Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,2,2. Stuttgart, 1853.
daß sie den Schwerpunct frei verändert, sie hebt in der Bewegung ihre 2. An dieser Stelle sind die Verwandtschaftslinien zwischen der Bau-
daß ſie den Schwerpunct frei verändert, ſie hebt in der Bewegung ihre 2. An dieſer Stelle ſind die Verwandtſchaftslinien zwiſchen der Bau- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <div n="5"> <div n="6"> <div n="7"> <p> <hi rendition="#et"><pb facs="#f0026" n="352"/> daß ſie den Schwerpunct frei verändert, ſie hebt in der Bewegung ihre<lb/> Schwere zugleich auf, und bleibt ihr zugleich verfallen. Dieſes ſein Ver-<lb/> hältniß zur Schwere ſieht man dem Körper in den Linien ſeiner Formen<lb/> trotz der Abſtraction von den ſtoffartigen Bedingungen der Schwere weſent-<lb/> lich an. Faſſen wir nun wieder das plaſtiſche Kunſtwerk in’s Auge, ſo<lb/> hat es der Bildner zwar nicht mit der Schwere des Steins, Erzes als<lb/> ſolcher zu thun, aber er iſt davon abhängig; er muß zuſehen, daß ſein<lb/> Bildwerk nicht durch Uebergewicht falle, breche. Es ſoll ſicher in ſeinem<lb/> Schwerpuncte ruhen. Das geht zunächſt das Werk als Kunſtwerk, den<lb/> ſchön dargeſtellten Gegenſtand, nichts an; was dieſen betrifft, ſo ſehen wir<lb/> ja an ihm in der genannten Weiſe organiſch beherrſchte Schwere, welche<lb/> mit jener gemein wirklichen Schwere des Materials nichts zu ſchaffen hat.<lb/> Allein dieſe zwei zunächſt gegeneinander völlig gleichgültigen Schweren<lb/> werden nun doch in eine Beziehung zu einander treten; unvermeidlich<lb/> muß ſich eine Uebertragung der einen auf die andern einſtellen. Droht<lb/> der Marmor, das Erz zu fallen oder zu brechen, ſo haben wir den Ein-<lb/> druck, als ſei die dargeſtellte Geſtalt im Begriff, das Gleichgewicht zu<lb/> verlieren, zu fallen, einzuknicken; die Schwere, die ihr eigen iſt und die<lb/> ſie nur offenbart, indem ſie ſie frei beherrſcht, droht ſich dieſer Beherrſchung<lb/> zu entziehen und plump gegen die Geſtalt zu wirken. Gerade alſo wie<lb/> im lebendigen Leib Fleiſch und Blut, wie an der Oberfläche des Kunſt-<lb/> werks die Textur der Maſſe durchgefühlt wird, ſo in der Stellung des Gan-<lb/> zen die Schwere derſelben. Sie wiegt, vergeſſen und doch über ihre Ver-<lb/> geſſung hinüber wirkend, im Geſammteindruck mit. Es wird ſich zeigen,<lb/> welche wichtige Beſtimmung über das Weſen dieſer Kunſt und welches<lb/> Stylgeſetz daraus hervorgeht; hier leuchtet ein, daß auch in dieſem Punct<lb/> eine Reminiſcenz der Baukunſt, ein Architektur-artiges in der Bildnerkunſt<lb/> noch ſich geltend macht. Die Kunſt iſt nicht mehr wie dort auf die<lb/> Schwere als auf den ſpezifiſchen Mittelpunct ihres Weſens gerichtet, aber<lb/> ſie hat es mit ihr zu thun in dem Sinne, daß die nöthige Berückſichti-<lb/> gung der eigentlichen, rohen Schwere des Materials ihr umſchlägt in ein<lb/> äſthetiſches Geſetz der Behandlung des dargeſtellten Gegenſtandes, in wel-<lb/> cher man jene ſo mitfühlt, daß ſie ſich in die organiſch zu beherrſchende<lb/> Schwere des ſchönen Leibes auflöst.</hi> </p><lb/> <p> <hi rendition="#et">2. An dieſer Stelle ſind die Verwandtſchaftslinien zwiſchen der Bau-<lb/> und Bildnerkunſt dahin zuſammenzufaſſen, daß in dieſer auch noch ein<lb/> Reſt jener Diremtion zwiſchen dem erfindenden Künſtler und dem ausfüh-<lb/> renden Techniker ſich erhält, welche dort in ihrer ganzen Beſtimmtheit ſich<lb/> geltend macht und ihren Grund in dem roheren Kampfe hat, welchen die<lb/> Schwere und Härte des Materials fordert; in der Plaſtik iſt etwas von<lb/> dieſem Kampfe noch übrig, was den Künſtler beſtimmt, von einem Theile<lb/></hi> </p> </div> </div> </div> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [352/0026]
