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Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,2,1. Stuttgart, 1852.

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architektonisch bedeutend. -- Gehen wir nun zu den Räumen über, welche
für die Thätigkeiten bestimmt sind, die das Allgemeine im Staatsleben
durchführen, worin also die Staats-Einheit sich concentrirt darstellt, nämlich
den Gebäuden für Regierung und Rechtspflege, so haben wir die An-
ordnung, nach der wir die Bauwerke für die geistigen Staatszwecke über
sie stellen, gegen den Einwand, daß auch diese Gegenstand der Ver-
waltung seien, damit zu rechtfertigen, daß der höhere Inhalt es ist, der
die bedeutendere Kunstform fordert; das Staatsleben zeigt hier unvermeid-
lich die logische Schwierigkeit, daß Erziehung, Wissenschaft, Kunst, die
seine höchste Blüthe sind, selbst wieder Objecte der regierenden praktischen
Thätigkeit sein müssen, über der sie doch ihrem geistigen Werthe nach
stehen; die Religion, die nicht mehr als Kirche einen Staat im Staate
bilden würde, stände in demselben Verhältniß. Das Alterthum und Mittel-
alter, dessen Staatsleben ein erweitertes Gemeindeleben war, hat denn
diesen Geschäften Gebäude errichtet, deren Charakter durchaus ein öffent-
licher war und deren Styl die ganze Würde der höchsten Staatsthätig-
keiten nach außen verkündigte: Buleuterion, Prytaneion nach dem einen
Theile seiner Bestimmung, Curia, Basilika, Rathhaus, Stadthaus. Der
moderne Beamtenstaat hat entsprechend seinem mechanischen Charakter seine
Büreaugebäude meist schmucklos hingestellt; in der einzelnen Gemeinde
nimmt jetzt neben dem Rathhaus der Raum für die Geschwornen-Gerichte
seine Bedeutung wieder in Anspruch, aber auch die großen amtlichen
Mittelpuncte, die Ministerialgebäude sollten durch ihre architektonische Form
wieder in ihrer Bedeutung anerkannt werden, vergl. Hallmann Kunstbestr.
der Gegenw. S. 82: Ueber den Entwurf eines Staatsverwaltungsge-
bäudes zu Berlin. In den Zusammenhang dieser Art von Gebäuden
gehören auch die Archive, Münzen, Schatzhäuser (die Tholen der Alten)
und zum Raume der Justiz die Gefängnisse, deren nothwendig schwere
Formen einer tragischen Würde nicht unfähig sind. -- Nunmehr aber hat
sich der ganze Adel des geistigen Nationallebens in den Gebäuden der
Erziehung, Unterricht, Wissenschaft und Kunst darzustellen. Eigentlich ist
jedes Gebäude für die Wissenschaft auch Unterrichts-Gebäude, denn die
Räumlichkeit für gegenseitige Mittheilung der Wissenschaft zwischen Ein-
geweihten, das Local der wissenschaftlichen Akademie, soll ungetrennt sein
von den Räumen für die Mittheilung derselben an die lernende Jugend.
Ein Festsaal für die Feier der hohen Bedeutung wissenschaftlicher Anstalten
soll als idealer Mittelpunct der Räume für jenen Zweck und für die Lehr-
zwecke hervortreten. Bei den Alten war dieß Alles offene Halle: eine
Poesie der Einheit geistiger Beschäftigung und schönen Naturlebens, dem
die neue Zeit und der Norden freilich entrückt ist, doch darf auch im
modernen höheren Schulgebäude der Säulengang nicht fehlen. Etwas

architektoniſch bedeutend. — Gehen wir nun zu den Räumen über, welche
für die Thätigkeiten beſtimmt ſind, die das Allgemeine im Staatsleben
durchführen, worin alſo die Staats-Einheit ſich concentrirt darſtellt, nämlich
den Gebäuden für Regierung und Rechtspflege, ſo haben wir die An-
ordnung, nach der wir die Bauwerke für die geiſtigen Staatszwecke über
ſie ſtellen, gegen den Einwand, daß auch dieſe Gegenſtand der Ver-
waltung ſeien, damit zu rechtfertigen, daß der höhere Inhalt es iſt, der
die bedeutendere Kunſtform fordert; das Staatsleben zeigt hier unvermeid-
lich die logiſche Schwierigkeit, daß Erziehung, Wiſſenſchaft, Kunſt, die
ſeine höchſte Blüthe ſind, ſelbſt wieder Objecte der regierenden praktiſchen
Thätigkeit ſein müſſen, über der ſie doch ihrem geiſtigen Werthe nach
ſtehen; die Religion, die nicht mehr als Kirche einen Staat im Staate
bilden würde, ſtände in demſelben Verhältniß. Das Alterthum und Mittel-
alter, deſſen Staatsleben ein erweitertes Gemeindeleben war, hat denn
dieſen Geſchäften Gebäude errichtet, deren Charakter durchaus ein öffent-
licher war und deren Styl die ganze Würde der höchſten Staatsthätig-
keiten nach außen verkündigte: Buleuterion, Prytaneion nach dem einen
Theile ſeiner Beſtimmung, Curia, Baſilika, Rathhaus, Stadthaus. Der
moderne Beamtenſtaat hat entſprechend ſeinem mechaniſchen Charakter ſeine
Büreaugebäude meiſt ſchmucklos hingeſtellt; in der einzelnen Gemeinde
nimmt jetzt neben dem Rathhaus der Raum für die Geſchwornen-Gerichte
ſeine Bedeutung wieder in Anſpruch, aber auch die großen amtlichen
Mittelpuncte, die Miniſterialgebäude ſollten durch ihre architektoniſche Form
wieder in ihrer Bedeutung anerkannt werden, vergl. Hallmann Kunſtbeſtr.
der Gegenw. S. 82: Ueber den Entwurf eines Staatsverwaltungsge-
bäudes zu Berlin. In den Zuſammenhang dieſer Art von Gebäuden
gehören auch die Archive, Münzen, Schatzhäuſer (die Tholen der Alten)
und zum Raume der Juſtiz die Gefängniſſe, deren nothwendig ſchwere
Formen einer tragiſchen Würde nicht unfähig ſind. — Nunmehr aber hat
ſich der ganze Adel des geiſtigen Nationallebens in den Gebäuden der
Erziehung, Unterricht, Wiſſenſchaft und Kunſt darzuſtellen. Eigentlich iſt
jedes Gebäude für die Wiſſenſchaft auch Unterrichts-Gebäude, denn die
Räumlichkeit für gegenſeitige Mittheilung der Wiſſenſchaft zwiſchen Ein-
geweihten, das Local der wiſſenſchaftlichen Akademie, ſoll ungetrennt ſein
von den Räumen für die Mittheilung derſelben an die lernende Jugend.
Ein Feſtſaal für die Feier der hohen Bedeutung wiſſenſchaftlicher Anſtalten
ſoll als idealer Mittelpunct der Räume für jenen Zweck und für die Lehr-
zwecke hervortreten. Bei den Alten war dieß Alles offene Halle: eine
Poeſie der Einheit geiſtiger Beſchäftigung und ſchönen Naturlebens, dem
die neue Zeit und der Norden freilich entrückt iſt, doch darf auch im
modernen höheren Schulgebäude der Säulengang nicht fehlen. Etwas

