheinbare neue Stoffwelt erzeugenden Inſtincts folgt (§. 416), wie ſie daher auf die beſondere Phantaſie wartet (§. 417), um aus ihrer Hand ihr eigenes Werk zur freien Schönheit umgebildet zurückzuerhalten. Dieſe Mittheilung der beſondern Phantaſie an die allgemeine mußte in §. 419 wirklich bereits voraus- geſetzt werden. Das phantaſiebegabte Subject ſoll alſo nun ſein Bild aufſchließen für Alle, und unter dieſen befinden ſich, wie vorhin geſagt iſt, allerdings auch Solche, die ſelbſt der beſondern Phantaſie theilhaftig ſind, alſo ſelbſt mittheilen können. An dieſem Verhältniß beſchäftigt uns jedoch hier die letztere Seite, das Darſtellen des Künſtlers für Künſtler, nicht; denn die Künſtler, welche das Werk eines Künſtlers genießen, lernen daraus für ihre Thätigkeit, und dieſe iſt für ſie ebenſo eine Schuld gegen die Maſſe, die nur empfangen kann, wie für jenen Künſtler, von dem ſie lernen, alſo gehören ſie im vorliegenden Zuſammenhang eben zu der Seite, auf welcher das Subject ſteht, von dem wir ausſagen, daß eine Verpflichtung der beſondern Phantaſie gegen die allgemeine auf ihm ruhe; dieſe Seite gehört alſo in einen andern Zuſammenhang, und zwar in den, wo von der Schule die Rede ſeyn wird. Es ſoll ſich nun wirklich jene Ariſtokratie aufheben, welche in dem Gegenſatze der beſondern und allge- meinen Phantaſie liegt. Der Genius gehört derſelben Menſchheit an, wie die des Schaffens unfähige Maſſe; was in dieſer ſo ausgebreitet iſt, daß auf den Einzelnen wenig kommt, iſt in ihm geſammelt und zur Energie des Könnens zuſammengeſchloſſen, daher bedürfen beide einander, wie Mann und Weib oder Sohn und Mutter. Die Maſſe will und ſoll

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Zitationshilfe: Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,1. Reutlingen u. a., 1851, S. 4. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik0301_1851/16>, abgerufen am 21.11.2024.