Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,2,1. Stuttgart, 1852.Vorherrschen der geraden Linie immer noch in näherem Zusammenhang Vorherrſchen der geraden Linie immer noch in näherem Zuſammenhang <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <div n="5"> <div n="6"> <p> <pb facs="#f0174" n="334"/> <hi rendition="#et">Vorherrſchen der geraden Linie immer noch in näherem Zuſammenhang<lb/> mit dem Bildungsgeſetze der Baukunſt ſteht. Es handelt ſich jetzt um<lb/> lauter bewegliche Gegenſtände, denn auf dieſe hat ſich der Name Ge-<lb/> räthe durch den Gebrauch beſchränkt. Zu dem größeren Geräthe gehört<lb/> Alles, was man Möbel nennt: Tiſch, Seſſel (und Prachtſeſſel: Thron),<lb/> Bank, Schrank, aber auch Fahrzeuge: Wagen, Schlitten. Es theilen ſich<lb/> je nach dem Materiale verſchiedene Gewerke darein: Tiſchler, Bronce-<lb/> und Eiſen-Gießer, Marmor-Arbeiter (ein unbeſtimmtes Gebiet zwiſchen<lb/> Baukünſtler und Bildhauer), Wagner, zum Theil Dreher, Toreut d. h.<lb/> der Techniker, der aus Metallen oder Elfenbein, Perlmutter u. dergl.<lb/> treibt, fügt und die Oberflächen des Ganzen in verſchiedener Weiſe künſt-<lb/> leriſch bearbeitet. Dieſe letztere Technik (römiſch <hi rendition="#aq">caelatura</hi>) begreift nun<lb/> freilich Vieles in ſich, was wir als bereits mehr dem Plaſtiſchen ange-<lb/> hörig, jetzt Sache des Gold- und Silber-Arbeiters, Ciſeleurs, Gürtlers<lb/> weiter unten aufführen, doch iſt ſie ebenſo in dem vorliegenden Gebiete<lb/> größeren, mehr bauartig gefügten Geräthes thätig. Hieher können wir<lb/> auch noch Lampen-, Lichter- und Gefäßgeſtelle, wie Kandelaber, Dreifüße,<lb/> Leuchter, Kronleuchter ziehen, die freilich ſchon, dem größten Theil ihrer<lb/> Form nach, in organiſche Formen-Nachbildung ſich auflöſen können, doch<lb/> in ihren Grundlinien immer ſtructiv, Säulenartig, auch Hängwerkartig<lb/> bleiben. Aber ſelbſt Kleines, Handliches, zur Aufbewahrung der ver-<lb/> ſchiedenſten Dinge Beſtimmtes gehört noch hieher, ſofern das Gerad-<lb/> linigte darin herrſcht; Behälter zu gottesdienſtlichem Gebrauche wie Mon-<lb/> ſtranzen folgen ſtreng dem Bauſtyl; doch auch Unbedeutenderes, dem<lb/> gewöhnlichen Gebrauche Dienendes iſt hier zu nennen: Laden, Käſtchen<lb/> (antike Schmuckkäſtchen: <hi rendition="#aq">cistae mysticae</hi>), mit eingelegter, erhabener Ar-<lb/> beit, Niello u. ſ. w. geſchmückt: ein Feld, worin namentlich noch die<lb/> Cinquecentiſten ſo viel Reiches und Zierliches geleiſtet haben. Zu den<lb/> Behältern läßt ſich das Uhrgeſtelle rechnen, dem eine architektoniſche Bil-<lb/> dung immer die natürlichſte iſt. Selbſt die Cartonnerie und die Sattler-<lb/> arbeit in geradlinigten Behältern mag hier noch erwähnt werden. —<lb/> Gehen wir nun zu dem Gebiete über, das ſich beſtimmter der Plaſtik<lb/> nähert, ſo iſt es zunächſt die Herrſchaft der runden Linie, was dieſen<lb/> Uebergang bildet, und dieſelbe iſt durch die Beſtimmung, Flüſſiges in ſich<lb/> aufzunehmen und auszugießen, im <hi rendition="#g">Gefäße</hi> gegeben. Das gröbere<lb/> hölzerne Gefäß, Faß, Bütte u. ſ. f. ſchicken wir mit der kurzen Be-<lb/> merkung voran, daß dieſe Arbeiten des Küfers und Schefflers nicht immer<lb/> ſo nackt und roh geweſen ſind, wie heutzutage in den meiſten Ländern,<lb/> vielmehr Schnitzwerk, verſchiedenfarbige Holzarten, ſchön geſchwungene<lb/> Grundform ſelbſt dieſem Werke des Bedürfniſſes einen höheren Anhauch<lb/> gegeben haben. Das kleinere Gefäß nun beſchäftigt nach dem verſchiede-<lb/></hi> </p> </div> </div> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [334/0174]
