Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,2,2. Stuttgart, 1853.

Bild:
<< vorherige Seite

deutung eines dunkleren Tons an den Haaren. Die Akrolithen, die Ver-
bindungen von gemeinem Stein im Hauptkörper mit Marmor an Kopf
und Extremitäten, von Holz und Gold, Elfenbein und Gold nebst reichem
Farbenschmuck an Scepter, Thron, Schild u. s. w., kann man hieher
rechnen. Die Griechen spielten zwischen diesen Andeutungen nach Gutdünken
oder Umständen umher und griffen ebenso unbestimmbar nach der zweiten Stufe
der Bemalung hinüber. Die Aufstellung einer Statue, der Hintergrund,
auf dem sie gesehen wurde, ob bunter oder einfärbiger, die Bemalung
des Grundes bei Relief und Giebelfeldgruppe war wohl dabei von be-
stimmendem Einfluß. Der bescheidenere Grad, die blos punctuelle An-
deutung, Umsäumung, scheint es, was Plinius circumlitio nennt (vergl.
O. Müllers Handb. d. Arch. d. Kunst S. 431 Anm. v. Welcker); sie er-
scheint zierlich an der Diana aus Herculanum im Museum zu Neapel und
wurde durch besondere Techniker, die Enkausten, Vergolder und Bemaler
der Statuen besorgt, die natürlich nach Verlangen auch die ausgedehntere
Bemalung ausführten. Das Auge konnte in dieser nur punctuellen
Andeutung nicht durch farbige Mittel bezeichnet sein, weil das Fleisch auch
nicht angegeben war; aber es konnte nach Umständen durch Eingrabung
des Randes der Iris und vertiefte Höhlung der Pupille hervorgehoben
werden. Einzelne Farben-Andeutungen im Erzguß, Vergoldungen oder
Einlegung von Gold, Silber an Schmuck und Waffen gehören zu diesem
Systeme des leichteren polychromen Anflugs, nicht aber die Spielerei,
durch Zusätze zur Erzmischung die Schamröthe eines Athamas, die Todten-
blässe der Jokaste nachzuahmen, am allerwenigsten jene oben erwähnten
Augen von Silber und dunkeln Steinen, denen hier kein über das Nackte
verbreiteter Fleischton das mildernde Gegengewicht gab, welche daher im
Erzguß abscheulich bleiben, und wenn es hundertmal Griechen waren,
die sie einsetzten. Im Uebrigen und Ganzen darf das Prinzip der reinen
festen Form nicht bis zur Verwerfung und blos historischen Entschuldigung
auch dieser dritten Stufe angespannt werden. Wir werden noch auf an-
dern Puncten sehen, daß die Abstraction der Plastik keine absolute ist.
Ein leichter Traum, eine erblassende Reminiscenz oder, wenn man will,
ein erster ferner Strahl der Farbe kann die Form umsäumen, ohne
darum ihre wesentliche Wirkung zu zerstören, und so muß es auch dem
modernen Bildhauer erlaubt sein, Schmuck, Haare, Waffen zu vergolden, einen
Kleidersaum zu bemalen und dergl. Für schlechthin nothwendig hielten
aber die Griechen auch diesen Anflug nicht; die Knidische Aphrodite und
viele andere berühmte Statuen waren nach ausdrücklichem Zeugniß (Lu-
cians Bilder 7) farblos. Es bleibt dabei, daß dieß das eigentliche reine
Kunstgesetz ist. -- Es handelt sich nun nur noch um die Bildung des
Auges bei völliger Farblosigkeit. Es ist wahr, daß gerade hier, wo die

deutung eines dunkleren Tons an den Haaren. Die Akrolithen, die Ver-
bindungen von gemeinem Stein im Hauptkörper mit Marmor an Kopf
und Extremitäten, von Holz und Gold, Elfenbein und Gold nebſt reichem
Farbenſchmuck an Scepter, Thron, Schild u. ſ. w., kann man hieher
rechnen. Die Griechen ſpielten zwiſchen dieſen Andeutungen nach Gutdünken
oder Umſtänden umher und griffen ebenſo unbeſtimmbar nach der zweiten Stufe
der Bemalung hinüber. Die Aufſtellung einer Statue, der Hintergrund,
auf dem ſie geſehen wurde, ob bunter oder einfärbiger, die Bemalung
des Grundes bei Relief und Giebelfeldgruppe war wohl dabei von be-
ſtimmendem Einfluß. Der beſcheidenere Grad, die blos punctuelle An-
deutung, Umſäumung, ſcheint es, was Plinius circumlitio nennt (vergl.
