Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,2,2. Stuttgart, 1853.
parischen Marmor etwas sichtbarer, bei dem pentelischen mehr mit Talk
pariſchen Marmor etwas ſichtbarer, bei dem penteliſchen mehr mit Talk <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <div n="5"> <div n="6"> <div n="7"> <p> <hi rendition="#et"><pb facs="#f0051" n="377"/> pariſchen Marmor etwas ſichtbarer, bei dem penteliſchen mehr mit Talk<lb/> durchzogen) deutet leicht die poröſe Natur der Haut an; das Weiß iſt<lb/> glanzlos, die Formen können erſcheinen, aber der Anflug von Duchſichtig-<lb/> keit und das milde Licht nimmt ihnen die Gröbe des Empiriſchen und<lb/> entſpricht ohne eigentliche Nachahmung dem wirklichen Hauche von Durch-<lb/> ſichtigkeit, den die Haut hat, ſo wie dem Weichen, Anſchmiegſamen der<lb/> Gewänder. Daher „das ſanfte Verhauchen der hellen und dunkeln Par-<lb/> thieen, die Abſtufungen von Licht und Schatten, der ſanfte Zauber der<lb/> Reflexe“ (Feuerbach a. a. O. S. 177) bei dem warmen, fleiſchigen und<lb/> doch nicht widrig fettigen Charakter. Winkelmann hat ſich geirrt, wenn<lb/> er Marmor, der von milchiger Maſſe oder Teige gegoſſen ſcheint, für<lb/> den ſchönſten hält und annimmt, der pariſche werde ſo beſchaffen geweſen<lb/> ſein (Geſch. d. Kunſt d. Alt. Band 3 S. 100); ſolcher Mormor wäre<lb/> gypsartig. Das völlige Glätten des Marmors iſt ein geiſtloſes Verfah-<lb/> ren ſpäter Zeit, das jenen körnig gediegenen und doch durchſichtig lichten<lb/> Seelenhauch in geiſtlos platte Eleganz verſchwemmt. In der guten Zeit<lb/> hat man den Marmor nach dem Abreiben mit Bimsſtein noch einmal<lb/> mit dem Eiſen ſanft übergangen, um das Flaumige des Lebens wieder-<lb/> zugeben und „die äußerſte Haut des Laokoon, welche gegen die geglättete<lb/> und geſchliffene etwas rauchlich ſcheinet, iſt wie ein weicher Sammt gegen<lb/> glänzenden Atlas“ (Winkelmann a. a. O. S. 105). Wenn die Griechen<lb/> durch die Einreibung von geſchmolzenem Wachs den körnig durchſichtigen<lb/> Charakter des Marmors zuklebten, ſo war dieß offenbar eine Vorarbeit<lb/> der Polychromie, von der wir hier noch ganz abſehen. Es ergibt ſich<lb/> aus dieſem reinen Charakter des Marmors, daß er ſich nicht nur für die An-<lb/> muth, für die weibliche Schönheit, ſondern höher für alle Geſtalten eignet,<lb/> die im Mittelpuncte des reinen Ideals ſtehen, indem das Allgemeine der<lb/> Natur und Menſchheit in ihnen mit dem möglich mildeſten Zuſatze des<lb/> Beſonderen gemiſcht iſt: der reine Aether des reinſten Seins gegenüber<lb/> der vom Lichte des Ewigen wohl überſtrömten, aber in ſich vom Erden-<lb/> dunkel härter beſtimmten, iſolirteren Exiſtenz der Erzgeſtalt. Daß im Mar-<lb/> mor, obwohl er leichter zu bearbeiten iſt, als viele andere Steinarten,<lb/> nicht die kühnen Stellungen möglich ſind, wie im Erze, dieß ſtimmt ganz<lb/> mit der Ruhe des Ideals; er iſt auch nicht ſo dauernd, als dieſes, da-<lb/> durch iſt nahe gelegt, daß dieß zartere Gebilde von ſchützenden Mauern<lb/> umfangen ſei: der Gott gehört in den Tempel, der eherne Held trotze<lb/> draußen dem Wind und Wetter und jener edle Roſt, die grüne Patine,<lb/> die ſich mit der Zeit um die Bronce legt, zunächſt ein Kennzeichen der<lb/> Aechtheit des Metalls, ſchmücke die ausharrende Kraft wie das Moos<lb/> die ehrwürdige, in Stürmen ausdauernde Eiche.</hi> </p> </div><lb/> </div> </div> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [377/0051]