Vorherrſchen der geraden Linie immer noch in näherem Zuſammenhang
mit dem Bildungsgeſetze der Baukunſt ſteht. Es handelt ſich jetzt um
lauter bewegliche Gegenſtände, denn auf dieſe hat ſich der Name Ge-
räthe durch den Gebrauch beſchränkt. Zu dem größeren Geräthe gehört
Alles, was man Möbel nennt: Tiſch, Seſſel (und Prachtſeſſel: Thron),
Bank, Schrank, aber auch Fahrzeuge: Wagen, Schlitten. Es theilen ſich
je nach dem Materiale verſchiedene Gewerke darein: Tiſchler, Bronce-
und Eiſen-Gießer, Marmor-Arbeiter (ein unbeſtimmtes Gebiet zwiſchen
Baukünſtler und Bildhauer), Wagner, zum Theil Dreher, Toreut d. h.
der Techniker, der aus Metallen oder Elfenbein, Perlmutter u. dergl.
treibt, fügt und die Oberflächen des Ganzen in verſchiedener Weiſe künſt-
leriſch bearbeitet. Dieſe letztere Technik (römiſch caelatura) begreift nun
freilich Vieles in ſich, was wir als bereits mehr dem Plaſtiſchen ange-
hörig, jetzt Sache des Gold- und Silber-Arbeiters, Ciſeleurs, Gürtlers
weiter unten aufführen, doch iſt ſie ebenſo in dem vorliegenden Gebiete
größeren, mehr bauartig gefügten Geräthes thätig. Hieher können wir
auch noch Lampen-, Lichter- und Gefäßgeſtelle, wie Kandelaber, Dreifüße,
Leuchter, Kronleuchter ziehen, die freilich ſchon, dem größten Theil ihrer
Form nach, in organiſche Formen-Nachbildung ſich auflöſen können, doch
in ihren Grundlinien immer ſtructiv, Säulenartig, auch Hängwerkartig
bleiben. Aber ſelbſt Kleines, Handliches, zur Aufbewahrung der ver-
ſchiedenſten Dinge Beſtimmtes gehört noch hieher, ſofern das Gerad-
linigte darin herrſcht; Behälter zu gottesdienſtlichem Gebrauche wie Mon-
ſtranzen folgen ſtreng dem Bauſtyl; doch auch Unbedeutenderes, dem
gewöhnlichen Gebrauche Dienendes iſt hier zu nennen: Laden, Käſtchen
(antike Schmuckkäſtchen: cistae mysticae), mit eingelegter, erhabener Ar-
beit, Niello u. ſ. w. geſchmückt: ein Feld, worin namentlich noch die
Cinquecentiſten ſo viel Reiches und Zierliches geleiſtet haben. Zu den
Behältern läßt ſich das Uhrgeſtelle rechnen, dem eine architektoniſche Bil-
dung immer die natürlichſte iſt. Selbſt die Cartonnerie und die Sattler-
arbeit in geradlinigten Behältern mag hier noch erwähnt werden. —
Gehen wir nun zu dem Gebiete über, das ſich beſtimmter der Plaſtik
nähert, ſo iſt es zunächſt die Herrſchaft der runden Linie, was dieſen
Uebergang bildet, und dieſelbe iſt durch die Beſtimmung, Flüſſiges in ſich
aufzunehmen und auszugießen, im Gefäße gegeben. Das gröbere
hölzerne Gefäß, Faß, Bütte u. ſ. f. ſchicken wir mit der kurzen Be-
merkung voran, daß dieſe Arbeiten des Küfers und Schefflers nicht immer
ſo nackt und roh geweſen ſind, wie heutzutage in den meiſten Ländern,
vielmehr Schnitzwerk, verſchiedenfarbige Holzarten, ſchön geſchwungene
Grundform ſelbſt dieſem Werke des Bedürfniſſes einen höheren Anhauch
gegeben haben. Das kleinere Gefäß nun beſchäftigt nach dem verſchiede-
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