Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,2,1. Stuttgart, 1852.
haben noch Function; so schützt die Gliedergruppe, die das Kranzge- 16*
haben noch Function; ſo ſchützt die Gliedergruppe, die das Kranzge- 16*
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haben noch Function; ſo ſchützt die Gliedergruppe, die das Kranzge-
ſimſe bildet, vor Regen, die Triglyphe trägt, der Abakus des Kapitells
iſt nicht abſolut nöthig, aber doch dienlich; Conſole oder Kragſtein trägt
bald wirklich, bald nur ſcheinbar; andere fungiren entſchieden nicht und
liegen daher näher an der Grenze des eigentlichen Ornaments; Hübſch
(D. Architektur u. ſ. w. S. 13) nennt ſie Zierglieder. Wir heben das
Weſentliche dieſer ſchwierig abzugrenzenden Formenwelt hervor und be-
ginnen von jenen Umgeſtaltungen ganzer Körper, welche decorativ das ſtatiſche
Leben ausſprechen. Die freiſtehende Stütze ſoll ihre Tragkraft kundgeben
durch einen Schein, als wüchſe und ſtiege ſie mit organiſchem Schwunge
ihrer Laſt entgegen oder ſtemmte ſich (als Pfeiler) nicht nur gegen den
ſenkrechten Druck, ſondern auch gegen den Seitenſchub. Der einfacheren
Aufgabe des bloßen Widerſtands gegen den Druck von oben wird eine
Belebung entſprechen, welche in das Pflanzenreich, in den central peri-
pheriſchen Wuchs des Baumſtamms hinüberſpielend den Körper cylindriſch
bildet und, um die Anſpannung einer elaſtiſchen Kraft anzudeuten, ihn
gegen die Mitte ſchwellt (Entaſis), nach oben aber verjüngt. Dieſes
Hinanſtreben wird im Zuſammenſtoße mit der Laſt naturgemäß mit einer
Ausbreitung ſchließen, welche wir bei den eigentlichen Gliedern zu er-
wähnen haben; wir nehmen aber hier zum Voraus Rückſicht auf ſie, weil eine
weitere Form der Belebung des Schaftes weſentlich mit ihr zuſammenhängt:
um nämlich das Anſtreben zum Stützen noch beſtimmter zu charakteriſiren,
werden ringsum Furchen, Canneluren am Cylinder aufwärts gezogen,
welche, energiſche Schattenſtreifen erzeugend, das Auge nöthigen, an ihm
hinanzuſteigen, und mit den Gräten oder Stegen, welche zwiſchen ihren
Eintiefungen heraustreten, die concentriſch angeſpannte, durch die An-
ſpannung eine ſcharfe Ausquellung hervorpreſſende Kraft darſtellen; das
Motiv aus der analogen Natur, das dieſer Form (Rhabdoſis) zu Grunde
liegt, hat Bötticher (a. a. O. S. 135) im Stengel der Schirmtragenden
Dolde nachgewieſen, wo denn eben in der Eigenſchaft des Schirmtragens
die Vorankündigung jener obern Ausbreitung liegt. Eine dazwiſchen ge-
ſchobene Platte wird den Zuſammenſtoß jener Ausbreitung mit dem Architrav
mildernd, ſchützend, überleitend vermitteln. Nehmen wir nun hinzu, daß der
Druck von oben auf den unterſten Theil der Säule auch hier Ausſchwellungen
motiviren muß, durch die ſich ihr Körper vom Unterbau abheben wird, und
daß etwa auch hier eine dazwiſchen gefügte Platte den Zuſammenſtoß mit dem
Unterbau vermitteln wird, ſo haben wir die organiſche Drei-Gliederung
der Säule in Fuß, Schaft, Kapitell und damit eine neue klare Form jenes
Zahlengeſetzes §. 570, 2. Eine andere, ſtärkere Art der Belebung wird
der Gewölbetragende Pfeiler fordern; die ausquellenden Rippen der Ge-
wölbe-Gurten bedingen beſondere Anſätze, die an ihm auswachſend ihnen
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