O. Müllers Handb. d. Arch. d. Kunſt S. 431 Anm. v. Welcker); ſie er-
ſcheint zierlich an der Diana aus Herculanum im Muſeum zu Neapel und
wurde durch beſondere Techniker, die Enkauſten, Vergolder und Bemaler
der Statuen beſorgt, die natürlich nach Verlangen auch die ausgedehntere
Bemalung ausführten. Das Auge konnte in dieſer nur punctuellen
Andeutung nicht durch farbige Mittel bezeichnet ſein, weil das Fleiſch auch
nicht angegeben war; aber es konnte nach Umſtänden durch Eingrabung
des Randes der Iris und vertiefte Höhlung der Pupille hervorgehoben
werden. Einzelne Farben-Andeutungen im Erzguß, Vergoldungen oder
Einlegung von Gold, Silber an Schmuck und Waffen gehören zu dieſem
Syſteme des leichteren polychromen Anflugs, nicht aber die Spielerei,
durch Zuſätze zur Erzmiſchung die Schamröthe eines Athamas, die Todten-
bläſſe der Jokaſte nachzuahmen, am allerwenigſten jene oben erwähnten
Augen von Silber und dunkeln Steinen, denen hier kein über das Nackte
verbreiteter Fleiſchton das mildernde Gegengewicht gab, welche daher im
Erzguß abſcheulich bleiben, und wenn es hundertmal Griechen waren,
die ſie einſetzten. Im Uebrigen und Ganzen darf das Prinzip der reinen
feſten Form nicht bis zur Verwerfung und blos hiſtoriſchen Entſchuldigung
auch dieſer dritten Stufe angeſpannt werden. Wir werden noch auf an-
dern Puncten ſehen, daß die Abſtraction der Plaſtik keine abſolute iſt.
Ein leichter Traum, eine erblaſſende Reminiſcenz oder, wenn man will,
ein erſter ferner Strahl der Farbe kann die Form umſäumen, ohne
darum ihre weſentliche Wirkung zu zerſtören, und ſo muß es auch dem
modernen Bildhauer erlaubt ſein, Schmuck, Haare, Waffen zu vergolden, einen
Kleiderſaum zu bemalen und dergl. Für ſchlechthin nothwendig hielten
aber die Griechen auch dieſen Anflug nicht; die Knidiſche Aphrodite und
viele andere berühmte Statuen waren nach ausdrücklichem Zeugniß (Lu-
cians Bilder 7) farblos. Es bleibt dabei, daß dieß das eigentliche reine
Kunſtgeſetz iſt. — Es handelt ſich nun nur noch um die Bildung des
Auges bei völliger Farbloſigkeit. Es iſt wahr, daß gerade hier, wo die

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <div n="5">
                <div n="6">
                  <div n="7">
                    <p> <hi rendition="#et"><pb facs="#f0056" n="382"/>
deutung eines dunkleren Tons an den Haaren. Die Akrolithen, die Ver-<lb/>
bindungen von gemeinem Stein im Hauptkörper mit Marmor an Kopf<lb/>
und Extremitäten, von Holz und Gold, Elfenbein und Gold neb&#x017F;t reichem<lb/>
Farben&#x017F;chmuck an Scepter, Thron, Schild u. &#x017F;. w., kann man hieher<lb/>
rechnen. Die Griechen &#x017F;pielten zwi&#x017F;chen die&#x017F;en Andeutungen nach Gutdünken<lb/>
oder Um&#x017F;tänden umher und griffen eben&#x017F;o unbe&#x017F;timmbar nach der zweiten Stufe<lb/>
der Bemalung hinüber. Die Auf&#x017F;tellung einer Statue, der Hintergrund,<lb/>
auf dem &#x017F;ie ge&#x017F;ehen wurde, ob bunter oder einfärbiger, die Bemalung<lb/>
des Grundes bei Relief und Giebelfeldgruppe war wohl dabei von be-<lb/>
