Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,2,1. Stuttgart, 1852.
sammenwirkend mit dem ästhetischen Geiste, als Reduction des Tragenden Wand und Decke sind die ursprünglichen einfachen Grundbestand-
ſammenwirkend mit dem äſthetiſchen Geiſte, als Reduction des Tragenden Wand und Decke ſind die urſprünglichen einfachen Grundbeſtand- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <div n="5"> <div n="6"> <div n="7"> <p> <hi rendition="#fr"><pb facs="#f0056" n="216"/> ſammenwirkend mit dem äſthetiſchen Geiſte, als Reduction des Tragenden<lb/><hi rendition="#g">freiſtehende Stützen</hi>. Der wichtigſte unter dieſen Theilen iſt die Decke:<lb/> die Art, wie ſie den Raum überſpannt, ſich mit den freiſtehenden Stützen ver-<lb/> bindet, aus einem blos Getragenen und Gehaltenen zu einer Einheit mit<lb/> dem Tragenden und Widerſtrebenden fortgebildet wird, begründet die Grund-<lb/> form des ganzen Baus. Der hievon ausgehende Schwung bemächtigt ſich vor<lb/> Allem der freiſtehenden Stütze und erhebt ſie zur gegliederten Geſtalt.</hi> </p><lb/> <p> <hi rendition="#et">Wand und Decke ſind die urſprünglichen einfachen Grundbeſtand-<lb/> theile der Umſchließung eines Raumes. Sie ſtellen zunächſt einfach den<lb/> Hauptgegenſatz, den des Tragenden und Getragenen, dar. Ein weſent-<lb/> licher Zuwachs zu dieſen Grundbeſtandtheilen iſt noch nicht gegeben im<lb/> Unterbau, der übrigens nicht nur die ſtatiſche Bedeutung hat, als Verſtärkung<lb/> des natürlichen Grunds das Ganze zu tragen, ſondern auch die äſthetiſche,<lb/> den idealen Bau von dem rohen der unorganiſchen Natur ſtreng abzu-<lb/> ſondern. Das Dach iſt ſchon ungleich wichtiger, doch keiner der abſoluten<lb/> Beſtandtheile und nicht in jedem Bauſtyl vorhanden; es iſt zunächſt der<lb/> Schutz der Decke, kann aber auch (im Kuppelbau) mit ihr zuſammen-<lb/> fallen; doch erkennt man, daß die Decke, wenn ſie es zu tragen hat, eine<lb/> neue Function erhält, indem ſie dann nicht mehr blos getragen iſt. Auch<lb/> Thüren und Fenſter führen kein ſtructiv beſtimmendes neues Glied ein,<lb/> die Art ihrer Ueberdeckung hat zwar zu wichtigen ſtructiven Schritten ge-<lb/> führt, indem die Nothwendigkeit, den überdeckenden monolithen Sturz zu<lb/> entlaſten, ſchon die Griechen zu jener Methode führte, die Steine des<lb/> Mauerwerks auf beiden Seiten von unten auf anſteigend übereinander<lb/> ſo vertreten zu laſſen, daß die obere Oeffnung ſchmal oder ſogar ſpitz-<lb/> winklich wird: eine merkwürdige Vorſtufe des Prinzips der Wölbung; im<lb/> Großen und Ganzen aber folgt ihre Form nur den Kunſtfortſchritten, die<lb/> ſich an wichtigeren Theilen entwickeln. Ein organiſch bedeutendes neues<lb/> Glied iſt erſt die freiſtehende Stütze, dieſe Abbreviatur der Wand oder<lb/> Mauer. Der Paragraph ſagt, daß ſie dem Bedürfniſſe der Raumeröff-<lb/> nung im Zuſammenwirken mit dem äſthetiſchen Geiſt ihre Entſtehung ver-<lb/> danke; warum dieſe höhere Beziehung gerade an dieſer Stelle zuerſt<lb/> eingeführt wird, dieß erklärt ſich, wenn man bedenkt, wie im Innenbau<lb/> die freien Stützen zunächſt zwar nur mechaniſch nothwendig werden, wenn<lb/> für weite Räume Decken-tragende Körper erforderlich ſind und doch Ver-<lb/> kehr und Ueberſchauung des Raums nicht unterbrochen werden ſollen, wie<lb/> jedoch an einer Aufgabe ſo umfaſſender Art ſich vorzüglich die höhere<lb/> Kunſtform entwickeln muß, die ſolche Räume weit über das bloße Bedürfniß<lb/> hinaus organiſiren und ein Hauptmoment der Entfaltung freier Schönheit<lb/> in jenen freien Körpern erkennen wird, wie mit den größeren Räumen<lb/></hi> </p> </div> </div> </div> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [216/0056]
ſammenwirkend mit dem äſthetiſchen Geiſte, als Reduction des Tragenden
freiſtehende Stützen. Der wichtigſte unter dieſen Theilen iſt die Decke:
die Art, wie ſie den Raum überſpannt, ſich mit den freiſtehenden Stützen ver-
bindet, aus einem blos Getragenen und Gehaltenen zu einer Einheit mit
dem Tragenden und Widerſtrebenden fortgebildet wird, begründet die Grund-
form des ganzen Baus. Der hievon ausgehende Schwung bemächtigt ſich vor
Allem der freiſtehenden Stütze und erhebt ſie zur gegliederten Geſtalt.
