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Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,2,2. Stuttgart, 1853.

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als Andeutung eines neuen Styls vereinzelt auf. Bald aber dringt das Ma-2.
lerische in einem andern Sinn ein, nämlich als leidenschaftliche Bewegtheit,
welche allmählig in eine aller plastischen Ruhe widersprechende Manier der höch-
sten subjectiven Aufgeregtheit bei völlig zerblasen behandelten gemein natura-
listischen Formen, bald mehr im Sinne der falschen Energie, bald des lüster-
nen Reizes übergeht und von Italien aus, anfangs vorzüglich in decorativen
Anordnungen thätig, sich allerwärts verbreitet. Neben der zweiten Stoffwelt
des Mittelalters und des Alterthums ist es vorherrschend die Allegorie, worin
sich diese Manier bewegt.

1. Das reine Formgefühl, wie es schon um die Mitte des fünfzehn-
ten Jahrhunderts bei den Italienern sich wieder entwickelt, ist eine neue
Belebung jenes reiner plastischen Sinnes, den wir schon §. 643 in dem
Naturell dieses Volks gefunden haben, durch die nun erst mit vollen
Mitteln des Verständnisses in ihrem wahren Wesen erkannte Antike. Das
ächt classisch Plastische wird restaurirt: Renaissance. Bei einem Lorenzo
Ghiberti und Luca della Robbia tritt dieses Gefühl in der ganzen rüh-
renden und lieblichen Jungfräulichkeit eines ersten warmen Wiederaufath-
mens hervor. Einen Zug naiver Innigkeit theilen diese Meister noch
mit der Zeit des sogen. germanischen Styles. Dabei tritt jene malerische
Behandlung des Relief bei den Italienern allerdings gerade jetzt erst in
ihrem ganzen Umfang auf, dafür entschädigt aber die edle Grazie der
Figuren, nirgends mehr, als in den herrlichen Bronce-Thüren des L.
Ghiberti. In Deutschland sehen wir die ersten Spuren des Einflusses
der Italiener mit diesem Zuge verbunden z. B. bei Veit Stoß; die clas-
sisch gereinigten Formen treten nun aber da und dort in eine Mischung
mit einem andern Zuge, dem männlichen, dem stark naturalistischen und
individuellen, der jetzt durch sie gemäßigt wird, ohne daß er doch das
Maaß einhält, auf welches er in der Zeit der reinen antiken Bildner-
kunst nach dem strengen innern Stylgesetze beschränkt war. Diese Art
von Mitte zeigt sich nirgends merkwürdiger, als in den Werken Peter
Vischers; deutlich liegt der Einfluß der Italiener vor Augen, der aber
eine nordisch bestimmtere, charaktervolle Markirung des Natürlichen und
Individuellen nicht auszulöschen vermocht hat. Vorzüglich am Sebaldus-
grab tritt dieser Styl in den Apostelgestalten, dem kleinen Standbilde des
Künstlers, noch mehr und besonders lehrreich in den Reliefs auf. Das
Gänsemännchen von P. Labenwolf steht auch in der Linie dieser Richtung.
Sonst sind es vorzüglich Monumental-Statuen, welche diesen gereinigt
charakteristischen Styl darstellen; auch in Italien finden wir ihn z. B. an
der Reiterstatue des B. Colleoni in Venedig von Andrea del Verocchio.
Wir werden auf die Bedeutung dieser Erscheinung, auf die wichtige Styl-

als Andeutung eines neuen Styls vereinzelt auf. Bald aber dringt das Ma-2.
leriſche in einem andern Sinn ein, nämlich als leidenſchaftliche Bewegtheit,
welche allmählig in eine aller plaſtiſchen Ruhe widerſprechende Manier der höch-
ſten ſubjectiven Aufgeregtheit bei völlig zerblaſen behandelten gemein natura-
liſtiſchen Formen, bald mehr im Sinne der falſchen Energie, bald des lüſter-
nen Reizes übergeht und von Italien aus, anfangs vorzüglich in decorativen
Anordnungen thätig, ſich allerwärts verbreitet. Neben der zweiten Stoffwelt
des Mittelalters und des Alterthums iſt es vorherrſchend die Allegorie, worin
ſich dieſe Manier bewegt.

