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Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,2,1. Stuttgart, 1852.

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des räumlichen Verkehrs, dann die für Ackerbau, Gewerbe, Handel, Pflege
der Leidenden, für die Vertheidigung des Staats bestimmten die gewichtige Be-
deutung darzustellen, welche das Nützliche und Nothwendige in diesem Zusammen-
hang erhält; höher tritt die Einheit des Staatslebens in den Gebäuden für
Regierung und Rechtspflege hervor; sein rein menschlicher, geistiger und sittlicher
Gehalt spricht sich in den Bauwerken für Erziehung, Wissenschaft, Kunst aus.

Wir beginnen mit dem Gebiete der sogenannten weltlichen Baukunst.
Der §. stellt ausdrücklich heraus und begründet tiefer, was schon zu §. 574, 2.
von der Rückstrahlung des am Tempel entwickelten Monumentalstyls auf
diese Sphäre gesagt ist. Es wird hier der Begriff der Persönlichkeit wieder
eingeführt, der schon in §. 556, welcher die gegenwärtige Eintheilung vor-
zeichnet, der leitende war. Der Tempel ist die Stätte des absoluten
Geistes; in diesem schaut die Gesammtperson eines Volks das Persönliche
in allen Personen an, sei nun die Vorstellung dabei die mythische, als
wäre dieser reine Geist selbst wieder Einzelperson, oder nicht. Der Tempel
kann nun zunächst nur das weltbauende Wirken dieser absoluten Person
symbolisch darstellen, dabei schwebt aber der Baukunst zugleich das dem
bestimmten Gesammtleben des eigenen Volks entnommene Bild einer ethischen
Ordnung vor und so ist der Ausdruck des Tempelstyls mittelbar ein per-
sönlicher. Die Gesammtperson eines Volks hat ihre weiteren besonderen
Zwecke zu realisiren; sie erhalten ihre Weihe durch die Einheit des ganzen
Volkslebens, die sich selbst wieder als Glied jener höchsten, göttlichen
Einheit weiß; der Gesammtperson des Volks aber reiht sich die Einzel-
person als Glied ein und tritt so in dieselbe Kette, die zu der höchsten
Einheit führt. Dieß soll sich nun auch ästhetisch ausdrücken; auch das
Gebäude, das nur einem der besonderen und einzelnen Zwecke dient, soll
persönlich sein nicht nur in dem gemeinen Sinne, daß es eben für die
Bedürfnisse einer Person oder mehrerer Personen errichtet ist, sondern im
Sinn einer künstlerischen Gliederung, welche an jene höhere Wohlordnung
erinnert, durch die der Tempel auf den weltbauenden und zugleich den
ethischen Kosmos gründenden absoluten Geist hinweist. Dieser Ausdruck
wird sich nun einfach daraus entwickeln, daß jeder besondere, nur etwas
über das rohe Bedürfniß sich hebende Bauzweck einen Hauptraum zwischen
untergeordneten Räumen fordert, der als reichere, Symmetrie-bildende
Mitte hervortreten muß; solche Mittelpuncte stellen die geistige Einheit der
in jedem zweckmäßigen Ganzen verbundenen Einzelzwecke dar, sie ent-
sprechen dem Charakterbestimmenden in der Persönlichkeit, an sie knüpft
sich der ästhetische Ueberfluß, an sie vorzüglich legt sich der höhere Styl an.
Dieß gilt denn schon vom Wohnhause des Einzelnen; soll es nur irgend
über das Nothdürftige sich erheben, so darf es kein Würfel mit Fenstern

des räumlichen Verkehrs, dann die für Ackerbau, Gewerbe, Handel, Pflege
der Leidenden, für die Vertheidigung des Staats beſtimmten die gewichtige Be-
deutung darzuſtellen, welche das Nützliche und Nothwendige in dieſem Zuſammen-
hang erhält; höher tritt die Einheit des Staatslebens in den Gebäuden für
Regierung und Rechtspflege hervor; ſein rein menſchlicher, geiſtiger und ſittlicher
Gehalt ſpricht ſich in den Bauwerken für Erziehung, Wiſſenſchaft, Kunſt aus.

