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Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,2,2. Stuttgart, 1853.

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durch Collisionen der Kunstaufgabe mit ihren Lagen, und die Schärfe der Formen
ist, wie das ganze Werk, ungleich vergänglicher, als Stein und Metall.
Zudem hat es ebenfalls zu viel spezifische, durch Nachdunkeln sich noch
verdüsternde Farbe und führt daher zum Vergolden, zum völligen Anma-
len. Schon die Griechen gaben es daher, indem sie den Uebergang zum
Stein durch die Akrolithen nahmen, auf; nur Feld- und Gartengötter
blieben hölzern. Das Holz bleibt aber höchst wichtig für eine prinzipiell
als Moment in der Architektur behandelte, dem Ornament entblühende,
malerisch aufgefaßte Plastik, und so müssen wir es bei der Geschichte
dieser Kunst im Mittelalter wieder auffassen. Man sieht nun, wie diese
drei Stoffe diesseits der aufgestellten rechten Eigenschaften liegen: sie ent-
sprechen weder den streng technischen (obwohl bereits auch ästhetischen)
Forderungen der Schärfe und Dauer, noch auch der feineren eines zum
lebenswarmen und seelenvollen Ausdruck leise mitwirkenden Materials;
sie sind zu arm. Andere dagegen liegen jenseits: sie sind zu anspruchs-
voll. Stein des Urgebirgs setzt durch seine Härte der Bearbeitung
Schwierigkeiten entgegen, mit deren Ueberwindung nur eine unreife oder
überreife Zeit zu prahlen liebt; gelingt die Ueberwindung völlig, so führt
sie nothwendig einen Grad der Glätte mit sich, in welchem der Duft des
Lebens zu schillernder Eleganz zerschmilzt, ohne daß doch der Eindruck
des Spröden verschwindet. Zudem steht nun aber die Farbe im Miß-
verhältniß zur plastischen Aufgabe; das Schwarz des Basalts verdüstert die
Lichterscheinung des organischen Lebens; Roth, Grauroth, Grünlich und die wei-
teren Farben, worin Porphyr, Granit, auch Basalt, Syenit sich vorfinden, über-
springen mehr oder minder die leise, bescheidene Linie, innerhalb welcher die
Andeutung der Farbe mit der Nachbildung der festen Form sich vereinigen darf.
Dasselbe gilt von schwarzem und farbigem, namentlich mehrfarbigem
Marmor. Die Wahl solcher für sich, statt für den dargestellten Inhalt
sprechender Stoffe sagte der Vorstufe der Kunst in Aegypten und der
Ueppigkeit des römischen Kaiserreichs so wie des achtzehnten Jahrhunderts
zu; reife und gesunde Kunst überläßt sie der untergeordneten Tektonik
und Zierplastik. Scheinbar spricht dieß bunte Material in richtiger An-
wendung nicht für sich, sondern drückt die Farbe des Gegenstandes aus;
die Zusammensetzung von Büsten aus verschiedenen Marmor-Arten in der
spätrömischen Zeit ist ein Surrogat für die Polychromie; wir werden aber
sehen, daß die Polychromie jedenfalls Grenzen hat, welche dieß Surrogat
so überschreitet, daß doch das stoffartige Prahlen mit dem Material an
sich wieder vorschlägt. Das Elfenbein haben die Griechen in der Pe-
riode der schwungvollsten Blüthe ihrer Plastik zu prachtvollen Colossal-
werken verwandt. Es nähert sich etwas dem Fleischtone und scheint da-
durch unserer Hauptforderung zu entsprechen; allein sein Farbenton ist

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durch Colliſionen der Kunſtaufgabe mit ihren Lagen, und die Schärfe der Formen
iſt, wie das ganze Werk, ungleich vergänglicher, als Stein und Metall.
Zudem hat es ebenfalls zu viel ſpezifiſche, durch Nachdunkeln ſich noch
verdüſternde Farbe und führt daher zum Vergolden, zum völligen Anma-
len. Schon die Griechen gaben es daher, indem ſie den Uebergang zum
Stein durch die Akrolithen nahmen, auf; nur Feld- und Gartengötter
blieben hölzern. Das Holz bleibt aber höchſt wichtig für eine prinzipiell
als Moment in der Architektur behandelte, dem Ornament entblühende,
maleriſch aufgefaßte Plaſtik, und ſo müſſen wir es bei der Geſchichte
dieſer Kunſt im Mittelalter wieder auffaſſen. Man ſieht nun, wie dieſe
drei Stoffe dieſſeits der aufgeſtellten rechten Eigenſchaften liegen: ſie ent-
ſprechen weder den ſtreng techniſchen (obwohl bereits auch äſthetiſchen)
Forderungen der Schärfe und Dauer, noch auch der feineren eines zum
lebenswarmen und ſeelenvollen Ausdruck leiſe mitwirkenden Materials;
ſie ſind zu arm. Andere dagegen liegen jenſeits: ſie ſind zu anſpruchs-
voll. Stein des Urgebirgs ſetzt durch ſeine Härte der Bearbeitung
Schwierigkeiten entgegen, mit deren Ueberwindung nur eine unreife oder
überreife Zeit zu prahlen liebt; gelingt die Ueberwindung völlig, ſo führt
ſie nothwendig einen Grad der Glätte mit ſich, in welchem der Duft des
Lebens zu ſchillernder Eleganz zerſchmilzt, ohne daß doch der Eindruck
des Spröden verſchwindet. Zudem ſteht nun aber die Farbe im Miß-
verhältniß zur plaſtiſchen Aufgabe; das Schwarz des Baſalts verdüſtert die
Lichterſcheinung des organiſchen Lebens; Roth, Grauroth, Grünlich und die wei-
teren Farben, worin Porphyr, Granit, auch Baſalt, Syenit ſich vorfinden, über-
ſpringen mehr oder minder die leiſe, beſcheidene Linie, innerhalb welcher die
Andeutung der Farbe mit der Nachbildung der feſten Form ſich vereinigen darf.
Daſſelbe gilt von ſchwarzem und farbigem, namentlich mehrfarbigem
Marmor. Die Wahl ſolcher für ſich, ſtatt für den dargeſtellten Inhalt
ſprechender Stoffe ſagte der Vorſtufe der Kunſt in Aegypten und der
Ueppigkeit des römiſchen Kaiſerreichs ſo wie des achtzehnten Jahrhunderts
zu; reife und geſunde Kunſt überläßt ſie der untergeordneten Tektonik
und Zierplaſtik. Scheinbar ſpricht dieß bunte Material in richtiger An-
wendung nicht für ſich, ſondern drückt die Farbe des Gegenſtandes aus;
die Zuſammenſetzung von Büſten aus verſchiedenen Marmor-Arten in der
ſpätrömiſchen Zeit iſt ein Surrogat für die Polychromie; wir werden aber
ſehen, daß die Polychromie jedenfalls Grenzen hat, welche dieß Surrogat
ſo überſchreitet, daß doch das ſtoffartige Prahlen mit dem Material an
ſich wieder vorſchlägt. Das Elfenbein haben die Griechen in der Pe-
riode der ſchwungvollſten Blüthe ihrer Plaſtik zu prachtvollen Coloſſal-
werken verwandt. Es nähert ſich etwas dem Fleiſchtone und ſcheint da-
durch unſerer Hauptforderung zu entſprechen; allein ſein Farbenton iſt

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[373/0047] durch Colliſionen der Kunſtaufgabe mit ihren Lagen, und die Schärfe der Formen iſt, wie das ganze Werk, ungleich vergänglicher, als Stein und Metall. Zudem hat es ebenfalls zu viel ſpezifiſche, durch Nachdunkeln ſich noch verdüſternde Farbe und führt daher zum Vergolden, zum völligen Anma- len. Schon die Griechen gaben es daher, indem ſie den Uebergang zum Stein durch die Akrolithen nahmen, auf; nur Feld- und Gartengötter blieben hölzern. Das Holz bleibt aber höchſt wichtig für eine prinzipiell als Moment in der Architektur behandelte, dem Ornament entblühende, maleriſch aufgefaßte Plaſtik, und ſo müſſen wir es bei der Geſchichte dieſer Kunſt im Mittelalter wieder auffaſſen. Man ſieht nun, wie dieſe drei Stoffe dieſſeits der aufgeſtellten rechten Eigenſchaften liegen: ſie ent- ſprechen weder den ſtreng techniſchen (obwohl bereits auch äſthetiſchen) Forderungen der Schärfe und Dauer, noch auch der feineren eines zum lebenswarmen und ſeelenvollen Ausdruck leiſe mitwirkenden Materials; ſie ſind zu arm. Andere dagegen liegen jenſeits: ſie ſind zu anſpruchs- voll. Stein des Urgebirgs ſetzt durch ſeine Härte der Bearbeitung Schwierigkeiten entgegen, mit deren Ueberwindung nur eine unreife oder überreife Zeit zu prahlen liebt; gelingt die Ueberwindung völlig, ſo führt ſie nothwendig einen Grad der Glätte mit ſich, in welchem der Duft des Lebens zu ſchillernder Eleganz zerſchmilzt, ohne daß doch der Eindruck des Spröden verſchwindet. Zudem ſteht nun aber die Farbe im Miß- verhältniß zur plaſtiſchen Aufgabe; das Schwarz des Baſalts verdüſtert die Lichterſcheinung des organiſchen Lebens; Roth, Grauroth, Grünlich und die wei- teren Farben, worin Porphyr, Granit, auch Baſalt, Syenit ſich vorfinden, über- ſpringen mehr oder minder die leiſe, beſcheidene Linie, innerhalb welcher die Andeutung der Farbe mit der Nachbildung der feſten Form ſich vereinigen darf. Daſſelbe gilt von ſchwarzem und farbigem, namentlich mehrfarbigem Marmor. Die Wahl ſolcher für ſich, ſtatt für den dargeſtellten Inhalt ſprechender Stoffe ſagte der Vorſtufe der Kunſt in Aegypten und der Ueppigkeit des römiſchen Kaiſerreichs ſo wie des achtzehnten Jahrhunderts zu; reife und geſunde Kunſt überläßt ſie der untergeordneten Tektonik und Zierplaſtik. Scheinbar ſpricht dieß bunte Material in richtiger An- wendung nicht für ſich, ſondern drückt die Farbe des Gegenſtandes aus; die Zuſammenſetzung von Büſten aus verſchiedenen Marmor-Arten in der ſpätrömiſchen Zeit iſt ein Surrogat für die Polychromie; wir werden aber ſehen, daß die Polychromie jedenfalls Grenzen hat, welche dieß Surrogat ſo überſchreitet, daß doch das ſtoffartige Prahlen mit dem Material an ſich wieder vorſchlägt. Das Elfenbein haben die Griechen in der Pe- riode der ſchwungvollſten Blüthe ihrer Plaſtik zu prachtvollen Coloſſal- werken verwandt. Es nähert ſich etwas dem Fleiſchtone und ſcheint da- durch unſerer Hauptforderung zu entſprechen; allein ſein Farbenton iſt 25*

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Zitationshilfe: Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,2,2. Stuttgart, 1853, S. 373. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik030202_1853/47>, abgerufen am 22.12.2024.