&#x017F;timmendem Einfluß. Der be&#x017F;cheidenere Grad, die blos punctuelle An-<lb/>
deutung, Um&#x017F;äumung, &#x017F;cheint es, was Plinius <hi rendition="#aq">circumlitio</hi> nennt (vergl.<lb/>
O. Müllers Handb. d. Arch. d. Kun&#x017F;t S. 431 Anm. v. Welcker); &#x017F;ie er-<lb/>
&#x017F;cheint zierlich an der Diana aus Herculanum im Mu&#x017F;eum zu Neapel und<lb/>
wurde durch be&#x017F;ondere Techniker, die Enkau&#x017F;ten, Vergolder und Bemaler<lb/>
der Statuen be&#x017F;orgt, die natürlich nach Verlangen auch die ausgedehntere<lb/>
Bemalung ausführten. Das Auge konnte in die&#x017F;er nur punctuellen<lb/>
Andeutung nicht durch farbige Mittel bezeichnet &#x017F;ein, weil das Flei&#x017F;ch auch<lb/>
nicht angegeben war; aber es konnte nach Um&#x017F;tänden durch Eingrabung<lb/>
des Randes der Iris und vertiefte Höhlung der Pupille hervorgehoben<lb/>
werden. Einzelne Farben-Andeutungen im Erzguß, Vergoldungen oder<lb/>
Einlegung von Gold, Silber an Schmuck und Waffen gehören zu die&#x017F;em<lb/>
Sy&#x017F;teme des leichteren polychromen Anflugs, nicht aber die Spielerei,<lb/>
durch Zu&#x017F;ätze zur Erzmi&#x017F;chung die Schamröthe eines Athamas, die Todten-<lb/>
blä&#x017F;&#x017F;e der Joka&#x017F;te nachzuahmen, am allerwenig&#x017F;ten jene oben erwähnten<lb/>
Augen von Silber und dunkeln Steinen, denen hier kein über das Nackte<lb/>
verbreiteter Flei&#x017F;chton das mildernde Gegengewicht gab, welche daher im<lb/>
Erzguß ab&#x017F;cheulich bleiben, und wenn es hundertmal Griechen waren,<lb/>
die &#x017F;ie ein&#x017F;etzten. Im Uebrigen und Ganzen darf das Prinzip der reinen<lb/>
fe&#x017F;ten Form nicht bis zur Verwerfung und blos hi&#x017F;tori&#x017F;chen Ent&#x017F;chuldigung<lb/>
auch die&#x017F;er dritten Stufe ange&#x017F;pannt werden. Wir werden noch auf an-<lb/>
dern Puncten &#x017F;ehen, daß die Ab&#x017F;traction der Pla&#x017F;tik keine ab&#x017F;olute i&#x017F;t.<lb/>
Ein leichter Traum, eine erbla&#x017F;&#x017F;ende Remini&#x017F;cenz oder, wenn man will,<lb/>
ein er&#x017F;ter ferner Strahl der Farbe kann die Form um&#x017F;äumen, ohne<lb/>
darum ihre we&#x017F;entliche Wirkung zu zer&#x017F;tören, und &#x017F;o muß es auch dem<lb/>
modernen Bildhauer erlaubt &#x017F;ein, Schmuck, Haare, Waffen zu vergolden, einen<lb/>
Kleider&#x017F;aum zu bemalen und dergl. Für &#x017F;chlechthin nothwendig hielten<lb/>
aber die Griechen auch die&#x017F;en Anflug nicht; die Knidi&#x017F;che Aphrodite und<lb/>
viele andere berühmte Statuen waren nach ausdrücklichem Zeugniß (Lu-<lb/>
cians Bilder 7) farblos. Es bleibt dabei, daß dieß das eigentliche reine<lb/>
Kun&#x017F;tge&#x017F;etz i&#x017F;t. &#x2014; Es handelt &#x017F;ich nun nur noch um die Bildung des<lb/>
Auges bei völliger Farblo&#x017F;igkeit. Es i&#x017F;t wahr, daß gerade hier, wo die<lb/></hi> </p>
                  </div>
                </div>
