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Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,2,1. Stuttgart, 1852.

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Tempel kehrt sie nach außen. In Indien bestimmte uns die Anlegung
der Pfeiler-Reihen in den Grottentempeln zu der Bezeichnung: Innen-
bau; war aber diese Bezeichnung schon darum wieder zweifelhaft, weil
in diesem Innern selbst wieder ein Sanctuarium war, so schlug in den
offenen Felsbauten mit einem Hofe, um welchen Pfeiler-Stellungen, in
den Fels gehauen, liefen, der ganze Bau in einen die Gemeinde in das
Außen verweisenden, also einen Außenbau um. In Aegypten bestimmte
uns die Aufstellung und Anreihung der Säulenumstellten und Säulen-
getragenen Räume innerhalb einer Mauer zu der Bezeichnung eines
zweifelhaften Außenbaus, denn in das Innere eingelassen blieb das Volk
wieder außen, das Heiligthum selbst war ihm unzugänglich. Jetzt nun
haben wir einen klaren Begriff, um die Bezeichnung Außenbau
unzweifelhaft aufzunehmen. Dieser Außenbau ist aber nicht einseitig;
der orientalische Bau hörte nicht auf, einseitig zu sein, weil er zwischen
zwei Gegensätzen schwankte, vielmehr schwankte er gerade, weil er einseitig
war; am griechischen dagegen bewährt sich, was §. 565 sagt, daß die entwickelte
Kunst jene Gegensätze nicht abstract, sondern nur mit mäßigem Ueber-
gewichte des einen oder andern Moments ausbildet; man weiß, woran
man ist, und doch ist man durch keine Ausschließlichkeit gebannt. Denn
das Innere ist, obwohl nicht für größere Versammlung bestimmt, doch
nicht verschlossen, es ist zugänglich, die Herrlichkeit des lichten, nicht ver-
borgenen Gottes darf jeder Reine sehen. Die Säulenhalle verkündigt
nicht, lädt nicht ein, um zu täuschen, die Nuß ist nicht taub. Weil in der
Objectivität des griechischen Geistes der Gott ganz Gestalt geworden ist,
bedarf es neben der Bildsäule keines, in demselben Raume vorzunehmen-
den, weitläufigen, subjectiven Gottesdienstes; das Innere ist aber ausge-
bildet, ein würdiges, zum Schauen bestimmtes, reichgeschmücktes Gemach
für den Gott, und die Vorhalle concentrirt noch einmal den Geist des
Schauenden zur Sammlung, ehe er eintritt. Ein Rest orientalischer Ver-
borgenheit stellt sich allerdings in dem Dunkel der Tempelzellen dar, die
nur durch die offenen Metopen des altdorischen Baus oder auch durch
Fenster an den Wänden (über beides vergl. Bötticher a. a. O. B. I,
S. 160. Bd. II, S. 9) mangelhaftes Licht erhielten. Das schönere
Götterbild fordert aber volles Licht und nun wird das Dach durchschnitten,
eine Säulenreihe, auch eine zweite, die eine Galerie bildet, darüber um-
gibt diesen offenen innern Raum vor dem Götterbilde: hypäthrischer
Tempel
(in die doch wohl gegen L. Roß entschiedene Debatte darüber
können wir nicht eintreten). Der Bau wird jedoch auch dadurch kein
Innenbau; denn auch das so nach oben geöffnete Innere ist kein Raum
für die andächtig versammelte Gemeinde; es ist ein inneres Aeußeres, ein
wiederholtes Aeußeres wie in der Anlage des Wohnhauses, die durch

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Tempel kehrt ſie nach außen. In Indien beſtimmte uns die Anlegung
der Pfeiler-Reihen in den Grottentempeln zu der Bezeichnung: Innen-
bau; war aber dieſe Bezeichnung ſchon darum wieder zweifelhaft, weil
in dieſem Innern ſelbſt wieder ein Sanctuarium war, ſo ſchlug in den
offenen Felsbauten mit einem Hofe, um welchen Pfeiler-Stellungen, in
den Fels gehauen, liefen, der ganze Bau in einen die Gemeinde in das
Außen verweiſenden, alſo einen Außenbau um. In Aegypten beſtimmte
uns die Aufſtellung und Anreihung der Säulenumſtellten und Säulen-
getragenen Räume innerhalb einer Mauer zu der Bezeichnung eines
zweifelhaften Außenbaus, denn in das Innere eingelaſſen blieb das Volk
wieder außen, das Heiligthum ſelbſt war ihm unzugänglich. Jetzt nun
haben wir einen klaren Begriff, um die Bezeichnung Außenbau
unzweifelhaft aufzunehmen. Dieſer Außenbau iſt aber nicht einſeitig;
der orientaliſche Bau hörte nicht auf, einſeitig zu ſein, weil er zwiſchen
zwei Gegenſätzen ſchwankte, vielmehr ſchwankte er gerade, weil er einſeitig
war; am griechiſchen dagegen bewährt ſich, was §. 565 ſagt, daß die entwickelte
Kunſt jene Gegenſätze nicht abſtract, ſondern nur mit mäßigem Ueber-
gewichte des einen oder andern Moments ausbildet; man weiß, woran
man iſt, und doch iſt man durch keine Ausſchließlichkeit gebannt. Denn
das Innere iſt, obwohl nicht für größere Verſammlung beſtimmt, doch
nicht verſchloſſen, es iſt zugänglich, die Herrlichkeit des lichten, nicht ver-
borgenen Gottes darf jeder Reine ſehen. Die Säulenhalle verkündigt
nicht, lädt nicht ein, um zu täuſchen, die Nuß iſt nicht taub. Weil in der
Objectivität des griechiſchen Geiſtes der Gott ganz Geſtalt geworden iſt,
bedarf es neben der Bildſäule keines, in demſelben Raume vorzunehmen-
den, weitläufigen, ſubjectiven Gottesdienſtes; das Innere iſt aber ausge-
bildet, ein würdiges, zum Schauen beſtimmtes, reichgeſchmücktes Gemach
für den Gott, und die Vorhalle concentrirt noch einmal den Geiſt des
Schauenden zur Sammlung, ehe er eintritt. Ein Reſt orientaliſcher Ver-
borgenheit ſtellt ſich allerdings in dem Dunkel der Tempelzellen dar, die
nur durch die offenen Metopen des altdoriſchen Baus oder auch durch
Fenſter an den Wänden (über beides vergl. Bötticher a. a. O. B. I,
S. 160. Bd. II, S. 9) mangelhaftes Licht erhielten. Das ſchönere
Götterbild fordert aber volles Licht und nun wird das Dach durchſchnitten,
eine Säulenreihe, auch eine zweite, die eine Galerie bildet, darüber um-
gibt dieſen offenen innern Raum vor dem Götterbilde: hypäthriſcher
Tempel
(in die doch wohl gegen L. Roß entſchiedene Debatte darüber
können wir nicht eintreten). Der Bau wird jedoch auch dadurch kein
Innenbau; denn auch das ſo nach oben geöffnete Innere iſt kein Raum
für die andächtig verſammelte Gemeinde; es iſt ein inneres Aeußeres, ein
wiederholtes Aeußeres wie in der Anlage des Wohnhauſes, die durch