Wir beginnen mit dem Gebiete der ſogenannten weltlichen Baukunſt.
Der §. ſtellt ausdrücklich heraus und begründet tiefer, was ſchon zu §. 574, 2.
von der Rückſtrahlung des am Tempel entwickelten Monumentalſtyls auf
dieſe Sphäre geſagt iſt. Es wird hier der Begriff der Perſönlichkeit wieder
eingeführt, der ſchon in §. 556, welcher die gegenwärtige Eintheilung vor-
zeichnet, der leitende war. Der Tempel iſt die Stätte des abſoluten
Geiſtes; in dieſem ſchaut die Geſammtperſon eines Volks das Perſönliche
in allen Perſonen an, ſei nun die Vorſtellung dabei die mythiſche, als
wäre dieſer reine Geiſt ſelbſt wieder Einzelperſon, oder nicht. Der Tempel
kann nun zunächſt nur das weltbauende Wirken dieſer abſoluten Perſon
ſymboliſch darſtellen, dabei ſchwebt aber der Baukunſt zugleich das dem
beſtimmten Geſammtleben des eigenen Volks entnommene Bild einer ethiſchen
Ordnung vor und ſo iſt der Ausdruck des Tempelſtyls mittelbar ein per-
ſönlicher. Die Geſammtperſon eines Volks hat ihre weiteren beſonderen
Zwecke zu realiſiren; ſie erhalten ihre Weihe durch die Einheit des ganzen
Volkslebens, die ſich ſelbſt wieder als Glied jener höchſten, göttlichen
Einheit weiß; der Geſammtperſon des Volks aber reiht ſich die Einzel-
perſon als Glied ein und tritt ſo in dieſelbe Kette, die zu der höchſten
Einheit führt. Dieß ſoll ſich nun auch äſthetiſch ausdrücken; auch das
Gebäude, das nur einem der beſonderen und einzelnen Zwecke dient, ſoll
perſönlich ſein nicht nur in dem gemeinen Sinne, daß es eben für die
Bedürfniſſe einer Perſon oder mehrerer Perſonen errichtet iſt, ſondern im
Sinn einer künſtleriſchen Gliederung, welche an jene höhere Wohlordnung
erinnert, durch die der Tempel auf den weltbauenden und zugleich den
ethiſchen Koſmos gründenden abſoluten Geiſt hinweist. Dieſer Ausdruck
wird ſich nun einfach daraus entwickeln, daß jeder beſondere, nur etwas
über das rohe Bedürfniß ſich hebende Bauzweck einen Hauptraum zwiſchen
untergeordneten Räumen fordert, der als reichere, Symmetrie-bildende
Mitte hervortreten muß; ſolche Mittelpuncte ſtellen die geiſtige Einheit der
in jedem zweckmäßigen Ganzen verbundenen Einzelzwecke dar, ſie ent-
ſprechen dem Charakterbeſtimmenden in der Perſönlichkeit, an ſie knüpft
ſich der äſthetiſche Ueberfluß, an ſie vorzüglich legt ſich der höhere Styl an.
Dieß gilt denn ſchon vom Wohnhauſe des Einzelnen; ſoll es nur irgend
über das Nothdürftige ſich erheben, ſo darf es kein Würfel mit Fenſtern

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[256/0096] des räumlichen Verkehrs, dann die für Ackerbau, Gewerbe, Handel, Pflege der Leidenden, für die Vertheidigung des Staats beſtimmten die gewichtige Be- deutung darzuſtellen, welche das Nützliche und Nothwendige in dieſem Zuſammen- hang erhält; höher tritt die Einheit des Staatslebens in den Gebäuden für Regierung und Rechtspflege hervor; ſein rein menſchlicher, geiſtiger und ſittlicher Gehalt ſpricht ſich in den Bauwerken für Erziehung, Wiſſenſchaft, Kunſt aus. Wir beginnen mit dem Gebiete der ſogenannten weltlichen Baukunſt. Der §. ſtellt ausdrücklich heraus und begründet tiefer, was ſchon zu §. 574, 2. von der Rückſtrahlung des am Tempel entwickelten Monumentalſtyls auf dieſe Sphäre geſagt iſt. Es wird hier der Begriff der Perſönlichkeit wieder eingeführt, der ſchon in §. 556, welcher die gegenwärtige Eintheilung vor- zeichnet, der leitende war. Der Tempel iſt die Stätte des abſoluten Geiſtes; in dieſem ſchaut die Geſammtperſon eines Volks das Perſönliche in allen Perſonen an, ſei nun die Vorſtellung dabei die mythiſche, als wäre dieſer reine Geiſt ſelbſt wieder Einzelperſon, oder nicht. Der Tempel kann nun zunächſt nur das weltbauende Wirken dieſer abſoluten Perſon ſymboliſch darſtellen, dabei ſchwebt aber der Baukunſt zugleich das dem beſtimmten Geſammtleben des eigenen Volks entnommene Bild einer ethiſchen Ordnung vor und ſo iſt der Ausdruck des Tempelſtyls mittelbar ein per- ſönlicher. Die Geſammtperſon eines Volks hat ihre weiteren beſonderen Zwecke zu realiſiren; ſie erhalten ihre Weihe durch die Einheit des ganzen Volkslebens, die ſich ſelbſt wieder als Glied jener höchſten, göttlichen Einheit weiß; der Geſammtperſon des Volks aber reiht ſich die Einzel- perſon als Glied ein und tritt ſo in dieſelbe Kette, die zu der höchſten Einheit führt. Dieß ſoll ſich nun auch äſthetiſch ausdrücken; auch das Gebäude, das nur einem der beſonderen und einzelnen Zwecke dient, ſoll perſönlich ſein nicht nur in dem gemeinen Sinne, daß es eben für die Bedürfniſſe einer Perſon oder mehrerer Perſonen errichtet iſt, ſondern im Sinn einer künſtleriſchen Gliederung, welche an jene höhere Wohlordnung erinnert, durch die der Tempel auf den weltbauenden und zugleich den ethiſchen Koſmos gründenden abſoluten Geiſt hinweist. Dieſer Ausdruck wird ſich nun einfach daraus entwickeln, daß jeder beſondere, nur etwas über das rohe Bedürfniß ſich hebende Bauzweck einen Hauptraum zwiſchen untergeordneten Räumen fordert, der als reichere, Symmetrie-bildende Mitte hervortreten muß; ſolche Mittelpuncte ſtellen die geiſtige Einheit der in jedem zweckmäßigen Ganzen verbundenen Einzelzwecke dar, ſie ent- ſprechen dem Charakterbeſtimmenden in der Perſönlichkeit, an ſie knüpft ſich der äſthetiſche Ueberfluß, an ſie vorzüglich legt ſich der höhere Styl an. Dieß gilt denn ſchon vom Wohnhauſe des Einzelnen; ſoll es nur irgend über das Nothdürftige ſich erheben, ſo darf es kein Würfel mit Fenſtern

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Zitationshilfe: Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,2,1. Stuttgart, 1852, S. 256. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik030201_1852/96>, abgerufen am 21.11.2024.