Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,1. Reutlingen u. a., 1851.
lung überhaupt, bald durch Einschiebung neuer Theile zu vollziehen sein.
lung überhaupt, bald durch Einſchiebung neuer Theile zu vollziehen ſein. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <div n="5"> <div n="6"> <div n="7"> <p> <hi rendition="#et"><pb facs="#f0055" n="43"/> lung überhaupt, bald durch Einſchiebung neuer Theile zu vollziehen ſein.<lb/> Ihre tiefſte Bedeutung erhält ſie bei den Contraſten, deren Zuſammen-<lb/> ſtoß ſtark und hart ſein darf, aber auch ſeine Auflöſung finden muß.<lb/> Die Auflöſung der Contraſte kann in verſchiedenen Formen geſchehen.<lb/> Die erſte, unbeſtimmteſte iſt die Wirkung allgemeiner Medien, wie ſolche<lb/> ſo eben von der Malerei angegeben ſind; klar iſt dieß in der Muſik, in<lb/> der Poeſie kann man an den allgemeinen Zuſtand der Geſellſchaft und<lb/> Sitte denken, der Freund und Feind unter Einen Beleuchtungston befaßt.<lb/> Als beſtimmtere Form tritt ſodann die Milderung des gegenſätzlich<lb/> ſchroffen Contraſts durch den Contraſt des bloßen Unterſchieds auf: ſo wird<lb/> der dämoniſch ſteil aufgerichtete Richard <hi rendition="#aq">III.</hi> mit der Menſchheit, welcher<lb/> er als directer Feind gegenüberſteht, wieder vermittelt durch die weniger<lb/> conſequent böſen, daher vom Menſchlichen und Guten weniger losge-<lb/> riſſenen Charaktere, die ihn umgeben, ſo ſteht zwiſchen Mephiſtopheles<lb/> und Margarete die verdorbene, aber nicht abſolut böſe Marthe, ſo<lb/> erſcheint Macbeth menſchlicher neben Lady Macbeth und umgekehrt iſt<lb/> dieſe durch Gattenliebe an die Menſchheit geknüpft. Der verwandte, aber<lb/> ſchwächere und anders ſchattirte Farbenton führt die grelle Farbe zur<lb/> Farben-Totalität hinüber. Eine weitere Form iſt die Aufſtellung eines<lb/> Theils, einer Perſon, Scene, Tongruppe, welche die diſſonirenden in ſich<lb/> zuſammenfaßt, indem ſie ausdrücklich an beiden Theil hat: ſo kämpft in Fauſt<lb/> das Böſe und Gute, er vermittelt den grellen Abſtich von Schatten und Licht<lb/> zwiſchen Mephiſtopheles und Margareten und der in ihr verhöhnten<lb/> Menſchheit; Banquo liegt zwar im Contraſte mit Macbeth, hat aber den<lb/> Reiz der Verſuchung wohl kennen gelernt und ſteht ſo zwiſchen ihm und<lb/> der mißhandelten Unſchuld als eine helle, doch an ſeinem Schatten theil-<lb/> nehmende Farbe; die Scene zwiſchen Maria Stuart und Eliſabeth in<lb/> Schillers Tragödie denke man ſich ohne die Gegenwart des alten<lb/> Shrewsbury, der Eliſabeths Rath und zugleich Mariens theilnehmender<lb/> Freund iſt: ſo wäre ſie grell bis zum Unerträglichen. Die höchſte Form<lb/> der Auflöſung iſt nun aber natürlich die der Bewegung, der Handlung:<lb/> die kämpfenden Gegner heben ihren Gegenſatz auf, indem ſie durchein-<lb/> ander leiden, am Böſewicht rächt ſich die menſchliche Natur, die beleidigte<lb/> Geſellſchaft, doch nicht, ohne daß die Guten für lange Willenloſigkeit<lb/> büßen, und es gilt im weiteſten Sinne der Satz: <hi rendition="#aq">duplex negatio affir-<lb/> mat.</hi> Man denke aber dabei keineswegs blos an das Tragiſche und<lb/> Dramatiſche, wir nehmen unſere Beiſpiele vorzüglich aus der höchſten<lb/> Kunſtform und können nicht jedesmal auf alle andern Kunſtformen Rück-<lb/> ſicht nehmen, ohne in allzuhäufige Vorgriffe zu gerathen; der folgenoe §.<lb/> muß ohnedieß den Gegenſtand ſogleich wieder aufnehmen.</hi> </p> </div><lb/> </div> </div> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [43/0055]
lung überhaupt, bald durch Einſchiebung neuer Theile zu vollziehen ſein.
