Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,2,1. Stuttgart, 1852.
wundenen Rings den Namen annulus erhalten hat. Wenn man den Pfühl,
wundenen Rings den Namen annulus erhalten hat. Wenn man den Pfühl, <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <div n="5"> <div n="6"> <div n="7"> <p> <hi rendition="#et"><pb facs="#f0084" n="244"/> wundenen Rings den Namen <hi rendition="#aq">annulus</hi> erhalten hat. Wenn man den Pfühl,<lb/> der ſeinen lateiniſchen Namen von der aufgemalten oder angebildeten<lb/> Riemen-Umwicklung hat, nicht, wie oben geſchehen, in der Reihe der<lb/> Schwellungen, die aus einem Druck hervorgehen, aufzählt, ſondern als<lb/> verſtärktes Heftband faßt, ſo bleibt unklar, warum denn gerade am Fuße<lb/> der joniſchen und attiſchen Säule ein ſo ſtarker Bandwulſt nöthig ſei. Ein<lb/> etwas breiteres Heftglied von eckigem Profil iſt das <hi rendition="#g">Band</hi> oder der Streif,<lb/> dem das Motiv einer gewobenen Binde, wie ſie namentlich als Kopf-<lb/> ſchmuck üblich war, <hi rendition="#aq">taenia,</hi> urſprünglich zu Grunde liegt: die am häufigſten<lb/> angewandte Verknüpfung, die durchgehende, Alles umſäumende Form. Sie<lb/> ſäumt aber blos eine Mehrheit von Gliedern ab, wogegen es noch einer<lb/> ſtärkern Form braucht, um einen ganzen Haupttheil abzuſchließen und<lb/> zugleich ein kräftiges Uebergangs-Moment zu einem folgenden zu bilden.<lb/> Dieß iſt die <hi rendition="#g">Platte</hi>, Plinthus oder Abakus. Nicht immer treten dieſe beiden<lb/> Bedeutungen in gleicher Stärke ein; ganz klar ſind ſie vereinigt in dem<lb/> Abakus des Säulenfußes und Säulenknaufs: an dieſer Stelle bedarf das<lb/> Auge eines zwiſchen Unterbau und Säulenfuß, zwiſchen Hauptbalken und<lb/> Kapitel eingefügten Körpers, der energiſch nach zwei Seiten abſchließt,<lb/> ſcheidet, durchſchneidet, zugleich aber nicht nur den Zuſammenſtoß mildert,<lb/> vermittelt, ſondern auch rhythmiſch die wiederkehrend gleiche Form in der<lb/> Tafel des Unterbaus, in Gebälk und Kranzgeſimſe ankündigt; dagegen<lb/> herrſcht der nur abſchließende Charakter in der ſtark vorſpringenden Platte<lb/> der Kranzgeſimſe, welche wirklich den äußerſten Saum eines Baus bilden<lb/> kann und mit ſchützender Ueberragung das Ganze einrahmt. Man ſieht<lb/> alſo an dieſem ſtärkſten unter den geraden Gliedern, daß ſie ebenſoſehr<lb/> durch- und abſchneidend trennen, als auch verbinden. — Dieſe Glieder<lb/> nun treten in einfacher oder reicherer Verbindung zu Geſimſen zuſammen<lb/> und umſäumen ſo alle bedeutenden Grenzen, wo Haupttheile des Baus<lb/> wie Säule und Laſt zuſammenſtoßen, betonen weniger ausgeſprochene<lb/> Theilungen wie zwiſchen Sockel und Mauer, faſſen die Oeffnungen der<lb/> Thüren und Fenſter ein und erſcheinen in oben genannter Weiſe zum Theil<lb/> auch als äußerſter Rahmen eines ganzen Baus. — Wir haben hier die<lb/> Glieder der claſſiſchen Baukunſt ſyſtematiſch wie abſolute aufgeführt; denn<lb/> ſie tragen den Charakter einer organiſchen Nothwendigkeit, der ſie zu<lb/> Muſtern erhebt, nur nicht in dem todten Sinne, als ob ſie keiner Fort-<lb/> und Umbildung fähig wären. So liegen ſie ſelbſt der gothiſchen Archi-<lb/> tektur zu Grunde und wir werden finden, wie durch Abſchrägungen, tiefe<lb/> Einkehlungen und ſtärkere Ausſchwellungen, veränderte Stellungen dieſer<lb/> Formenwelt eine neue Seele eingehaucht wird.</hi> </p> </div><lb/> </div> </div> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [244/0084]
