Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,2,2. Stuttgart, 1853.
es gebaute Phantasie die (thierische und) menschliche, nicht die landschaft-
es gebaute Phantaſie die (thieriſche und) menſchliche, nicht die landſchaft- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <div n="5"> <div n="6"> <div n="7"> <p> <hi rendition="#et"><pb facs="#f0022" n="348"/> es gebaute Phantaſie die (thieriſche und) menſchliche, nicht die landſchaft-<lb/> liche ſein werde. Es leuchtet nämlich zunächſt ein, daß die Bildner-<lb/> kunſt das Landſchaftliche nicht darſtellen <hi rendition="#g">kann</hi>; das unorganiſch Schöne,<lb/> Licht, Luft, Erde iſt ein Continuirliches, ſie aber vermag ihren Bedingungen<lb/> gemäß nur die volle, individuell ſcharf und beſtimmt abgegrenzte Geſtalt<lb/> nachzubilden. Das erſte Organiſche, die Pflanze, fällt ebenfalls ſchon darum<lb/> weg, weil ja einzelne Pflanzen nicht wohl zur künſtleriſchen Darſtellung<lb/> kommen können, ſondern nur eine Vielheit von Pflanzengebilden, die mit<lb/> dem plaſtiſch nicht nachahmlichen unorganiſchen Theile der Landſchaft als<lb/> ſeine ſchmückende Ueberkleidung ein Ganzes ausmacht; aber auch abgeſehen<lb/> von dieſer Verbindung ſtellt ſich Wieſe, Gebüſch, Wald als ein Fortlau-<lb/> fendes dar, das aus demſelben Grunde, wie die übrige Landſchaft, bildne-<lb/> riſch nicht darſtellbar iſt. Die größere einzelne Pflanze, der Baum, kann<lb/> allerdings in einem Gemälde zwar nicht für ſich allein, ohne alle Umge-<lb/> bung, doch als Mittelpunct und eigentliche Aufgabe des Ganzen auftreten;<lb/> in der Sculptur iſt aber auch das einzelne Gebilde nicht darſtellbar, denn<lb/> es läuft ebenfalls in ein Continuirliches aus durch die, an ſich zwar zählbare,<lb/> dem Auge aber in das unbeſtimmt Viele überfließende Menge ſeiner<lb/> Blätter und Zweige, und ſo liegt es alſo in der Bildung der Pflanze an<lb/> ſich, daß ſie aus dem Umfang der plaſtiſchen Objecte wegfällt. Wenn<lb/> demnach die Bildnerkunſt das landſchaftlich Schöne ihren Bedingungen<lb/> gemäß nothwendig meiden muß und nur mittelbar durch gewiſſe Aushülfen,<lb/> von denen ſeines Orts die Rede ſein wird, andeuten kann, ſo ſcheint ein<lb/> Widerſpruch zu entſtehen zwiſchen dem Stufengange des Naturſchönen und<lb/> dem des Syſtems der Künſte. Dieſer Widerſpruch löst ſich durch folgende<lb/> doppelte Erwägung. Das landſchaftlich Schöne an ſich betrachtet, wie in<lb/> der That das Leben der Idee in erſten, aber noch ſtarr gebundenen Spu-<lb/> ren darin angedeutet liegt, iſt bereits von der abſolut erſten, anfänglichen<lb/> Kunſtform benützt, denn dieſe, die Baukunſt, haben wir ja erkannt als<lb/> die Idealiſirung der unorganiſchen Natur, zunächſt und vorzüglich ihres<lb/> feſten Theils, der Erdbildung und des Kryſtalls, dann auch des Himmels-<lb/> gewölbes, entfernter des Pflanzenreichs; die Flächen und Kreis-Ausſchnitte<lb/> des Waſſers fanden wir ebenfalls in ihrem Linienreich enthalten. Dagegen<lb/> wird das landſchaftlich Schöne in ein höheres Licht gerückt durch die<lb/> Seele des Zuſchauers, die ihre Empfindungen leihend ihr unterſchiebt.<lb/> Dieſer Act gehört einem Geiſtesleben an, das auf der Stufe vermittelter,<lb/> einen Bruch mit der Natur vorausſetzender Bildung ſteht, einer Bildung,<lb/> welche jenſeits der naiven Einfalt des taſtenden Sehens liegt, das ſich an<lb/> die <hi rendition="#g">reife</hi> Natur, an ihr zeitiges, fertiges, ſo zu ſagen ausgekochtes<lb/> Werk als dasjenige hält, worin die zerſtreuten Strahlen des Lebens im<lb/> geſchloſſenen Bilde geſammelt dem Auge entgegentreten. Es kann dieß<lb/></hi> </p> </div> </div> </div> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [348/0022]