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[287/0127] Tempel kehrt ſie nach außen. In Indien beſtimmte uns die Anlegung der Pfeiler-Reihen in den Grottentempeln zu der Bezeichnung: Innen- bau; war aber dieſe Bezeichnung ſchon darum wieder zweifelhaft, weil in dieſem Innern ſelbſt wieder ein Sanctuarium war, ſo ſchlug in den offenen Felsbauten mit einem Hofe, um welchen Pfeiler-Stellungen, in den Fels gehauen, liefen, der ganze Bau in einen die Gemeinde in das Außen verweiſenden, alſo einen Außenbau um. In Aegypten beſtimmte uns die Aufſtellung und Anreihung der Säulenumſtellten und Säulen- getragenen Räume innerhalb einer Mauer zu der Bezeichnung eines zweifelhaften Außenbaus, denn in das Innere eingelaſſen blieb das Volk wieder außen, das Heiligthum ſelbſt war ihm unzugänglich. Jetzt nun haben wir einen klaren Begriff, um die Bezeichnung Außenbau unzweifelhaft aufzunehmen. Dieſer Außenbau iſt aber nicht einſeitig; der orientaliſche Bau hörte nicht auf, einſeitig zu ſein, weil er zwiſchen zwei Gegenſätzen ſchwankte, vielmehr ſchwankte er gerade, weil er einſeitig war; am griechiſchen dagegen bewährt ſich, was §. 565 ſagt, daß die entwickelte Kunſt jene Gegenſätze nicht abſtract, ſondern nur mit mäßigem Ueber- gewichte des einen oder andern Moments ausbildet; man weiß, woran man iſt, und doch iſt man durch keine Ausſchließlichkeit gebannt. Denn das Innere iſt, obwohl nicht für größere Verſammlung beſtimmt, doch nicht verſchloſſen, es iſt zugänglich, die Herrlichkeit des lichten, nicht ver- borgenen Gottes darf jeder Reine ſehen. Die Säulenhalle verkündigt nicht, lädt nicht ein, um zu täuſchen, die Nuß iſt nicht taub. Weil in der Objectivität des griechiſchen Geiſtes der Gott ganz Geſtalt geworden iſt, bedarf es neben der Bildſäule keines, in demſelben Raume vorzunehmen- den, weitläufigen, ſubjectiven Gottesdienſtes; das Innere iſt aber ausge- bildet, ein würdiges, zum Schauen beſtimmtes, reichgeſchmücktes Gemach für den Gott, und die Vorhalle concentrirt noch einmal den Geiſt des Schauenden zur Sammlung, ehe er eintritt. Ein Reſt orientaliſcher Ver- borgenheit ſtellt ſich allerdings in dem Dunkel der Tempelzellen dar, die nur durch die offenen Metopen des altdoriſchen Baus oder auch durch Fenſter an den Wänden (über beides vergl. Bötticher a. a. O. B. I, S. 160. Bd. II, S. 9) mangelhaftes Licht erhielten. Das ſchönere Götterbild fordert aber volles Licht und nun wird das Dach durchſchnitten, eine Säulenreihe, auch eine zweite, die eine Galerie bildet, darüber um- gibt dieſen offenen innern Raum vor dem Götterbilde: hypäthriſcher Tempel (in die doch wohl gegen L. Roß entſchiedene Debatte darüber können wir nicht eintreten). Der Bau wird jedoch auch dadurch kein Innenbau; denn auch das ſo nach oben geöffnete Innere iſt kein Raum für die andächtig verſammelte Gemeinde; es iſt ein inneres Aeußeres, ein wiederholtes Aeußeres wie in der Anlage des Wohnhauſes, die durch 19*

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Zitationshilfe: Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,2,1. Stuttgart, 1852, S. 287. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik030201_1852/127>, abgerufen am 24.11.2024.