wundenen Rings den Namen annulus erhalten hat. Wenn man den Pfühl,
der ſeinen lateiniſchen Namen von der aufgemalten oder angebildeten
Riemen-Umwicklung hat, nicht, wie oben geſchehen, in der Reihe der
Schwellungen, die aus einem Druck hervorgehen, aufzählt, ſondern als
verſtärktes Heftband faßt, ſo bleibt unklar, warum denn gerade am Fuße
der joniſchen und attiſchen Säule ein ſo ſtarker Bandwulſt nöthig ſei. Ein
etwas breiteres Heftglied von eckigem Profil iſt das Band oder der Streif,
dem das Motiv einer gewobenen Binde, wie ſie namentlich als Kopf-
ſchmuck üblich war, taenia, urſprünglich zu Grunde liegt: die am häufigſten
angewandte Verknüpfung, die durchgehende, Alles umſäumende Form. Sie
ſäumt aber blos eine Mehrheit von Gliedern ab, wogegen es noch einer
ſtärkern Form braucht, um einen ganzen Haupttheil abzuſchließen und
zugleich ein kräftiges Uebergangs-Moment zu einem folgenden zu bilden.
Dieß iſt die Platte, Plinthus oder Abakus. Nicht immer treten dieſe beiden
Bedeutungen in gleicher Stärke ein; ganz klar ſind ſie vereinigt in dem
Abakus des Säulenfußes und Säulenknaufs: an dieſer Stelle bedarf das
Auge eines zwiſchen Unterbau und Säulenfuß, zwiſchen Hauptbalken und
Kapitel eingefügten Körpers, der energiſch nach zwei Seiten abſchließt,
ſcheidet, durchſchneidet, zugleich aber nicht nur den Zuſammenſtoß mildert,
vermittelt, ſondern auch rhythmiſch die wiederkehrend gleiche Form in der
Tafel des Unterbaus, in Gebälk und Kranzgeſimſe ankündigt; dagegen
herrſcht der nur abſchließende Charakter in der ſtark vorſpringenden Platte
der Kranzgeſimſe, welche wirklich den äußerſten Saum eines Baus bilden
kann und mit ſchützender Ueberragung das Ganze einrahmt. Man ſieht
alſo an dieſem ſtärkſten unter den geraden Gliedern, daß ſie ebenſoſehr
durch- und abſchneidend trennen, als auch verbinden. — Dieſe Glieder
nun treten in einfacher oder reicherer Verbindung zu Geſimſen zuſammen
und umſäumen ſo alle bedeutenden Grenzen, wo Haupttheile des Baus
wie Säule und Laſt zuſammenſtoßen, betonen weniger ausgeſprochene
Theilungen wie zwiſchen Sockel und Mauer, faſſen die Oeffnungen der
Thüren und Fenſter ein und erſcheinen in oben genannter Weiſe zum Theil
auch als äußerſter Rahmen eines ganzen Baus. — Wir haben hier die
Glieder der claſſiſchen Baukunſt ſyſtematiſch wie abſolute aufgeführt; denn
ſie tragen den Charakter einer organiſchen Nothwendigkeit, der ſie zu
Muſtern erhebt, nur nicht in dem todten Sinne, als ob ſie keiner Fort-
und Umbildung fähig wären. So liegen ſie ſelbſt der gothiſchen Archi-
tektur zu Grunde und wir werden finden, wie durch Abſchrägungen, tiefe
Einkehlungen und ſtärkere Ausſchwellungen, veränderte Stellungen dieſer
Formenwelt eine neue Seele eingehaucht wird.
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