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[260/0100] architektoniſch bedeutend. — Gehen wir nun zu den Räumen über, welche für die Thätigkeiten beſtimmt ſind, die das Allgemeine im Staatsleben durchführen, worin alſo die Staats-Einheit ſich concentrirt darſtellt, nämlich den Gebäuden für Regierung und Rechtspflege, ſo haben wir die An- ordnung, nach der wir die Bauwerke für die geiſtigen Staatszwecke über ſie ſtellen, gegen den Einwand, daß auch dieſe Gegenſtand der Ver- waltung ſeien, damit zu rechtfertigen, daß der höhere Inhalt es iſt, der die bedeutendere Kunſtform fordert; das Staatsleben zeigt hier unvermeid- lich die logiſche Schwierigkeit, daß Erziehung, Wiſſenſchaft, Kunſt, die ſeine höchſte Blüthe ſind, ſelbſt wieder Objecte der regierenden praktiſchen Thätigkeit ſein müſſen, über der ſie doch ihrem geiſtigen Werthe nach ſtehen; die Religion, die nicht mehr als Kirche einen Staat im Staate bilden würde, ſtände in demſelben Verhältniß. Das Alterthum und Mittel- alter, deſſen Staatsleben ein erweitertes Gemeindeleben war, hat denn dieſen Geſchäften Gebäude errichtet, deren Charakter durchaus ein öffent- licher war und deren Styl die ganze Würde der höchſten Staatsthätig- keiten nach außen verkündigte: Buleuterion, Prytaneion nach dem einen Theile ſeiner Beſtimmung, Curia, Baſilika, Rathhaus, Stadthaus. Der moderne Beamtenſtaat hat entſprechend ſeinem mechaniſchen Charakter ſeine Büreaugebäude meiſt ſchmucklos hingeſtellt; in der einzelnen Gemeinde nimmt jetzt neben dem Rathhaus der Raum für die Geſchwornen-Gerichte ſeine Bedeutung wieder in Anſpruch, aber auch die großen amtlichen Mittelpuncte, die Miniſterialgebäude ſollten durch ihre architektoniſche Form wieder in ihrer Bedeutung anerkannt werden, vergl. Hallmann Kunſtbeſtr. der Gegenw. S. 82: Ueber den Entwurf eines Staatsverwaltungsge- bäudes zu Berlin. In den Zuſammenhang dieſer Art von Gebäuden gehören auch die Archive, Münzen, Schatzhäuſer (die Tholen der Alten) und zum Raume der Juſtiz die Gefängniſſe, deren nothwendig ſchwere Formen einer tragiſchen Würde nicht unfähig ſind. — Nunmehr aber hat ſich der ganze Adel des geiſtigen Nationallebens in den Gebäuden der Erziehung, Unterricht, Wiſſenſchaft und Kunſt darzuſtellen. Eigentlich iſt jedes Gebäude für die Wiſſenſchaft auch Unterrichts-Gebäude, denn die Räumlichkeit für gegenſeitige Mittheilung der Wiſſenſchaft zwiſchen Ein- geweihten, das Local der wiſſenſchaftlichen Akademie, ſoll ungetrennt ſein von den Räumen für die Mittheilung derſelben an die lernende Jugend. Ein Feſtſaal für die Feier der hohen Bedeutung wiſſenſchaftlicher Anſtalten ſoll als idealer Mittelpunct der Räume für jenen Zweck und für die Lehr- zwecke hervortreten. Bei den Alten war dieß Alles offene Halle: eine Poeſie der Einheit geiſtiger Beſchäftigung und ſchönen Naturlebens, dem die neue Zeit und der Norden freilich entrückt iſt, doch darf auch im modernen höheren Schulgebäude der Säulengang nicht fehlen. Etwas

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Zitationshilfe: Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,2,1. Stuttgart, 1852, S. 260. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik030201_1852/100>, abgerufen am 21.11.2024.