es gebaute Phantaſie die (thieriſche und) menſchliche, nicht die landſchaft-
liche ſein werde. Es leuchtet nämlich zunächſt ein, daß die Bildner-
kunſt das Landſchaftliche nicht darſtellen kann; das unorganiſch Schöne,
Licht, Luft, Erde iſt ein Continuirliches, ſie aber vermag ihren Bedingungen
gemäß nur die volle, individuell ſcharf und beſtimmt abgegrenzte Geſtalt
nachzubilden. Das erſte Organiſche, die Pflanze, fällt ebenfalls ſchon darum
weg, weil ja einzelne Pflanzen nicht wohl zur künſtleriſchen Darſtellung
kommen können, ſondern nur eine Vielheit von Pflanzengebilden, die mit
dem plaſtiſch nicht nachahmlichen unorganiſchen Theile der Landſchaft als
ſeine ſchmückende Ueberkleidung ein Ganzes ausmacht; aber auch abgeſehen
von dieſer Verbindung ſtellt ſich Wieſe, Gebüſch, Wald als ein Fortlau-
fendes dar, das aus demſelben Grunde, wie die übrige Landſchaft, bildne-
riſch nicht darſtellbar iſt. Die größere einzelne Pflanze, der Baum, kann
allerdings in einem Gemälde zwar nicht für ſich allein, ohne alle Umge-
bung, doch als Mittelpunct und eigentliche Aufgabe des Ganzen auftreten;
in der Sculptur iſt aber auch das einzelne Gebilde nicht darſtellbar, denn
es läuft ebenfalls in ein Continuirliches aus durch die, an ſich zwar zählbare,
dem Auge aber in das unbeſtimmt Viele überfließende Menge ſeiner
Blätter und Zweige, und ſo liegt es alſo in der Bildung der Pflanze an
ſich, daß ſie aus dem Umfang der plaſtiſchen Objecte wegfällt. Wenn
demnach die Bildnerkunſt das landſchaftlich Schöne ihren Bedingungen
gemäß nothwendig meiden muß und nur mittelbar durch gewiſſe Aushülfen,
von denen ſeines Orts die Rede ſein wird, andeuten kann, ſo ſcheint ein
Widerſpruch zu entſtehen zwiſchen dem Stufengange des Naturſchönen und
dem des Syſtems der Künſte. Dieſer Widerſpruch löst ſich durch folgende
doppelte Erwägung. Das landſchaftlich Schöne an ſich betrachtet, wie in
der That das Leben der Idee in erſten, aber noch ſtarr gebundenen Spu-
ren darin angedeutet liegt, iſt bereits von der abſolut erſten, anfänglichen
Kunſtform benützt, denn dieſe, die Baukunſt, haben wir ja erkannt als
die Idealiſirung der unorganiſchen Natur, zunächſt und vorzüglich ihres
feſten Theils, der Erdbildung und des Kryſtalls, dann auch des Himmels-
gewölbes, entfernter des Pflanzenreichs; die Flächen und Kreis-Ausſchnitte
des Waſſers fanden wir ebenfalls in ihrem Linienreich enthalten. Dagegen
wird das landſchaftlich Schöne in ein höheres Licht gerückt durch die
Seele des Zuſchauers, die ihre Empfindungen leihend ihr unterſchiebt.
Dieſer Act gehört einem Geiſtesleben an, das auf der Stufe vermittelter,
einen Bruch mit der Natur vorausſetzender Bildung ſteht, einer Bildung,
welche jenſeits der naiven Einfalt des taſtenden Sehens liegt, das ſich an
die reife Natur, an ihr zeitiges, fertiges, ſo zu ſagen ausgekochtes
Werk als dasjenige hält, worin die zerſtreuten Strahlen des Lebens im
geſchloſſenen Bilde geſammelt dem Auge entgegentreten. Es kann dieß
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |