Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,2,2. Stuttgart, 1853.
welcher Art dieselbe in der Plastik sei, ergibt sich, wenn wir den Begriff des
welcher Art dieſelbe in der Plaſtik ſei, ergibt ſich, wenn wir den Begriff des <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <div n="5"> <div n="6"> <div n="7"> <p> <hi rendition="#et"><pb facs="#f0034" n="360"/> welcher Art dieſelbe in der Plaſtik ſei, ergibt ſich, wenn wir den Begriff des<lb/> reinen Gleichgewichts des Subjectiven und Objectiven heraufnehmen und in<lb/> ſeine beſtimmte, beſondere Wirkung verfolgen, wie dieß in der Allgemeinheit,<lb/> in der ſich §. 602 hielt, noch nicht geſchehen iſt. Verſenkt ſich nun in<lb/> dieſer Kunſt das Subjective ganz in das Objective, ſo daß es nichts zu-<lb/> rückbehält, ſondern eben in dieſem ganz gegenwärtig iſt, ſo heißt dieß in<lb/> der nun eintretenden beſtimmten Anwendung: Leib und Seele fallen bruch-<lb/> los in Eines zuſammen, „ſind wie mit Einem Hauche geſchaffen; die<lb/> Kraft, wodurch ein Weſen nach außen beſteht, iſt mit der, wodurch es<lb/> nach innen wirkt und als Seele lebt, vollkommen gleich abgewogen“<lb/> (Schelling a. a. O.). Die Bildnerkunſt ſtellt den wahren philoſophiſchen<lb/> Begriff des Verhältniſſes zwiſchen Seele und Leib in ſeiner erſten ein-<lb/> fachen Grundbeſtimmung verwirklicht dar, wonach die Seele ſchlechthin<lb/> die Idealität des Leibs, dieſer die Realität der Seele iſt. Dieſer Begriff<lb/> vertieft ſich in weiterer Entwicklung: die Seele, zum ſelbſtbewußten Geiſt<lb/> und Willen erſchloſſen und geſammelt, hebt ſich unendlich über ihre end-<lb/> liche Erſcheinung; aber in dem ſo zur Reife gediehenen Begriffe darf die<lb/> Grundbeſtimmung der Einheit nicht verloren gehen, ſondern muß feſtge-<lb/> gehalten werden, daß die endliche Erſcheinung ſchlechthin untrennbares<lb/> Gefäß auch des unendlich über ſie gehobenen Geiſtes bleibt, daß ſie den<lb/> obwohl unendlich über ſie hinausgewachſenen Inhalt doch als den ihrigen<lb/><hi rendition="#g">auch adäquat</hi> an ſich darſtellen muß. Es wird eine Kunſt auftreten,<lb/> welche dieſen Bruch <hi rendition="#g">und</hi> ſeine Verſöhnung in ihr Bereich zieht; die<lb/> Bildnerkunſt aber liegt <hi rendition="#g">hinter</hi> dieſer Spaltung auf dem Boden des ein-<lb/> fachen Begriffs. Nicht als ob ſie nur Kinderſeelen darſtellte: Geiſt,<lb/> Charakter, das Ethiſche überhaupt kann ihr ja, wie wir dieß in anderem<lb/> Zuſammenhang ſchon zu §. 598 berührt haben, nicht fehlen, ſonſt wäre<lb/> ſie nicht Kunſt, ja wir werden mit Nächſtem ſehen, wie gerade dieſer Gehalt<lb/> recht ihr eigen iſt; es muß vielmehr Charakter-Gehalt und Alles, was<lb/> gut und würdig und groß iſt, darſtellbar ſein ſchon auf dem Boden des<lb/> einfachen Verhältniſſes; welche Bildungsform des pſychiſchen Lebens dieß<lb/> vorausſetzt, wird im folgenden §. ausdrücklich zur Sprache kommen, hier<lb/> halten wir zunächſt einfach den Grundbegriff der Einheit von Seele und<lb/> Leib feſt und bleiben daher bei dem ſchlichten Ausdruck „Seele“ für das geiſtige<lb/> Prinzip. Nicht umſonſt haben wir für deſſen leibliche Erſcheinung das<lb/> Wort „Bau“ gewählt; er bezeichnet das Architekturartige in der Bild-<lb/> nerkunſt, wie es nun tiefere Bedeutung gewinnt: die Seele erſcheint in<lb/> ihrem Leib als ein Bauendes; mit demſelben innern Weben, worin ſie<lb/> ihre geiſtigen Kräfte entwickelt, baut ſie in Einem Schlage auch ihre<lb/> Glieder; ihr Leib wächst mit ihr, es iſt Ein ungetrennt Gewordenes,<lb/> Gewachſenes; dieß iſt der tiefe, feine Sinn des Ausdrucks: Gewächſe,<lb/></hi> </p> </div> </div> </div> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [360/0034]
welcher Art dieſelbe in der Plaſtik ſei, ergibt ſich, wenn wir den Begriff des
reinen Gleichgewichts des Subjectiven und Objectiven heraufnehmen und in
ſeine beſtimmte, beſondere Wirkung verfolgen, wie dieß in der Allgemeinheit,
in der ſich §. 602 hielt, noch nicht geſchehen iſt. Verſenkt ſich nun in
dieſer Kunſt das Subjective ganz in das Objective, ſo daß es nichts zu-
rückbehält, ſondern eben in dieſem ganz gegenwärtig iſt, ſo heißt dieß in
der nun eintretenden beſtimmten Anwendung: Leib und Seele fallen bruch-
los in Eines zuſammen, „ſind wie mit Einem Hauche geſchaffen; die
Kraft, wodurch ein Weſen nach außen beſteht, iſt mit der, wodurch es
nach innen wirkt und als Seele lebt, vollkommen gleich abgewogen“
(Schelling a. a. O.). Die Bildnerkunſt ſtellt den wahren philoſophiſchen
Begriff des Verhältniſſes zwiſchen Seele und Leib in ſeiner erſten ein-
fachen Grundbeſtimmung verwirklicht dar, wonach die Seele ſchlechthin
die Idealität des Leibs, dieſer die Realität der Seele iſt. Dieſer Begriff
vertieft ſich in weiterer Entwicklung: die Seele, zum ſelbſtbewußten Geiſt
und Willen erſchloſſen und geſammelt, hebt ſich unendlich über ihre end-
liche Erſcheinung; aber in dem ſo zur Reife gediehenen Begriffe darf die
Grundbeſtimmung der Einheit nicht verloren gehen, ſondern muß feſtge-
gehalten werden, daß die endliche Erſcheinung ſchlechthin untrennbares
Gefäß auch des unendlich über ſie gehobenen Geiſtes bleibt, daß ſie den
obwohl unendlich über ſie hinausgewachſenen Inhalt doch als den ihrigen
auch adäquat an ſich darſtellen muß. Es wird eine Kunſt auftreten,
welche dieſen Bruch und ſeine Verſöhnung in ihr Bereich zieht; die
Bildnerkunſt aber liegt hinter dieſer Spaltung auf dem Boden des ein-
fachen Begriffs. Nicht als ob ſie nur Kinderſeelen darſtellte: Geiſt,
Charakter, das Ethiſche überhaupt kann ihr ja, wie wir dieß in anderem
Zuſammenhang ſchon zu §. 598 berührt haben, nicht fehlen, ſonſt wäre
ſie nicht Kunſt, ja wir werden mit Nächſtem ſehen, wie gerade dieſer Gehalt
recht ihr eigen iſt; es muß vielmehr Charakter-Gehalt und Alles, was
gut und würdig und groß iſt, darſtellbar ſein ſchon auf dem Boden des
einfachen Verhältniſſes; welche Bildungsform des pſychiſchen Lebens dieß
vorausſetzt, wird im folgenden §. ausdrücklich zur Sprache kommen, hier
halten wir zunächſt einfach den Grundbegriff der Einheit von Seele und
Leib feſt und bleiben daher bei dem ſchlichten Ausdruck „Seele“ für das geiſtige
Prinzip. Nicht umſonſt haben wir für deſſen leibliche Erſcheinung das
Wort „Bau“ gewählt; er bezeichnet das Architekturartige in der Bild-
nerkunſt, wie es nun tiefere Bedeutung gewinnt: die Seele erſcheint in
ihrem Leib als ein Bauendes; mit demſelben innern Weben, worin ſie
ihre geiſtigen Kräfte entwickelt, baut ſie in Einem Schlage auch ihre
Glieder; ihr Leib wächst mit ihr, es iſt Ein ungetrennt Gewordenes,
Gewachſenes; dieß iſt der tiefe, feine Sinn des Ausdrucks: Gewächſe,
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