daß ſie den Schwerpunct frei verändert, ſie hebt in der Bewegung ihre
Schwere zugleich auf, und bleibt ihr zugleich verfallen. Dieſes ſein Ver-
hältniß zur Schwere ſieht man dem Körper in den Linien ſeiner Formen
trotz der Abſtraction von den ſtoffartigen Bedingungen der Schwere weſent-
lich an. Faſſen wir nun wieder das plaſtiſche Kunſtwerk in’s Auge, ſo
hat es der Bildner zwar nicht mit der Schwere des Steins, Erzes als
ſolcher zu thun, aber er iſt davon abhängig; er muß zuſehen, daß ſein
Bildwerk nicht durch Uebergewicht falle, breche. Es ſoll ſicher in ſeinem
Schwerpuncte ruhen. Das geht zunächſt das Werk als Kunſtwerk, den
ſchön dargeſtellten Gegenſtand, nichts an; was dieſen betrifft, ſo ſehen wir
ja an ihm in der genannten Weiſe organiſch beherrſchte Schwere, welche
mit jener gemein wirklichen Schwere des Materials nichts zu ſchaffen hat.
Allein dieſe zwei zunächſt gegeneinander völlig gleichgültigen Schweren
werden nun doch in eine Beziehung zu einander treten; unvermeidlich
muß ſich eine Uebertragung der einen auf die andern einſtellen. Droht
der Marmor, das Erz zu fallen oder zu brechen, ſo haben wir den Ein-
druck, als ſei die dargeſtellte Geſtalt im Begriff, das Gleichgewicht zu
verlieren, zu fallen, einzuknicken; die Schwere, die ihr eigen iſt und die
ſie nur offenbart, indem ſie ſie frei beherrſcht, droht ſich dieſer Beherrſchung
zu entziehen und plump gegen die Geſtalt zu wirken. Gerade alſo wie
im lebendigen Leib Fleiſch und Blut, wie an der Oberfläche des Kunſt-
werks die Textur der Maſſe durchgefühlt wird, ſo in der Stellung des Gan-
zen die Schwere derſelben. Sie wiegt, vergeſſen und doch über ihre Ver-
geſſung hinüber wirkend, im Geſammteindruck mit. Es wird ſich zeigen,
welche wichtige Beſtimmung über das Weſen dieſer Kunſt und welches
Stylgeſetz daraus hervorgeht; hier leuchtet ein, daß auch in dieſem Punct
eine Reminiſcenz der Baukunſt, ein Architektur-artiges in der Bildnerkunſt
noch ſich geltend macht. Die Kunſt iſt nicht mehr wie dort auf die
Schwere als auf den ſpezifiſchen Mittelpunct ihres Weſens gerichtet, aber
ſie hat es mit ihr zu thun in dem Sinne, daß die nöthige Berückſichti-
gung der eigentlichen, rohen Schwere des Materials ihr umſchlägt in ein
äſthetiſches Geſetz der Behandlung des dargeſtellten Gegenſtandes, in wel-
cher man jene ſo mitfühlt, daß ſie ſich in die organiſch zu beherrſchende
Schwere des ſchönen Leibes auflöst.
2. An dieſer Stelle ſind die Verwandtſchaftslinien zwiſchen der Bau-
und Bildnerkunſt dahin zuſammenzufaſſen, daß in dieſer auch noch ein
Reſt jener Diremtion zwiſchen dem erfindenden Künſtler und dem ausfüh-
renden Techniker ſich erhält, welche dort in ihrer ganzen Beſtimmtheit ſich
geltend macht und ihren Grund in dem roheren Kampfe hat, welchen die
Schwere und Härte des Materials fordert; in der Plaſtik iſt etwas von
dieſem Kampfe noch übrig, was den Künſtler beſtimmt, von einem Theile
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