pariſchen Marmor etwas ſichtbarer, bei dem penteliſchen mehr mit Talk
durchzogen) deutet leicht die poröſe Natur der Haut an; das Weiß iſt
glanzlos, die Formen können erſcheinen, aber der Anflug von Duchſichtig-
keit und das milde Licht nimmt ihnen die Gröbe des Empiriſchen und
entſpricht ohne eigentliche Nachahmung dem wirklichen Hauche von Durch-
ſichtigkeit, den die Haut hat, ſo wie dem Weichen, Anſchmiegſamen der
Gewänder. Daher „das ſanfte Verhauchen der hellen und dunkeln Par-
thieen, die Abſtufungen von Licht und Schatten, der ſanfte Zauber der
Reflexe“ (Feuerbach a. a. O. S. 177) bei dem warmen, fleiſchigen und
doch nicht widrig fettigen Charakter. Winkelmann hat ſich geirrt, wenn
er Marmor, der von milchiger Maſſe oder Teige gegoſſen ſcheint, für
den ſchönſten hält und annimmt, der pariſche werde ſo beſchaffen geweſen
ſein (Geſch. d. Kunſt d. Alt. Band 3 S. 100); ſolcher Mormor wäre
gypsartig. Das völlige Glätten des Marmors iſt ein geiſtloſes Verfah-
ren ſpäter Zeit, das jenen körnig gediegenen und doch durchſichtig lichten
Seelenhauch in geiſtlos platte Eleganz verſchwemmt. In der guten Zeit
hat man den Marmor nach dem Abreiben mit Bimsſtein noch einmal
mit dem Eiſen ſanft übergangen, um das Flaumige des Lebens wieder-
zugeben und „die äußerſte Haut des Laokoon, welche gegen die geglättete
und geſchliffene etwas rauchlich ſcheinet, iſt wie ein weicher Sammt gegen
glänzenden Atlas“ (Winkelmann a. a. O. S. 105). Wenn die Griechen
durch die Einreibung von geſchmolzenem Wachs den körnig durchſichtigen
Charakter des Marmors zuklebten, ſo war dieß offenbar eine Vorarbeit
der Polychromie, von der wir hier noch ganz abſehen. Es ergibt ſich
aus dieſem reinen Charakter des Marmors, daß er ſich nicht nur für die An-
muth, für die weibliche Schönheit, ſondern höher für alle Geſtalten eignet,
die im Mittelpuncte des reinen Ideals ſtehen, indem das Allgemeine der
Natur und Menſchheit in ihnen mit dem möglich mildeſten Zuſatze des
Beſonderen gemiſcht iſt: der reine Aether des reinſten Seins gegenüber
der vom Lichte des Ewigen wohl überſtrömten, aber in ſich vom Erden-
dunkel härter beſtimmten, iſolirteren Exiſtenz der Erzgeſtalt. Daß im Mar-
mor, obwohl er leichter zu bearbeiten iſt, als viele andere Steinarten,
nicht die kühnen Stellungen möglich ſind, wie im Erze, dieß ſtimmt ganz
mit der Ruhe des Ideals; er iſt auch nicht ſo dauernd, als dieſes, da-
durch iſt nahe gelegt, daß dieß zartere Gebilde von ſchützenden Mauern
umfangen ſei: der Gott gehört in den Tempel, der eherne Held trotze
draußen dem Wind und Wetter und jener edle Roſt, die grüne Patine,
die ſich mit der Zeit um die Bronce legt, zunächſt ein Kennzeichen der
Aechtheit des Metalls, ſchmücke die ausharrende Kraft wie das Moos
die ehrwürdige, in Stürmen ausdauernde Eiche.
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