              </div>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[382/0056] deutung eines dunkleren Tons an den Haaren. Die Akrolithen, die Ver- bindungen von gemeinem Stein im Hauptkörper mit Marmor an Kopf und Extremitäten, von Holz und Gold, Elfenbein und Gold nebſt reichem Farbenſchmuck an Scepter, Thron, Schild u. ſ. w., kann man hieher rechnen. Die Griechen ſpielten zwiſchen dieſen Andeutungen nach Gutdünken oder Umſtänden umher und griffen ebenſo unbeſtimmbar nach der zweiten Stufe der Bemalung hinüber. Die Aufſtellung einer Statue, der Hintergrund, auf dem ſie geſehen wurde, ob bunter oder einfärbiger, die Bemalung des Grundes bei Relief und Giebelfeldgruppe war wohl dabei von be- ſtimmendem Einfluß. Der beſcheidenere Grad, die blos punctuelle An- deutung, Umſäumung, ſcheint es, was Plinius circumlitio nennt (vergl. O. Müllers Handb. d. Arch. d. Kunſt S. 431 Anm. v. Welcker); ſie er- ſcheint zierlich an der Diana aus Herculanum im Muſeum zu Neapel und wurde durch beſondere Techniker, die Enkauſten, Vergolder und Bemaler der Statuen beſorgt, die natürlich nach Verlangen auch die ausgedehntere Bemalung ausführten. Das Auge konnte in dieſer nur punctuellen Andeutung nicht durch farbige Mittel bezeichnet ſein, weil das Fleiſch auch nicht angegeben war; aber es konnte nach Umſtänden durch Eingrabung des Randes der Iris und vertiefte Höhlung der Pupille hervorgehoben werden. Einzelne Farben-Andeutungen im Erzguß, Vergoldungen oder Einlegung von Gold, Silber an Schmuck und Waffen gehören zu dieſem Syſteme des leichteren polychromen Anflugs, nicht aber die Spielerei, durch Zuſätze zur Erzmiſchung die Schamröthe eines Athamas, die Todten- bläſſe der Jokaſte nachzuahmen, am allerwenigſten jene oben erwähnten Augen von Silber und dunkeln Steinen, denen hier kein über das Nackte verbreiteter Fleiſchton das mildernde Gegengewicht gab, welche daher im Erzguß abſcheulich bleiben, und wenn es hundertmal Griechen waren, die ſie einſetzten. Im Uebrigen und Ganzen darf das Prinzip der reinen feſten Form nicht bis zur Verwerfung und blos hiſtoriſchen Entſchuldigung auch dieſer dritten Stufe angeſpannt werden. Wir werden noch auf an- dern Puncten ſehen, daß die Abſtraction der Plaſtik keine abſolute iſt. Ein leichter Traum, eine erblaſſende Reminiſcenz oder, wenn man will, ein erſter ferner Strahl der Farbe kann die Form umſäumen, ohne darum ihre weſentliche Wirkung zu zerſtören, und ſo muß es auch dem modernen Bildhauer erlaubt ſein, Schmuck, Haare, Waffen zu vergolden, einen Kleiderſaum zu bemalen und dergl. Für ſchlechthin nothwendig hielten aber die Griechen auch dieſen Anflug nicht; die Knidiſche Aphrodite und viele andere berühmte Statuen waren nach ausdrücklichem Zeugniß (Lu- cians Bilder 7) farblos. Es bleibt dabei, daß dieß das eigentliche reine Kunſtgeſetz iſt. — Es handelt ſich nun nur noch um die Bildung des Auges bei völliger Farbloſigkeit. Es iſt wahr, daß gerade hier, wo die

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik030202_1853
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik030202_1853/56
Zitationshilfe: Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,2,2. Stuttgart, 1853, S. 382. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik030202_1853/56>, abgerufen am 22.12.2024.