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Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,1. Reutlingen u. a., 1851.

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§. 546.

Zwei Arten dieser anhängenden Formen gründen sich auf die Extreme
der Kunst. Sie hat auf der einen Seite ihre Wurzel im Handwerk und in
der Reihe der Künste ist dieser Zusammenhang durch die Baukunst bezeichnet.
Nach dieser Seite verschönern (vergl. §. 515. 2.) nun mit dieser die andern
bildenden Künste das der äußern Zweckmäßigkeit dienende Erzeugniß des
Handwerks und bilden in dieser Richtung eine Reihe feinerer, kunstsinniger
Gewerke aus.

Wenn gesagt ist, daß die Baukunst es sei, die dieses Band mit dem
Reiche der äußern Zweckmäßigkeit (nach dieser Seite kommt von den §§.
des ersten Theils, auf die hier wieder verwiesen werden mußte, zuerst
§. 23 in Betracht) im Systeme der Künste darstelle, so ist damit natürlich
nicht gemeint, daß nur sie jene verschönernde Thätigkeit entwickle; die
Reihe von feineren Gewerken (vergl. §. 516 Anm.), die diesem Ver-
schönerungszwecke, dessen Bedeutung schon §. 515, 2. dargestellt ist, in
der vielfachsten Weise dient, steht in dem Verhältnisse von Trabanten zu
allen bildenden Künsten. Diese natürlich sind es, die hier die entsprechen-
den Seitenzweige treiben, die Musik werden wir im Verhältnisse zu
andern anhängenden Künsten treffen; wenn die Poesie z. B. ein Gebäude
durch Inschrift schmückt, so gehört dieß nicht hieher; die Künste der Zeit
können sich mit dem Bewegungslosen im Raume, wozu ja alles Product
des Handwerks gehört, in dem Sinne nicht verbinden, daß eine anhän-
gende Kunstform entstehen würde. Wer die reiche Formenwelt des
Orients, des classischen Alterthums, des Mittelalters in allen Geräthen,
Kleidern, Waffen, Schmuck der räumlichen Umgebungen kennt und damit
die Kahlheit unserer Welt vergleicht, der weiß, warum wir diesem Gebiete
so große Bedeutung zuerkennen.

§. 547.

Auf dem andern, im Systeme der Künste durch die Poesie bezeichneten
Extreme mündet die Kunst in das Wahre und, da dieses sich wieder in das Gute
umsetzt, in das sittlich politische Leben. Diesem geistigen Zwecke können alle
Künste dienen, aber nur die Malerei und die Dichtkunst treiben eigene Neben-
zweige in dieser Richtung, welche entweder dem Leben positiv die wahre Idee
entgegenhalten oder dieselbe negativ seiner unwahren Gestalt als Folie im Sinne
der Komik unterlegen. Jenes Verfahren ist bei direct und systematisch ausge-
sprochener Absicht das didaktische, bei blos zu Grunde liegender Absichtlich-
keit der ganzen Haltung das tendenziöse (vergl. §. 484), dieses ist satyrisch
(vergl. §. 195), steht höher und kann sich bis zum Humor erheben.


§. 546.

Zwei Arten dieſer anhängenden Formen gründen ſich auf die Extreme
der Kunſt. Sie hat auf der einen Seite ihre Wurzel im Handwerk und in
der Reihe der Künſte iſt dieſer Zuſammenhang durch die Baukunſt bezeichnet.
Nach dieſer Seite verſchönern (vergl. §. 515. 2.) nun mit dieſer die andern
bildenden Künſte das der äußern Zweckmäßigkeit dienende Erzeugniß des
Handwerks und bilden in dieſer Richtung eine Reihe feinerer, kunſtſinniger
Gewerke aus.

Wenn geſagt iſt, daß die Baukunſt es ſei, die dieſes Band mit dem
Reiche der äußern Zweckmäßigkeit (nach dieſer Seite kommt von den §§.
des erſten Theils, auf die hier wieder verwieſen werden mußte, zuerſt
§. 23 in Betracht) im Syſteme der Künſte darſtelle, ſo iſt damit natürlich
nicht gemeint, daß nur ſie jene verſchönernde Thätigkeit entwickle; die
Reihe von feineren Gewerken (vergl. §. 516 Anm.), die dieſem Ver-
ſchönerungszwecke, deſſen Bedeutung ſchon §. 515, 2. dargeſtellt iſt, in
der vielfachſten Weiſe dient, ſteht in dem Verhältniſſe von Trabanten zu
allen bildenden Künſten. Dieſe natürlich ſind es, die hier die entſprechen-
den Seitenzweige treiben, die Muſik werden wir im Verhältniſſe zu
andern anhängenden Künſten treffen; wenn die Poeſie z. B. ein Gebäude
durch Inſchrift ſchmückt, ſo gehört dieß nicht hieher; die Künſte der Zeit
können ſich mit dem Bewegungsloſen im Raume, wozu ja alles Product
des Handwerks gehört, in dem Sinne nicht verbinden, daß eine anhän-
gende Kunſtform entſtehen würde. Wer die reiche Formenwelt des
Orients, des claſſiſchen Alterthums, des Mittelalters in allen Geräthen,
Kleidern, Waffen, Schmuck der räumlichen Umgebungen kennt und damit
die Kahlheit unſerer Welt vergleicht, der weiß, warum wir dieſem Gebiete
ſo große Bedeutung zuerkennen.

§. 547.

Auf dem andern, im Syſteme der Künſte durch die Poeſie bezeichneten
Extreme mündet die Kunſt in das Wahre und, da dieſes ſich wieder in das Gute
umſetzt, in das ſittlich politiſche Leben. Dieſem geiſtigen Zwecke können alle
Künſte dienen, aber nur die Malerei und die Dichtkunſt treiben eigene Neben-
zweige in dieſer Richtung, welche entweder dem Leben poſitiv die wahre Idee
entgegenhalten oder dieſelbe negativ ſeiner unwahren Geſtalt als Folie im Sinne
der Komik unterlegen. Jenes Verfahren iſt bei direct und ſyſtematiſch ausge-
ſprochener Abſicht das didaktiſche, bei blos zu Grunde liegender Abſichtlich-
keit der ganzen Haltung das tendenziöſe (vergl. §. 484), dieſes iſt ſatyriſch
(vergl. §. 195), ſteht höher und kann ſich bis zum Humor erheben.


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[168/0180] §. 546. Zwei Arten dieſer anhängenden Formen gründen ſich auf die Extreme der Kunſt. Sie hat auf der einen Seite ihre Wurzel im Handwerk und in der Reihe der Künſte iſt dieſer Zuſammenhang durch die Baukunſt bezeichnet. Nach dieſer Seite verſchönern (vergl. §. 515. 2.) nun mit dieſer die andern bildenden Künſte das der äußern Zweckmäßigkeit dienende Erzeugniß des Handwerks und bilden in dieſer Richtung eine Reihe feinerer, kunſtſinniger Gewerke aus. Wenn geſagt iſt, daß die Baukunſt es ſei, die dieſes Band mit dem Reiche der äußern Zweckmäßigkeit (nach dieſer Seite kommt von den §§. des erſten Theils, auf die hier wieder verwieſen werden mußte, zuerſt §. 23 in Betracht) im Syſteme der Künſte darſtelle, ſo iſt damit natürlich nicht gemeint, daß nur ſie jene verſchönernde Thätigkeit entwickle; die Reihe von feineren Gewerken (vergl. §. 516 Anm.), die dieſem Ver- ſchönerungszwecke, deſſen Bedeutung ſchon §. 515, 2. dargeſtellt iſt, in der vielfachſten Weiſe dient, ſteht in dem Verhältniſſe von Trabanten zu allen bildenden Künſten. Dieſe natürlich ſind es, die hier die entſprechen- den Seitenzweige treiben, die Muſik werden wir im Verhältniſſe zu andern anhängenden Künſten treffen; wenn die Poeſie z. B. ein Gebäude durch Inſchrift ſchmückt, ſo gehört dieß nicht hieher; die Künſte der Zeit können ſich mit dem Bewegungsloſen im Raume, wozu ja alles Product des Handwerks gehört, in dem Sinne nicht verbinden, daß eine anhän- gende Kunſtform entſtehen würde. Wer die reiche Formenwelt des Orients, des claſſiſchen Alterthums, des Mittelalters in allen Geräthen, Kleidern, Waffen, Schmuck der räumlichen Umgebungen kennt und damit die Kahlheit unſerer Welt vergleicht, der weiß, warum wir dieſem Gebiete ſo große Bedeutung zuerkennen. §. 547. Auf dem andern, im Syſteme der Künſte durch die Poeſie bezeichneten Extreme mündet die Kunſt in das Wahre und, da dieſes ſich wieder in das Gute umſetzt, in das ſittlich politiſche Leben. Dieſem geiſtigen Zwecke können alle Künſte dienen, aber nur die Malerei und die Dichtkunſt treiben eigene Neben- zweige in dieſer Richtung, welche entweder dem Leben poſitiv die wahre Idee entgegenhalten oder dieſelbe negativ ſeiner unwahren Geſtalt als Folie im Sinne der Komik unterlegen. Jenes Verfahren iſt bei direct und ſyſtematiſch ausge- ſprochener Abſicht das didaktiſche, bei blos zu Grunde liegender Abſichtlich- keit der ganzen Haltung das tendenziöſe (vergl. §. 484), dieſes iſt ſatyriſch (vergl. §. 195), ſteht höher und kann ſich bis zum Humor erheben.

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Zitationshilfe: Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,1. Reutlingen u. a., 1851, S. 168. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik0301_1851/180>, abgerufen am 23.11.2024.