Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,1. Reutlingen u. a., 1851.
verkannte. Im ächten Kunstwerk ist all dieß Umgebende, Mitwirkende
verkannte. Im ächten Kunſtwerk iſt all dieß Umgebende, Mitwirkende <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <div n="5"> <div n="6"> <div n="7"> <p> <hi rendition="#et"><pb facs="#f0042" n="30"/> verkannte. Im ächten Kunſtwerk iſt all dieß Umgebende, Mitwirkende<lb/> als ein die Stimmung und Situation des Ganzen weſentlich Mitbedingendes<lb/> und Vollendendes durch einen und denſelben Act mit dem Subjecte<lb/> des Ganzen empfangen und entworfen; die Skizze und Ausführung ändert<lb/> daran, aber ebenſogut auch an jenem Subjecte. Menſchliche Figuren<lb/> und ihre Umgebung von Landſchaft, Gebäuden, Geräthen, Thieren,<lb/> Landſchaft und ihre thieriſche oder menſchliche Staffage, Thierſtück und<lb/> die umgebende Landſchaft müßen zuſammencomponirt ſeyn, ſo daß man<lb/> ſich das Einzelne nicht anders oder wegdenken kann, ohne ſich das Ganze<lb/> anders zu denken. Ein anderer Künſtler hätte vielleicht dieß Mitwirkende<lb/> anders gemacht, aber dann auch die Hauptfiguren: in <hi rendition="#g">dieſer</hi> Conception<lb/> gehört es ſo zuſammen. Der fehlerhafte Begriff war aber nur der<lb/> Ausdruck einer fehlerhaften Praxis und dieſe war ein Ausfluß davon,<lb/> daß ſich die Kunſtzweige noch nicht klar geſchieden hatten: der Begriff<lb/> des Beiwerks ſtammt aus der Zeit, wo man in religiöſen oder überhaupt<lb/> ernſten Gemälden ſpielende Hunde (man denke u. A. an die obligaten<lb/> Katzen und Möpſe des einſt berühmten Kupferſtechers Ramberg), in<lb/> Landſchaften hiſtoriſche oder mythiſche Scenen anbrachte und wo häufig<lb/> der Landſchaftsmaler ſich die thieriſche oder menſchliche Staffage, oder der<lb/> Thiermaler die Landſchaft von einem andern in ſein Werk hineinmalen<lb/> ließ. Bei einer ſolchen Praxis konnte weder in die Bedeutung dieſer mit-<lb/> wirkenden Theile, noch in das Maaß derſelben, wie es ſich in verſchiedenen<lb/> Kunſt-Zweigen durch die Natur der Sache beſtimmt, eine Einſicht ſich<lb/> ausbilden. Schon in dem Ausdruck Beiwerk liegt die Meinung ausgeſprochen,<lb/> daß es ſich von einer Zugabe handle, die von außen nachträglich angeklebt<lb/> werde. Das Aeußerliche, was auch wir durch unſere Bezeichnung:<lb/> accidentiell ausdrücken, liegt aber nicht darin, daß der Künſtler hier<lb/> willkührlich verfahren dürfte und nachträglich nach Laune aufſetzen, ſondern<lb/> es liegt in der Bedeutung des blos Umhüllenden oder Anhängenden im<lb/> Verhältniß zum Hauptſubjecte, was aber je in einem gegebenen Ganzen<lb/> immer zu dieſem <hi rendition="#g">ſtimmen</hi>, mit ihm in Eins aufgehen ſoll. Es<lb/> iſt nicht gleichgiltig, ob in dieſer Landſchaft nur ein einſamer Reiher oder<lb/> Fuchs, in jener eine Gruppe wandernder, lagernder, badender Menſchen<lb/> als Staffage auftritt, nicht gleichgiltig, ob dieſe leer von menſchlichen<lb/> Wohnungen, jene mit wohnlicher oder verfallener Architectur ausgeſtattet<lb/> iſt, ob in dieſem Genrebild vieles und gerade ſolches Geräth, Hausthier,<lb/> in jenem hiſtoriſchen Bild nichts oder wenig der Art und eben nur ſolches<lb/> mitwirkt. Kurz: das Maaß des ſog. Beiwerks beſtimmt ſich durch die<lb/> Idee ſelbſt, welche dem Ganzen ſeine Einheit gibt, das hier aufgeführte<lb/> Compoſitionsgeſetz iſt alſo nur ein Ausfluß des oberſten §. 495. Es ließe<lb/> ſich von einer ſolchen Maaßbeſtimmung gar nicht reden, wenn dieſe Theile<lb/></hi> </p> </div> </div> </div> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [30/0042]
verkannte. Im ächten Kunſtwerk iſt all dieß Umgebende, Mitwirkende
als ein die Stimmung und Situation des Ganzen weſentlich Mitbedingendes
und Vollendendes durch einen und denſelben Act mit dem Subjecte
des Ganzen empfangen und entworfen; die Skizze und Ausführung ändert
daran, aber ebenſogut auch an jenem Subjecte. Menſchliche Figuren
und ihre Umgebung von Landſchaft, Gebäuden, Geräthen, Thieren,
Landſchaft und ihre thieriſche oder menſchliche Staffage, Thierſtück und
die umgebende Landſchaft müßen zuſammencomponirt ſeyn, ſo daß man
ſich das Einzelne nicht anders oder wegdenken kann, ohne ſich das Ganze
anders zu denken. Ein anderer Künſtler hätte vielleicht dieß Mitwirkende
anders gemacht, aber dann auch die Hauptfiguren: in dieſer Conception
gehört es ſo zuſammen. Der fehlerhafte Begriff war aber nur der
Ausdruck einer fehlerhaften Praxis und dieſe war ein Ausfluß davon,
daß ſich die Kunſtzweige noch nicht klar geſchieden hatten: der Begriff
des Beiwerks ſtammt aus der Zeit, wo man in religiöſen oder überhaupt
ernſten Gemälden ſpielende Hunde (man denke u. A. an die obligaten
Katzen und Möpſe des einſt berühmten Kupferſtechers Ramberg), in
Landſchaften hiſtoriſche oder mythiſche Scenen anbrachte und wo häufig
der Landſchaftsmaler ſich die thieriſche oder menſchliche Staffage, oder der
Thiermaler die Landſchaft von einem andern in ſein Werk hineinmalen
ließ. Bei einer ſolchen Praxis konnte weder in die Bedeutung dieſer mit-
wirkenden Theile, noch in das Maaß derſelben, wie es ſich in verſchiedenen
Kunſt-Zweigen durch die Natur der Sache beſtimmt, eine Einſicht ſich
ausbilden. Schon in dem Ausdruck Beiwerk liegt die Meinung ausgeſprochen,
daß es ſich von einer Zugabe handle, die von außen nachträglich angeklebt
werde. Das Aeußerliche, was auch wir durch unſere Bezeichnung:
accidentiell ausdrücken, liegt aber nicht darin, daß der Künſtler hier
willkührlich verfahren dürfte und nachträglich nach Laune aufſetzen, ſondern
es liegt in der Bedeutung des blos Umhüllenden oder Anhängenden im
Verhältniß zum Hauptſubjecte, was aber je in einem gegebenen Ganzen
immer zu dieſem ſtimmen, mit ihm in Eins aufgehen ſoll. Es
iſt nicht gleichgiltig, ob in dieſer Landſchaft nur ein einſamer Reiher oder
Fuchs, in jener eine Gruppe wandernder, lagernder, badender Menſchen
als Staffage auftritt, nicht gleichgiltig, ob dieſe leer von menſchlichen
Wohnungen, jene mit wohnlicher oder verfallener Architectur ausgeſtattet
iſt, ob in dieſem Genrebild vieles und gerade ſolches Geräth, Hausthier,
in jenem hiſtoriſchen Bild nichts oder wenig der Art und eben nur ſolches
mitwirkt. Kurz: das Maaß des ſog. Beiwerks beſtimmt ſich durch die
Idee ſelbſt, welche dem Ganzen ſeine Einheit gibt, das hier aufgeführte
Compoſitionsgeſetz iſt alſo nur ein Ausfluß des oberſten §. 495. Es ließe
ſich von einer ſolchen Maaßbeſtimmung gar nicht reden, wenn dieſe Theile
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