1. Das reine Formgefühl, wie es ſchon um die Mitte des fünfzehn-
ten Jahrhunderts bei den Italienern ſich wieder entwickelt, iſt eine neue
Belebung jenes reiner plaſtiſchen Sinnes, den wir ſchon §. 643 in dem
Naturell dieſes Volks gefunden haben, durch die nun erſt mit vollen
Mitteln des Verſtändniſſes in ihrem wahren Weſen erkannte Antike. Das
ächt claſſiſch Plaſtiſche wird reſtaurirt: Renaiſſance. Bei einem Lorenzo
Ghiberti und Luca della Robbia tritt dieſes Gefühl in der ganzen rüh-
renden und lieblichen Jungfräulichkeit eines erſten warmen Wiederaufath-
mens hervor. Einen Zug naiver Innigkeit theilen dieſe Meiſter noch
mit der Zeit des ſogen. germaniſchen Styles. Dabei tritt jene maleriſche
Behandlung des Relief bei den Italienern allerdings gerade jetzt erſt in
ihrem ganzen Umfang auf, dafür entſchädigt aber die edle Grazie der
Figuren, nirgends mehr, als in den herrlichen Bronce-Thüren des L.
Ghiberti. In Deutſchland ſehen wir die erſten Spuren des Einfluſſes
der Italiener mit dieſem Zuge verbunden z. B. bei Veit Stoß; die claſ-
ſiſch gereinigten Formen treten nun aber da und dort in eine Miſchung
mit einem andern Zuge, dem männlichen, dem ſtark naturaliſtiſchen und
individuellen, der jetzt durch ſie gemäßigt wird, ohne daß er doch das
Maaß einhält, auf welches er in der Zeit der reinen antiken Bildner-
kunſt nach dem ſtrengen innern Stylgeſetze beſchränkt war. Dieſe Art
von Mitte zeigt ſich nirgends merkwürdiger, als in den Werken Peter
Viſchers; deutlich liegt der Einfluß der Italiener vor Augen, der aber
eine nordiſch beſtimmtere, charaktervolle Markirung des Natürlichen und
Individuellen nicht auszulöſchen vermocht hat. Vorzüglich am Sebaldus-
grab tritt dieſer Styl in den Apoſtelgeſtalten, dem kleinen Standbilde des
Künſtlers, noch mehr und beſonders lehrreich in den Reliefs auf. Das
Gänſemännchen von P. Labenwolf ſteht auch in der Linie dieſer Richtung.
Sonſt ſind es vorzüglich Monumental-Statuen, welche dieſen gereinigt
charakteriſtiſchen Styl darſtellen; auch in Italien finden wir ihn z. B. an
der Reiterſtatue des B. Colleoni in Venedig von Andrea del Verocchio.
Wir werden auf die Bedeutung dieſer Erſcheinung, auf die wichtige Styl-

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[491/0165] als Andeutung eines neuen Styls vereinzelt auf. Bald aber dringt das Ma- leriſche in einem andern Sinn ein, nämlich als leidenſchaftliche Bewegtheit, welche allmählig in eine aller plaſtiſchen Ruhe widerſprechende Manier der höch- ſten ſubjectiven Aufgeregtheit bei völlig zerblaſen behandelten gemein natura- liſtiſchen Formen, bald mehr im Sinne der falſchen Energie, bald des lüſter- nen Reizes übergeht und von Italien aus, anfangs vorzüglich in decorativen Anordnungen thätig, ſich allerwärts verbreitet. Neben der zweiten Stoffwelt des Mittelalters und des Alterthums iſt es vorherrſchend die Allegorie, worin ſich dieſe Manier bewegt. 1. Das reine Formgefühl, wie es ſchon um die Mitte des fünfzehn- ten Jahrhunderts bei den Italienern ſich wieder entwickelt, iſt eine neue Belebung jenes reiner plaſtiſchen Sinnes, den wir ſchon §. 643 in dem Naturell dieſes Volks gefunden haben, durch die nun erſt mit vollen Mitteln des Verſtändniſſes in ihrem wahren Weſen erkannte Antike. Das ächt claſſiſch Plaſtiſche wird reſtaurirt: Renaiſſance. Bei einem Lorenzo Ghiberti und Luca della Robbia tritt dieſes Gefühl in der ganzen rüh- renden und lieblichen Jungfräulichkeit eines erſten warmen Wiederaufath- mens hervor. Einen Zug naiver Innigkeit theilen dieſe Meiſter noch mit der Zeit des ſogen. germaniſchen Styles. Dabei tritt jene maleriſche Behandlung des Relief bei den Italienern allerdings gerade jetzt erſt in ihrem ganzen Umfang auf, dafür entſchädigt aber die edle Grazie der Figuren, nirgends mehr, als in den herrlichen Bronce-Thüren des L. Ghiberti. In Deutſchland ſehen wir die erſten Spuren des Einfluſſes der Italiener mit dieſem Zuge verbunden z. B. bei Veit Stoß; die claſ- ſiſch gereinigten Formen treten nun aber da und dort in eine Miſchung mit einem andern Zuge, dem männlichen, dem ſtark naturaliſtiſchen und individuellen, der jetzt durch ſie gemäßigt wird, ohne daß er doch das Maaß einhält, auf welches er in der Zeit der reinen antiken Bildner- kunſt nach dem ſtrengen innern Stylgeſetze beſchränkt war. Dieſe Art von Mitte zeigt ſich nirgends merkwürdiger, als in den Werken Peter Viſchers; deutlich liegt der Einfluß der Italiener vor Augen, der aber eine nordiſch beſtimmtere, charaktervolle Markirung des Natürlichen und Individuellen nicht auszulöſchen vermocht hat. Vorzüglich am Sebaldus- grab tritt dieſer Styl in den Apoſtelgeſtalten, dem kleinen Standbilde des Künſtlers, noch mehr und beſonders lehrreich in den Reliefs auf. Das Gänſemännchen von P. Labenwolf ſteht auch in der Linie dieſer Richtung. Sonſt ſind es vorzüglich Monumental-Statuen, welche dieſen gereinigt charakteriſtiſchen Styl darſtellen; auch in Italien finden wir ihn z. B. an der Reiterſtatue des B. Colleoni in Venedig von Andrea del Verocchio. Wir werden auf die Bedeutung dieſer Erſcheinung, auf die wichtige Styl-

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Zitationshilfe: Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,2,2. Stuttgart, 1853, S. 491. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik030202_1853/165>, abgerufen am 22.12.2024.