Ihre tiefſte Bedeutung erhält ſie bei den Contraſten, deren Zuſammen-
ſtoß ſtark und hart ſein darf, aber auch ſeine Auflöſung finden muß.
Die Auflöſung der Contraſte kann in verſchiedenen Formen geſchehen.
Die erſte, unbeſtimmteſte iſt die Wirkung allgemeiner Medien, wie ſolche
ſo eben von der Malerei angegeben ſind; klar iſt dieß in der Muſik, in
der Poeſie kann man an den allgemeinen Zuſtand der Geſellſchaft und
Sitte denken, der Freund und Feind unter Einen Beleuchtungston befaßt.
Als beſtimmtere Form tritt ſodann die Milderung des gegenſätzlich
ſchroffen Contraſts durch den Contraſt des bloßen Unterſchieds auf: ſo wird
der dämoniſch ſteil aufgerichtete Richard III. mit der Menſchheit, welcher
er als directer Feind gegenüberſteht, wieder vermittelt durch die weniger
conſequent böſen, daher vom Menſchlichen und Guten weniger losge-
riſſenen Charaktere, die ihn umgeben, ſo ſteht zwiſchen Mephiſtopheles
und Margarete die verdorbene, aber nicht abſolut böſe Marthe, ſo
erſcheint Macbeth menſchlicher neben Lady Macbeth und umgekehrt iſt
dieſe durch Gattenliebe an die Menſchheit geknüpft. Der verwandte, aber
ſchwächere und anders ſchattirte Farbenton führt die grelle Farbe zur
Farben-Totalität hinüber. Eine weitere Form iſt die Aufſtellung eines
Theils, einer Perſon, Scene, Tongruppe, welche die diſſonirenden in ſich
zuſammenfaßt, indem ſie ausdrücklich an beiden Theil hat: ſo kämpft in Fauſt
das Böſe und Gute, er vermittelt den grellen Abſtich von Schatten und Licht
zwiſchen Mephiſtopheles und Margareten und der in ihr verhöhnten
Menſchheit; Banquo liegt zwar im Contraſte mit Macbeth, hat aber den
Reiz der Verſuchung wohl kennen gelernt und ſteht ſo zwiſchen ihm und
der mißhandelten Unſchuld als eine helle, doch an ſeinem Schatten theil-
nehmende Farbe; die Scene zwiſchen Maria Stuart und Eliſabeth in
Schillers Tragödie denke man ſich ohne die Gegenwart des alten
Shrewsbury, der Eliſabeths Rath und zugleich Mariens theilnehmender
Freund iſt: ſo wäre ſie grell bis zum Unerträglichen. Die höchſte Form
der Auflöſung iſt nun aber natürlich die der Bewegung, der Handlung:
die kämpfenden Gegner heben ihren Gegenſatz auf, indem ſie durchein-
ander leiden, am Böſewicht rächt ſich die menſchliche Natur, die beleidigte
Geſellſchaft, doch nicht, ohne daß die Guten für lange Willenloſigkeit
büßen, und es gilt im weiteſten Sinne der Satz: duplex negatio affir-
mat. Man denke aber dabei keineswegs blos an das Tragiſche und
Dramatiſche, wir nehmen unſere Beiſpiele vorzüglich aus der höchſten
Kunſtform und können nicht jedesmal auf alle andern Kunſtformen Rück-
ſicht nehmen, ohne in allzuhäufige Vorgriffe zu gerathen; der folgenoe §.
muß ohnedieß den Gegenſtand ſogleich wieder aufnehmen.
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