Wand und Decke ſind die urſprünglichen einfachen Grundbeſtand-
theile der Umſchließung eines Raumes. Sie ſtellen zunächſt einfach den
Hauptgegenſatz, den des Tragenden und Getragenen, dar. Ein weſent-
licher Zuwachs zu dieſen Grundbeſtandtheilen iſt noch nicht gegeben im
Unterbau, der übrigens nicht nur die ſtatiſche Bedeutung hat, als Verſtärkung
des natürlichen Grunds das Ganze zu tragen, ſondern auch die äſthetiſche,
den idealen Bau von dem rohen der unorganiſchen Natur ſtreng abzu-
ſondern. Das Dach iſt ſchon ungleich wichtiger, doch keiner der abſoluten
Beſtandtheile und nicht in jedem Bauſtyl vorhanden; es iſt zunächſt der
Schutz der Decke, kann aber auch (im Kuppelbau) mit ihr zuſammen-
fallen; doch erkennt man, daß die Decke, wenn ſie es zu tragen hat, eine
neue Function erhält, indem ſie dann nicht mehr blos getragen iſt. Auch
Thüren und Fenſter führen kein ſtructiv beſtimmendes neues Glied ein,
die Art ihrer Ueberdeckung hat zwar zu wichtigen ſtructiven Schritten ge-
führt, indem die Nothwendigkeit, den überdeckenden monolithen Sturz zu
entlaſten, ſchon die Griechen zu jener Methode führte, die Steine des
Mauerwerks auf beiden Seiten von unten auf anſteigend übereinander
ſo vertreten zu laſſen, daß die obere Oeffnung ſchmal oder ſogar ſpitz-
winklich wird: eine merkwürdige Vorſtufe des Prinzips der Wölbung; im
Großen und Ganzen aber folgt ihre Form nur den Kunſtfortſchritten, die
ſich an wichtigeren Theilen entwickeln. Ein organiſch bedeutendes neues
Glied iſt erſt die freiſtehende Stütze, dieſe Abbreviatur der Wand oder
Mauer. Der Paragraph ſagt, daß ſie dem Bedürfniſſe der Raumeröff-
nung im Zuſammenwirken mit dem äſthetiſchen Geiſt ihre Entſtehung ver-
danke; warum dieſe höhere Beziehung gerade an dieſer Stelle zuerſt
eingeführt wird, dieß erklärt ſich, wenn man bedenkt, wie im Innenbau
die freien Stützen zunächſt zwar nur mechaniſch nothwendig werden, wenn
für weite Räume Decken-tragende Körper erforderlich ſind und doch Ver-
kehr und Ueberſchauung des Raums nicht unterbrochen werden ſollen, wie
jedoch an einer Aufgabe ſo umfaſſender Art ſich vorzüglich die höhere
Kunſtform entwickeln muß, die ſolche Räume weit über das bloße Bedürfniß
hinaus organiſiren und ein Hauptmoment der Entfaltung freier Schönheit
in jenen freien Körpern erkennen wird, wie mit den größeren Räumen
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